zusammengestellt von Hans Nakielski
Gesetzgebungsverfahren
Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 20/3873), siehe dazu auch Thema des Monats hier.
Der Gesetzentwurf wurde am 10. November 2022 mit zahlreichen Änderungen (vgl. BT-Drs. 20/4226 – Beschlussempfehlung) vom Bundestag verabschiedet.
Der Bundesrat hat am 14. November 2022 dem Gesetz nicht zugestimmt (BR-Drs. 574/22 – Beschluss). Die Bundesregierung hat daraufhin den Vermittlungsausschuss angerufen (BT-Drs. 20/4467), um mit den Ländern über einen Kompromiss zum Bürgergeld-Gesetz zu verhandeln.
Am 23. November 2022 gab es eine Einigung im Vermittlungsausschuss (BT-Drs. 20/4600 – Beschlussempfehlung Vermittlungsausschuss). Am 25. November 2022 haben Bundestag und Bundesrat (BR-Drs. 610/22 –Beschluss) beschlossen, dem Einigungs-Vorschlag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen.
Das Gesetz wurde am 20. Dezember 2022 im Bundesgesetzblatt verkündet. Es trat in wesentlichen Teilen am 1. Januar 2023 in Kraft, weitere wesentliche Teile gelten ab dem 1. Juli 2023.
Stellungnahme des DGB zum Gesetzentwurf
Einige wichtige Inhalte
Durch das Gesetz gibt es viele – teilweise auch grundlegende – Änderungen bei der Grundsicherung. Es erneuert vor allem Teile des SGB II (hier treten die Änderungen in zwei Schritten zum 1. Januar und 1. Juli 2023 in Kraft) und des SGB XII. Darüber hinaus beinhaltet es aber auch Änderungen bei anderen Sozialgesetzen.
1. Neuregelungen im SGB II zum 1. Januar 2023
1.1. Bürgergeld statt ALG II oder Sozialgeld
Das SGB II heißt nun „Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende“. Es gibt jetzt nicht mehr entweder Arbeitslosengeld (ALG) II oder Sozialgeld, sondern nun gibt es für alle einheitlich die Leistung „Bürgergeld“. Die Behörden haben aber bis Mitte 2023 Zeit, um die Formulare anzupassen. Bis Ende Juni können sie statt „Bürgergeld“ auch noch die Begriffe „Arbeitslosengeld II“ oder „Sozialgeld“ in ihren Bescheiden verwenden.
1.2. Erhöhung der Regelbedarfe
Die Höhen der jeweiligen Regelbedarfsstufen entsprechend § 28 SGB XII (siehe unten 3.1.) gelten auch beim Bürgergeld. Die Regelbedarfsstufen (RBS) stiegen so zum 1. Januar 2023 zwischen 33 Euro (in RBS 6) und 53 Euro (in RBS 1).
1.3. Erleichterungen bei der Anerkennung von Unterkunftskosten
Neue Karenzzeit: Niemand soll sich im ersten Jahr des Bürgergeld-Bezugs um seine Wohnsituation sorgen. Bei den Unterkunftskosten gilt deshalb nun eine neue einjährige Karenzzeit (§ 22 Abs. 1 SGB II). Bei einer Leistungsunterbrechung von mehr als einem Monat verlängert sich die Karenzzeit um die vollen Monate ohne Leistungsbezug. Erst nach drei Jahren Leistungsunterbrechung beginnt eine neue Karenzzeit.
In der Karenzzeit sind die Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe von den Jobcentern zu übernehmen. Die Größe der Wohnung oder des Hauses und die Höhe der Miete spielen dabei keine Rolle. Die Karenzzeit gilt allerdings nicht für die Heizkosten. Wer in einer aus Sicht der Ämter zu großen Wohnung lebt, muss deshalb damit rechnen, dass nur der Teil der als angemessen angesehenen Heizkosten anerkannt wird.
Die Karenzzeit gilt auch nicht für die Fälle, in denen die zuständigen Träger die Aufwendungen für die Wohnung oder das Haus in einem vorangegangenen Bewilligungszeitraum bereits nur in Höhe der als „angemessenen“ angesehenen Kosten akzeptiert haben. Auch wer während der Karenzzeit ohne Zustimmung des Trägers in eine neue größere und/oder teurere Wohnung umzieht, kann nicht damit rechnen, dass das Jobcenter die vollen Kosten für die neue Unterkunft übernimmt.
Nach Ablauf der Karenzzeit: Die Angemessenheit der Wohnung wird nun in der Regel erst nach Ablauf der 12-monatigen Karenzzeit geprüft. Dann gelten die jeweiligen Obergrenzen der Wohnkosten in den Kommunen. Wer in einer zu großen und teuren Wohnung lebt, kann nach dem Ende der Karenzzeit zu einer Senkung seiner Unterkunftskosten aufgefordert werden. Die volle Kaltmiete wird dann nur noch für eine Übergangszeit (von in der Regel sechs Monaten) übernommen. Falls sich allerdings trotz intensiver Wohnungssuche nichts Billigeres finden lässt, müssen die Ämter die vollen Kosten für die Wohnung weiterzahlen.
Neu ist nach § 22 Abs. 1 SGB II: Wird die Wohnung nur aufgrund des Todes eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft unangemessen teuer, gilt sie für mindestens ein weiteres Jahr nach dem Sterbemonat als angemessen.
1.4. Besser geschütztes Vermögen
Neue Karenzzeit: Auch beim Vermögen gilt jetzt eine einjährige Karenzzeit. Wie bei den Unterkunftskosten verlängert sich die Karenzzeit bei einer Leistungsunterbrechung von mehr als einem Monat um diesen Monat. Erst nach drei Jahren Leistungsunterbrechung beginnt eine neue Karenzzeit.
Während der Karenzzeit wird Vermögen nur berücksichtigt, wenn es „erheblich“ ist. Als erheblich nach § 12 Abs. 4 SGB II gilt nun für Alleinstehende ein Vermögen, das 40.000 Euro übersteigt. Für jede weitere Person der Bedarfsgemeinschaft erhöht sich dieser Freibetrag um jeweils 15.000 Euro, so dass z.B. bei einer vierköpfigen Familie in der Karenzzeit 85.000 Euro an Rücklagen frei verfügbar sind. Nichtausgeschöpfte Beträge bei einer Person können zwischen allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft übertragen werden.
Ausdrücklich ausgenommen bei der Berechnung des erheblichen Vermögens ist „ein selbst genutztes Hausgrundstück oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung“. Somit sind auch unangemessen große und teure selbst genutzte Eigenheime während der Karenzzeit für Bezieher:innen von Bürgergeld vor einer Verwertung geschützt.
Es wird vermutet, dass kein Vermögen über der Freibetragsgrenze vorhanden ist, wenn dies im Antrag erklärt wird. Der Erklärung ist eine Selbstauskunft beizufügen (§ 12 Abs. 4 SGB II).
Nach Ablauf der Karenzzeit: Nach der Karenzzeit gilt ein Vermögensfreibetrag von 15.000 Euro für jede Person der Bedarfsgemeinschaft. Diese Regelung kann frühestens am 1. Januar 2024 angewandt werden. Denn erst dann kann frühestens die Karenzzeit bei bisherigen Leistungsbeziehenden enden. Denn Zeiten des Leistungsbezugs vor dem 1. Januar 2023 werden bei der Berechnung der Karenzzeit nicht berücksichtigt.
Grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt beim Vermögen werden seit 2023 – anders als zuvor:
- Die vollständigen für die Altersvorsorge bestimmten Versicherungsverträge (§ 12 Abs. 1 Nr. 3. SGB II).
- Bei Selbstständigen: Altersvorsorgevermögen in angemessener Höhe – unabhängig von der Anlageform für jedes angefangene Jahr einer hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit, in dem keine Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung oder eine öffentlich-rechtliche Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung entrichtet wurden (§12 Abs. 1 Nr. 4. SGB II). Als angemessen wird dabei ein Betrag angesehen, der sich an der Beitragszahlung zur allgemeinen Rentenversicherung bei einem Verdienst in Höhe des Durchschnittsentgelts orientiert. Für das Jahr 2023 ergibt sich auf Grundlage der aktuell vorliegenden (noch vorläufigen) Daten ein Freibetrag von 8.000 Euro multipliziert mit der Zahl der Jahre mit hauptberuflicher selbstständiger Tätigkeit.
- Bei Eigentümern: Ein selbst genutztes Hausgrundstück mit einer Wohnfläche von bis zu 140 qm oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung von bis zu 130 qm (§ 12 Abs. 1 Nr. 4. SGB II) gilt auch nach dem Ende der Karenzzeit als nicht verwertbar. Bewohnen mehr als vier Personen das Haus oder die Eigentumswohnung, kommen noch jeweils 20 qm für jede weitere Person an anerkannter Wohnfläche hinzu.
1.5. Eingeschränkte Haftung Minderjähriger
Generell haften Minderjährige für Verbindlichkeiten, die ihre Eltern im Rahmen ihrer Vertretungsmacht mit Wirkung für das Kind begründet haben, erst beim Eintritt der Volljährigkeit – und zwar mit ihrem dann vorhandenen eigenen Vermögen. Das bestimmt § 1629a BGB. Diese Regelung galt bisher auch für Schulden der Kinder gegenüber dem Jobcenter, wenn sie z. B. wegen einer Einkommensänderung ihrer Eltern Leistungen zurückzahlen müssen. Jetzt regelt § 40 Abs. 9 SGB II: „§ 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuches gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das beim Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15.000 Euro übersteigt.“ Haben die betroffenen Kinder also nur weniger als 15.000 Euro Vermögen, wenn sie volljährig werden, müssen sie keine Schulden an die SGB-II-Träger zurückzahlen.
1.6. Erleichterungen bei Überzahlungen und Rückforderungen
Neue Bagatellgrenze: Bis zu einer Bagatellgrenze von 50 Euro pro Bedarfsgemeinschaft werden keine aufwändigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide mehr erlassen. Die Jobcenter verzichten auf daraus resultierende Rückforderungen (§ 41a Abs. 6 SGB II).
Überzahlung kann in Raten zurückgezahlt werden: Kommt es zu einer Leistungsüberzahlung wegen der Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, muss diese Überzahlung nicht mehr auf einen Schlag zurückgezahlt werden. Vorgesehen ist eine Ratenzahlung in Höhe von zehn Prozent des jeweiligen Regelbedarfs.
1.7. Regelungen zur nachhaltigeren Integration in den Arbeitsmarkt
Vermittlungsvorrang abgeschafft: Der sogenannte Vermittlungsvorrang wurde abgeschafft (siehe auch hier).
Damit stehen nun Weiterbildung und der Erwerb eines Berufsabschlusses für erwerbsfähige SGB-II-Beziehende stärker im Vordergrund. Nun heißt es in § 3 Abs. 1 SGB II: „Vorrangig sollen Leistungen erbracht werden, die die unmittelbare Aufnahme einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit ermöglichen, es sei denn, eine andere Leistung ist für die dauerhafte Eingliederung erforderlich. Von der Erforderlichkeit für die dauerhafte Eingliederung ist insbesondere auszugehen, wenn leistungsberechtigte Personen ohne Berufsabschluss Leistungen zur Unterstützung der Aufnahme einer Ausbildung […] erhalten oder an einer […] zu fördernden beruflichen Weiterbildung teilnehmen oder voraussichtlich teilnehmen werden.“
Sozialer Arbeitsmarkt entfristet: Nach § 16i SGB II können Arbeitgeber fünf Jahre lang erhebliche Zuschüsse bekommen, wenn sie langjährige SGB-II-Beziehende sozialversicherungspflichtig beschäftigen (Teilhabe am Arbeitsmarkt). Bisher war dieses arbeitsmarktpolitische Instrument bis Ende 2024 befristet. Nun wurde es entfristet. Damit wird sehr arbeitsmarktfernen Menschen dauerhaft eine soziale Teilhabe durch sozialversicherungspflichtige öffentlich geförderte Beschäftigung ermöglicht.
1.8. Weiterhin Leistungsminderungen
Am 5. November 2019 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden: Minderungen des Regelbedarfs über 30 Prozent hinaus sind verfassungswidrig. Die Sanktionsregelungen im SGB II müssen geändert werden (siehe hier).
Mit dem Elften Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuchs, das am 1. Juli 2022 in Kraft trat, wurde das Urteil des BVerfG in einem neuen Gesetz umgesetzt: Die Sanktionsregelungen für Pflichtverstöße von Hartz-IV-Empfänger:innen (z. B. bei fehlenden Nachweisen von Bewerbungen auf Arbeitsstellen oder bei der Weigerung, eine „zumutbare Arbeit“ aufzunehmen) wurden für ein Jahr ausgesetzt. Diese Bestimmungen zum sogenannten Sanktionsmoratorium sollten eigentlich bis zum 1. Juli 2023 gelten. Im Ringen um einen politischen Kompromiss zum Bürgergeld-Gesetz wurde nun aber schon zum Anfang des Jahres 2023 das Sanktionsmoratorium wieder aufgehoben. Sanktionen beim Bürgergeld (im Gesetz ist nun von „Leistungsminderungen“ die Rede) sind ab Jahresbeginn auch wieder möglich, wenn Leistungsbeziehende ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen und „Pflichtverletzungen“ nach § 31 SGB II begehen.
Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen: Werden Mitwirkungspflichten verletzt, kann der Regelbedarf nun zunächst um zehn Prozent für einen Monat, bei einer zweiten Pflichtverletzung um 20 Prozent für zwei Monate und in der letzten Stufe um 30 Prozent für drei Monate gemindert werden. Eine weitere Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde. Sie liegt nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt. Die Minderungen sind aufzuheben, „sobald erwerbsfähige Leistungsberechtigte diese Pflichten erfüllen oder sich nachträglich und nachhaltig dazu bereiterklären, diesen künftig nachzukommen“ (§ 31a Abs. 1 SGB II).
Leistungsminderungen bei Meldeversäumnissen: Bei einem Meldeversäumnis ohne wichtigen Grund wird der Regelbedarf um zehn Prozent für einen Monat gemindert.
Eine Leistungsminderung darf nicht erfolgen, wenn sie im Einzelfall eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde (§ 31a Abs. 3 SGB II). Bei der Prüfung einer außergewöhnlichen Härte ist nicht nur die von der Leistungsminderung betroffene Person, sondern jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft einzubeziehen.
Die Leistungsminderungen bei wiederholten Pflichtverletzungen oder wiederholten Meldeversäumnissen sind auf insgesamt 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt. Sich rechnerisch ergebende Zahlbeträge für die Kosten der Unterkunft und Heizung dürfen durch eine Leistungsminderung nicht verringert werden (§ 31a Abs. 4 SGB II).
1.9. Sonderregelungen für Ältere ausgesetzt
Zwangsverrentung entfällt befristet: Die Pflicht zur Inanspruchnahme vorzeitiger (mit Abschlägen belegter) Renten wegen Alters – die sogenannte Zwangsverrentung – entfällt befristet für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum 31. Dezember 2026. Damit entfällt vorerst auch die Prüfung, ob eine vorzeitige Inanspruchnahme „unbillig“ wäre. Weiterhin muss aber eine Altersrente in Anspruch genommen werden, wenn die Voraussetzungen für eine ungeminderte Inanspruchnahme vorliegen.
58-Regelung wurde aufgehoben: Die Sonderregelung, nach der erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die nach Vollendung des 58. Lebensjahres mindestens für die Dauer von zwölf Monaten Leistung bezogen haben, ohne dass ihnen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten wurde, nicht mehr als arbeitslos gelten (sogenannte 58-Regelung), wurde für neue Fälle aufgehoben. Die bisher schon nicht in der Arbeitslosen-Statistik gezählten Fälle werden aber auch weiterhin nicht gezählt.
2. Neuregelungen im SGB II zum 1. Juli 2023
2.1. Änderungen bei der Anrechnung von Einkommen
Höhere Freibeträge für einige Erwerbstätige: Die Freibeträge bei Erwerbstätigkeit werden zur Jahresmitte neu strukturiert und teilweise verbessert. Ab dem 1. Juli 2023 gelten eine neue zweite und dritte Stufe bei der Freibetrags-Staffelung:
- Bruttoverdienst zwischen 100 und 520 Euro: Vom Teil des Einkommens, der 100 Euro übersteigt, sind 20 Prozent anrechnungsfrei.
- Bruttoverdienst zwischen 520 und 1.000 Euro: Von dem Teil des Einkommens, der 520 Euro übersteigt, sind 30 Prozent anrechnungsfrei.
Ab Mitte 2023 steigt demnach der anrechnungsfreie Teil des Einkommens für Arbeitnehmer:innen, die mehr als 520 Euro monatlich verdienen. Von jedem Euro zwischen 520 und 1.000 Euro dürfen Bürgergeld-Bezieher:innen 30 Prozent (statt vorher 20 Prozent) behalten. Ab einem Bruttoverdienst von monatlich 1.000 Euro steigt deshalb der anrechenbare Teil des Einkommens um 48 Euro.
Höherer Hinzuverdienst für Schüler:innen und Auszubildende: Unter 25-jährige Schüler:innen und Azubis, die Bürgergeld erhalten, dürfen ab Juli 2023 zusätzlich und ohne Kürzung des Bürgergelds monatlich 520 Euro hinzuverdienen. Das gilt auch in einer dreimonatigen Übergangszeit zwischen Schule und Ausbildung oder Studium. Auch das Taschengeld aus einem Bundesfreiwilligendienst oder Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) dürfen sie bis zur Minijob-Grenze (derzeit 520 Euro) behalten. Einkünfte aus Ferienjobs sind für sie komplett anrechnungsfrei, bisher gab es hier eine Obergrenze von 2.400 Euro.
Absetzbetrag für Einnahmen aus ehrenamtlichen Tätigkeiten: Ehrenamtlich Tätige können jährlich bis zu 3.000 Euro der Aufwandsentschädigung behalten. Der bisherige Absetzbetrag für die Aufwandsentschädigungen in Höhe von 250 Euro pro Monat wird ab Juli in einen jährlichen Gesamtbetrag von 3.000 pro Jahr umgewandelt (§ 11a Abs. 1 Nr. 5. SGB II n.F.).
Mutterschaftsgeld wird anrechnungsfrei: Das Mutterschaftsgeld wird ab Mitte 2023 beim Bürgergeld nicht mehr als Einkommen berücksichtigt (§ 11a Abs. 1 Nr. 6. SGB II n.F.).
Erbschaften zählen nicht mehr als Einkommen: Anders als sonstige einmalige Einnahmen werden Erbschaften ab Juli 2023 im Monat des Zuflusses nicht als Einkommen berücksichtigt (§ 11a Abs. 1 Nr. 7. SGB II n. F.). Sie zählen dann im Folgemonat des Zuflusses als Vermögen. Entsprechend gelten dann für sie die jeweils innerhalb der Karenzzeit bzw. nach deren Ablauf geltenden Vermögensfreibeträge (siehe oben 1.4.).
2.2. Kooperationsplan ersetzt Eingliederungsvereinbarung
Ein „Kooperationsplan“ (nach § 15 SGB II n.F.) mit vorheriger „Potenzialanalyse“ ersetzt ab Juli die formale Eingliederungsvereinbarung. Der Kooperationsplan (siehe auch hier) soll der „rote Faden“ des Eingliederungsprozesses sein und in verständlicher Sprache gemeinschaftlich von Jobcenter-Beschäftigten und Bürgergeld-Beziehenden erarbeitet werden. Die erste Einladung zur Erstellung der Potentialanalyse und des Kooperationsplans enthält keine Rechtsfolgenbelehrung.
Der Kooperationsplan soll spätestens nach sechs Monaten gemeinsam aktualisiert und fortgeschrieben werden. Die Agentur für Arbeit soll regelmäßig überprüfen, ob die im Kooperationsplan festgehaltenen Absprachen eingehalten werden. Aufforderungen dazu erfolgen grundsätzlich mit Rechtsfolgenbelehrung. Falls der Kooperationsplan nicht zustande kommt oder fortgeschrieben werden kann, erfolgen Aufforderungen zur Mitwirkung mit Rechtsfolgenbelehrung.
Wenn bei der Erarbeitung des Kooperationsplans Meinungsverschiedenheiten auftreten, kann ein neue Schlichtungsverfahren nach § 15a SGB II n.F. weiterhelfen. Während des Schlichtungsverfahrens dürfen Verletzungen von Pflichten nicht zu Leistungsminderungen führen. Das Schlichtungsverfahren endet durch eine Einigung oder spätestens vier Wochen nach seinem Beginn.
Der Kooperationsplan soll schrittweise bis Ende 2023 die auslaufenden Eingliederungsvereinbarungen ablösen. Bestehende Eingliederungsvereinbarungen haben also zunächst noch weiter Bestand. Sie verlieren aber spätestens nach dem 31. Dezember 2023 ihre Gültigkeit (§ 65 Abs. 4 SGB II n.F.).
2.3. Weiterbildung/Coaching/Arbeitsmarktintegration
Coaching: Erwerbsfähige Bürgergeld-Beziehende können zum Aufbau der Beschäftigungsfähigkeit die ganzheitliche Betreuung (Coaching) in Anspruch nehmen (§ 16k SGB II n. F.). Das Coaching kann auch aufsuchend, ausbildungs- oder beschäftigungsbegleitend erfolgen. Eine ganzheitliche Betreuung kann für junge Menschen auch zur Heranführung an eine oder zur Begleitung während einer Ausbildung erfolgen. Sofern keine an die Ausbildung unmittelbar anschließende Beschäftigungsaufnahme erfolgt, kann die ganzheitliche Betreuung bis zu zwölf Monate nach Ende der Ausbildung fortgeführt werden.
Weiterbildungsgeld: Abweichend von den entsprechenden Regelungen in der Arbeitslosenversicherung (SGB III), die sich ausschließlich auf arbeitslose Arbeitnehmer:innen beziehen (siehe unten 4.4.), erhalten erwerbsfähige Bürgergeld-Bezieher:innen ab Juli 2023 auch im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses das neue zusätzliche Weiterbildungsgeld von 150 Euro im Monat (siehe auch hier), wenn sie eine berufsabschlussbezogene Weiterbildung absolvieren (§ 16 Abs. 3b n.F.). Das Weiterbildungsgeld bezieht nach dem SGB II also auch Beschäftigte ein, die mit Bürgergeld aufstocken müssen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Weiterbildungsprämien: Auch Bürgergeld-Bezieher:innen bekommen für erfolgreiche Zwischen- oder Abschlussprüfungen im Rahmen von berufsabschlussbezogenen beruflichen Weiterbildungen die im SGB III vorgesehenen Prämien von 1.000 bzw. 1.500 Euro. Diese bisher bis Ende 2023 geltende Regelung wird entfristet.
Neuer Bürgergeldbonus: Für die Teilnahme an anderen Maßnahmen, die für eine nachhaltige Integration besonders wichtig sind und für die es kein Weiterbildungsgeld gibt, erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte ab Juli 2023 einen sogenannten Bürgergeldbonus von 75 Euro für jeden Monat der Teilnahme. Dies gilt etwa für Maßnahmen zur Förderung schwer zu erreichender junger Menschen oder für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (§ 16j SGB II n.F.).
Unverkürzte Ausbildung: Es besteht künftig die Möglichkeit, mehr Zeit zum Lernen zu bekommen. Das Nachholen eines Berufsabschlusses kann bei Bedarf auch unverkürzt gefördert werden.
Erwerb von Grundkompetenzen: Die Förderung für den Erwerb von Grundkompetenzen – zum Beispiel bessere Lese-, Mathematik- oder IT-Kenntnisse – wird ab Juli 2023 erleichtert.
2.4. Neuregelung zur Erreichbarkeit
Die Anforderungen an die Erreichbarkeit von Leistungsbeziehenden werden ab Juli 2023 etwas erleichtert. Ab Juli 2023 gilt nach § 7b Abs. 1 SGB II n.F.: „Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Leistungen, wenn sie erreichbar sind. Erreichbar sind erwerbsfähige Leistungsberechtigte, wenn sie sich im näheren Bereich des zuständigen Jobcenters aufhalten und werktäglich dessen Mitteilungen und Aufforderungen zur Kenntnis nehmen können. Ein Aufenthalt im näheren Bereich liegt vor, wenn es den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten möglich ist, eine Dienststelle des zuständigen Jobcenters, einen möglichen Arbeitgeber oder den Durchführungsort einer Integrationsmaßnahme im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Jobcenters in einer für den Vermittlungsprozess angemessenen Zeitspanne und ohne unzumutbare oder die Eigenleistungsfähigkeit übersteigenden Aufwand aufzusuchen.“
3. Neuregelungen im SGB XII
Das Bürgergeld-Gesetz brachte auch bei der Sozialhilfe (SGB XII) etliche Neuerungen. Einige Verbesserungen (etwa bei den Regelbedarfen oder den Unterkunftskosten) betreffen SGB-XII-Beziehende genauso wie die Bezieher:innen von Bürgergeld. Gegenüber den Bürgergeld-Bezieher:innen werden die Sozialhilfe-Beziehenden allerdings nach wie vor in einigen Punkten (z. B. beim Vermögen) deutlich schlechter gestellt.
3.1. Neue Fortschreibung der Regelbedarfsstufen
Vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Preise, die insbesondere Grundsicherungsbeziehende betreffen (siehe auch hier) sieht das SGB XII jetzt eine neue Fortschreibung der Regelbedarfsstufen vor. Diese Fortschreibung nach § 28a SGB XII ist in den Jahren notwendig, in denen es keine neuen Ergebnisse aus den nur alle fünf Jahre durchgeführten Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS) der Statistischen Ämter gibt.
Die bisherige Fortschreibungs-Methode bezog nur weit zurückliegende Daten ein und konnte so aktuellere Inflationsentwicklungen nicht berücksichtigen. Jetzt wird deshalb ein zweistufiges Anpassungsverfahren – mit einer „Basisfortschreibung“ und einer „ergänzenden Fortschreibung“ – angewandt (Einzelheiten dazu siehe hier).
Die Basisfortschreibung knüpft in unveränderter Form an die bisherige Fortschreibungsmethode an. Als neuer zweiter Schritt der Regelbedarfsfortschreibung erfolgt nun stets auch eine ergänzende Fortschreibung. Zusammen mit der Basisfortschreibung folgte daraus für die Regelbedarfsanpassung Anfang 2023 ein Anpassungsfaktor von 1,1175. Das entspricht einer Regelbedarfserhöhung um 11,75 Prozent. Entsprechend den Rundungsvorschriften liegen die Regelbedarfe (RB) 2023 zwischen 318 Euro in RB-Stufe 6 und 502 Euro in RB-Stufe 1 (siehe Tabelle).
3.2. Neuer Härtefallmehrbedarf
Der neue Absatz 10 in § 30 SGB XII sieht nun – ähnlich wie § 21 Abs. 6 SGB II für Bezieher:innen von Bürgergeld – einen Mehrbedarf in Härtefällen auch für bestimmte Bezieher:innen von Sozialhilfeleistungen vor. Dies gilt für Sozialhilfebezieher:innen nach dem Dritten Kapitel („Hilfe zum Lebensunterhalt“) und Vierten Kapitel („Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“) des SGB XII. Ihnen steht ein Mehrbedarf zu, „soweit im Einzelfall ein einmaliger, unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht, der auf keine andere Weise gedeckt werden kann, und ein Darlehen nach § 37 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist“.
3.3. Erleichterungen bei der Anerkennung von Unterkunftskosten
Neue Karenzzeit: Auch für Sozialhilfebezieher:innen wird bei den Bedarfen für die Unterkunft – genauso wie bei Bezieher:innen von Bürgergeld (siehe oben 1.3.) – nun eine einjährige Karenzzeit anerkannt. Dies regelt der neue § 35 SGB XII. Im Hinblick auf die Übernahme der Unterkunftskosten unterscheiden sich die Regelungen des SGB XII und des SGB II kaum.
In den ersten zwölf Monaten des Sozialhilfebezugs erkennen die Sozialämter die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft in voller Höhe bei der Berechnung der Leistungen an – auch wenn die Wohnung oder das Haus nach den Maßstäben der Ämter zu groß und zu teuer ist. Abstriche kann es aber bei den Heizkosten geben. Für diese übernehmen die Ämter – auch während der Karenzzeit – weiterhin nur die „angemessenen“ Kosten.
Die Karenzzeit beginnt ab dem Ersten des Monats, für den erstmals Leistungen nach dem SGB XII bezogen werden. Sie verlängert sich bei einer Leistungsunterbrechung um die vollen Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt nur, wenn zuvor mindestens drei Jahre lang keine Sozialhilfeleistungen der „Hilfe zum Lebensunterhalt“ oder der „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ oder keine SGB-II-Leistungen bezogen worden sind. Für diejenigen, die schon 2022 Sozialhilfe-Leistungen bekommen haben, begann ab dem 1. Januar 2023 ebenfalls eine einjährige Karenzzeit.
Die Karenzzeit bei den Unterkunftskosten gilt allerdings nicht für diejenigen (Alt-)Fälle, in denen die zuständigen Ämter die Aufwendungen für die Wohnung oder das Haus in einem vorangegangenen Bewilligungszeitraum bereits nur in Höhe der als „angemessenen“ angesehenen (und nicht der tatsächlichen) Kosten akzeptiert haben. Das bestimmt eine Übergangsregelung in § 140 Abs. 2 SGB XII. Außerdem gilt: Wer während der Karenzzeit in eine unangemessen teure Wohnung umzieht, bekommt die vollen Unterkunftskosten nur dann erstattet, wenn das zuständige Sozialamt dem vor dem Umzug zugestimmt hat (§ 35a Abs. 2 SGB XII).
Für diejenigen, die in ihrem Wohneigentum leben, werden neuerdings (wie bisher schon beim SGB II) auch die „unabweisbaren Aufwendungen für die Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum […] anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie in den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind“ (§ 35a Abs. 1 SGB XII).
Anders als beim Bürgergeld gibt es bei der Sozialhilfe für Eigentümer:innen aber während des ersten Jahres des Leistungsbezugs keinen Schutz vor einer möglichen Vermögens-Verwertung eines unangemessen großen und teuren Wohneigentums. Schon bei der Antragstellung wird deshalb zum Thema, ob das Haus oder die Wohnung als „angemessen“ angesehen wird (siehe unten 3.4.).
Nach der Karenzeit: Nach Ablauf der Karenzzeit wird generell die Angemessenheit der Unterkunftskosten geprüft. Sind diese unangemessen, werden die SGB-XII-Leistungsbezieher:innen in der Regel zu einer Senkung der Unterkunftskosten aufgefordert. Die Kosten einer zu teuren Wohnung werden allerdings so lange weiter übernommen, „bis es möglich oder zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken“. In der Regel gilt dies für eine „Suchzeit“ von sechs Monaten (§ 35 Abs. 3 SGB XII). Eine Absenkung unangemessener Aufwendungen für die Unterkunft muss allerdings „nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre“.
Neu ist seit 2023: Wird eine zuvor „angemessene“ Wohnung nach dem Tod eines Haushaltsmitglieds nach den SGB-XII-Regeln nun „unangemessen“, erfolgt mindestens für einen Zeitraum von zwölf Monaten nach dem Sterbemonat keine Kostensenkungsaufforderung (§ 35 Abs. 3 SGB XII).
3.4. Nur wenige Erleichterungen bei der Vermögensprüfung
Barvermögen: Alleinstehenden Sozialhilfebezieher:innen wird nun ein frei verfügbares Vermögen von bis zu 10.000 Euro (vor 2023: 5.000 Euro) zugestanden. Geregelt wurde das in der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Bei Paaren gilt der doppelte Betrag. Eine differenzierende Regelung für die erste Zeit des Leistungsbezugs (Karenzzeit) – wie beim Bürgergeld (siehe oben 1.4.) – ist bei der Sozialhilfe nicht vorgesehen.
Kraftfahrzeug: Bezieher:innen von Leistungen nach dem SGB XII wird ab 2023 generell – nicht mehr nur in Ausnahmefällen – ein „angemessenes Kraftfahrzeug“ zugestanden. „Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung […] eines angemessenen Kraftfahrzeuges“, regelt nun § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII. Laut Gesetzesbegründung „ist davon auszugehen, dass ein Kraftfahrzeug, welches einen Verkehrswert von 7.500 Euro nicht überschreitet, angemessen ist“. Übersteigt der Wert eines Autos oder Motorrads diesen Wert, so kann gegebenenfalls ein nicht verbrauchter Teil des Vermögensfreibetrags von 10.000 Euro dafür genutzt werden.
Selbst genutztes Wohneigentum: Während beim Bürgergeld in den ersten zwölf Monaten des Leistungsbezugs die Angemessenheit des Wohneigentums überhaupt keine Rolle spielt und danach für Eigenheimer:innen in jedem Fall mindestens 130 qm für eine Eigentumswohnung bzw. 140 qm für ein Haus als angemessen gelten (siehe oben 1.4.), gibt es solche Schutzregelungen für Sozialhilfebezieher:innen mit selbst genutztem Wohneigentum nicht. Schon bei der Antragstellung wird überprüft, ob das Wohneigentum als „angemessen“ gilt.
3.5. Änderungen und Verbesserungen bei der Anrechnung von Einkommen
Höherer Hinzuverdienst für Schüler:innen und Auszubildende: Unter 25-jährige Schüler:innen und Azubis, die Sozialhilfe erhalten, dürfen nun zusätzlich und ohne Kürzung der Sozialhilfe monatlich 520 Euro hinzuverdienen. Einkünfte aus Ferienjobs sind für sie komplett anrechnungsfrei. Letzteres gilt allerdings nicht für Schüler:innen, die einen Anspruch auf Ausbildungsvergütung haben. Das bestimmt eine Neuregelung in § 82 Abs. 1 SGB XII.
Absetzbetrag für Einnahmen aus ehrenamtlichen Tätigkeiten: Ehrenamtlich Tätige können ab Januar 2023 jährlich bis zu 3.000 Euro von einer Aufwandsentschädigung behalten (§ 82 Abs. 1 Nr. 8. SGB XII).
Mutterschaftsgeld wurde anrechnungsfrei: Das Mutterschaftsgeld wird nun bei der Sozialhilfe nicht mehr als Einkommen berücksichtigt (§ 82 Abs. 1 Nr. 5 SGB XII).
Erbschaften zählen nicht mehr als Einkommen: Anders als sonstige einmalige Einnahmen werden Erbschaften ab Januar 2023 im Monat des Zuflusses nicht mehr als Einkommen berücksichtigt (§ 82 Abs. 1 Nr. 9. SGB XII). Sie zählen dann im Folgemonat des Zuflusses als Vermögen. Das Vermögen darf aber einen Vermögensfreibetrag von 10.000 Euro nicht übersteigen (siehe oben 3.4.).
4. Neuregelungen im SGB III
Im Bürgergeld-Gesetz sind nicht nur wesentliche Änderungen bei der Grundsicherung, sondern auch einige Änderungen bei der Arbeitslosenversicherung (also im SGB III) vorgenommen worden (siehe dazu auch hier). Diese treten allerdings erst zum 1. Juli 2023 in Kraft:
4.1. Erweiterte Möglichkeit der Förderung von Grundkompetenzen
Bei zahlreichen gering qualifizierten Arbeitnehmer:innen scheitert die Integration ins Erwerbsleben bereits an unzureichenden Grundkompetenzen. Für diesen Personenkreis sieht § 81 Abs. 3a SGB III n.F. nun verstärkte Förderangebote zum Erwerb von Grundkompetenzen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit vor. Der Erwerb von Grundkompetenzen soll zukünftig grundsätzlich auch unabhängig von einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung ermöglicht werden. Behoben werden sollen dabei u. a. Defizite in den Bereichen Mathematik, Schreiben, Lesen und Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT).
4.2. Coaching kann künftig im Rahmen der Lehrgangskosten übernommen werden
- 84 SGB III regelt die Übernahme von Lehrgangskosten durch die Bundesagentur für Arbeit. Durch das Bürgergeld-Gesetz wird nun in Absatz 1 n.F. ergänzt, dass auch Kosten für eine „notwendige sozialpädagogische Begleitung“ übernommen werden können.
Durch Coaching soll vor allem die Gefahr eines Maßnahmeabbruchs frühzeitig erkannt werden und Abbrüche sollen durch gezielte Angebote möglichst verhindert werden.
4.3. Entfristung der Weiterbildungsprämie
Schon nach bisher geltendem Recht erhalten Arbeitnehmer:innen bei einer erfolgreichen Teilnahme an einer berufsabschlussbezogenen geförderten Weiterbildung eine Prämie von 1.000 Euro bei bestandener Zwischenprüfung und von 1.500 Euro bei bestandener Abschlussprüfung. Diese zunächst befristete Regelung (für Maßnahmeeintritte bis Ende 2023, siehe §131a Abs. 3) wird entfristet und erweitert. Die „Zwischenprüfungsprämie” wird nun auch gezahlt, wenn der erste Teil einer gestreckten Abschlussprüfung absolviert wird.
4.4. Neues Weiterbildungsgeld für arbeitslose Teilnehmer:innen
Arbeitslose Weiterbildungsteilnehmer:innen erhalten ab Juli 2023 monatlich zusätzlich zum meist fortgezahlten Arbeitslosengeld ein Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro monatlich. Dieses wird auch an Maßnahmeteilnehmer:innen gezahlt, deren Weiterbildung vor Juli 2023 begonnen hat.
4.5. Günstigere Regelung für Restansprüche auf Arbeitslosengeld nach dem Ende einer beruflichen Weiterbildung
Künftig gilt: Weiterbildungsteilnehmer:innen, die vor dem Beginn einer Weiterbildung noch einen (Rest-)Anspruch auf die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld hatten, haben nach Maßnahmeabschluss noch einen Anspruch auf (mindestens) drei Monate ALG (§148 Abs. 3 SGB III n.F.). Mit dieser Mindestrestanspruchsdauer von drei Monaten „soll eine qualifikationsgerechte Eingliederung besser als bisher unterstützt werden”, heißt es in der Gesetzesbegründung. Falls vor Maßnahmebeginn nur noch ein Restanspruch von weniger als drei Monaten bestand, wird der Anspruch bei Maßnahmeende auf volle drei Monate „aufgestockt“. Dies gilt allerdings nur, wenn eine Maßnahme in mindestens sechs Monaten zusammenhängend gefördert wurde. Die Neuregellungen gelten auch für Personen, deren Weiterbildung vor dem Inkrafttreten der Neuregelung begonnen hat.
5. Neuregelung im SGB VI
Bürgergeld statt Übergangsgeld bei medizinischer Rehabilitation: Der Anspruch auf Übergangsgeld von der Rentenversicherung bei Leistungen zur medizinischen Reha entfällt für diejenigen, die unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder vor Beginn der medizinischen Leistungen Bürgergeld bezogen haben. Die Betroffenen erhalten dann von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende weiterhin Bürgergeld. Damit werden während der Reha auch keine Rentenversicherungsbeiträge entrichtet. Die Zeiten sind bei der Rente künftig Anrechnungszeiten wegen des Bezugs von Bürgergeld. Wer allerdings zusätzlich zu einem kleinen Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder Entgeltersatzleistungen aufstockend Bürgergeld erhält, hat weiterhin einen Anspruch auf das Übergangsgeld. Die Jobcenter zahlen dann bei Vorliegen von Bedürftigkeit aufstockende Leistungen zum Übergangsgeld der Rentenversicherung.
6. Neuregelungen beim Bundeskindergeldgesetz
Neuregelungen beim Kinderzuschlag: Der Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz soll Familien mit niedrigen Einkommen entlasten und ihnen vor allem den Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II (Bürgergeld) ersparen. Das soll durch die Kombination von Lohn, Kindergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag gelingen. Der Höchstbetrag für den Kinderzuschlag wurde zum 1. Januar 2023 um 21 Euro auf 250 Euro pro Kind und Monat erhöht.
Durch das Bürgergeld-Gesetz wurde die Vermögensprüfung beim Kinderzuschlag dauerhaft entschärft. Bereits aufgrund der Corona-Sonderregelungen galt, dass beim Kinderzuschlag Vermögen nur dann zu berücksichtigen war, wenn es „erheblich“ war. Diese Regelung wurde nun entfristet. § 6a Abs. 3 Satz 5 des Bundeskindergeldgesetzes lautet nun: „§ 12 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Vermögen nur berücksichtigt wird, wenn es erheblich ist.“ Das bedeutet:
- Selbst genutztes Wohneigentum wird bei der Vermögensprüfung, die grundsätzlich auch beim Kinderzuschlag vorgesehen ist, nicht berücksichtigt.
- Für geldwertes Vermögen wie Sparguthaben oder Aktien gilt beim Kinderzuschlag ein Freibetrag für die erste Person im Haushalt in Höhe von 40.000 Euro, für jede weitere Person kommen 15.000 Euro hinzu.
Entsprechende Regeln gelten im Bereich des SGB II ebenfalls – allerdings nur in der so genannten Karenzzeit, die die ersten zwölf Monate des Leistungsbezugs umfasst (siehe oben 1.4.).
Doch beim Kinderzuschlag wird Vermögen durchgängig immer nur dann berücksichtigt, wenn es erheblich ist. Dies wird im Gesetzesentwurf damit begründet, dass es Sinn der Karenzzeit sei, in der ersten Zeit des Leistungsbezugs wieder eine Beschäftigung aufzunehmen. In Familien, die den Kinderzuschlag erhielten, werde jedoch bereits eine Beschäftigung ausgeübt.