Weiterbildungsförderung nach dem Bürgergeld-Gesetz

Von Benjamin Schmidt | 4. November 2022

Ein Schwerpunkt des neuen Bürgergeld-Gesetzes ist die Förderung von Weiterbildung und Qualifizierungen sowie des Erwerbs von Grundkompetenzen. Was ist dazu im Einzelnen geplant?

Am 10. Oktober 2022 hat die Bundesregierung den Entwurf eines „Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes“ (BT-Drs. 20/3873) vorgelegt. Nach dessen Begründung ist eines der wesentlichen Ziele der zahlreichen vorgesehenen Änderungen, „möglichst viele Leistungsberechtigte im SGB II zu ermutigen, einen Berufsabschluss nachzuholen oder die erforderlichen Qualifikationen anzustreben, damit sie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert werden können und ihre Hilfebedürftigkeit vermindern oder sogar nachhaltig überwinden können“ (BT-Drs. 20/3873, S. 46).

Dieser Ansatz des Gesetzgebers erscheint nicht nur aus der Perspektive des Einzelnen evident sinnvoll, sondern auch gesamtgesellschaftlich. Denn schon heute zeigt sich (trotz Stagnation oder gar Rezession der wirtschaftlichen Entwicklung) vielerorts ein zunehmender Arbeitskräfte- und insbesondere Fachkräftebedarf. Angesichts der demografischen Entwicklung wird sich diese Situation in den nächsten Jahren nach allgemeiner Einschätzung deutlich verschärfen. Hinzu kommen die Anforderungen, die der Strukturwandel an die Beschäftigten stellt. Digitalisierung und Dekarbonisierung der Wirtschaft seien hier nur als Stichworte genannt (siehe zum Ganzen etwa den Beitrag „Mit Weiterbildung gegen die Umbrüche“ von Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in der Frankfurter Rundschau vom 26. September 2022).

Vor diesem Hintergrund sieht der Gesetzentwurf folgende Maßnahmen vor:

Wer wird gefördert?

Der förderungsfähige Personenkreis und die sachlichen Förderungsvoraussetzungen sollen im Wesentlichen unverändert bleiben. Insoweit hat es in den letzten Jahren bereits Leistungsverbesserungen gegeben. Nach wie vor gilt: Die Eintrittskarte für das gesamte System der Weiterbildungsförderung ist der Bildungsgutschein. Er kann von der Arbeitsagentur bzw. vom Jobcenter ausgestellt werden, wenn die Weiterbildung notwendig ist, um Arbeitslose beruflich einzugliedern oder um eine drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden.

Alternativ genügt es auch, wenn durch den Erwerb erweiterter beruflicher Kompetenzen die individuelle Beschäftigungsfähigkeit verbessert wird und die Weiterbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts zweckmäßig ist. Während die Förderung in diesen Fällen im Ermessen des zuständigen Sozialleistungsträgers steht, haben Arbeitslose einen Rechtsanspruch auf einen Bildungsgutschein, wenn sie nicht über einen Berufsabschluss verfügen, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist, oder wenn sie aufgrund einer mehr als vier Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit eine ihrem Berufsabschluss entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben können.

 Welche Leistungen gibt es?

Der Bildungsgutschein berechtigt (ggf. unter Beachtung gewisser Beschränkungen) zur Teilnahme an einer zugelassenen Maßnahme eines zugelassenen Trägers. In diesem Fall übernimmt der Leistungsträger zunächst die anfallenden Weiterbildungskosten. Dazu zählen:

Ihren Lebensunterhalt können die Teilnehmenden während der Weiterbildung auf derselben Grundlage bestreiten wie zuvor: Bestand vor der Maßnahme Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wandelt sich dieser in einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung in derselben Höhe um. Unabhängig von der noch vorhandenen Restanspruchsdauer läuft dieser während der Maßnahme nicht aus. Im Regierungsentwurf des Bürgergeld-Gesetzes ist vorgesehen, dass nach einer mindestens sechsmonatigen Weiterbildung in jedem Fall ein Restanspruch von drei Monaten Arbeitslosengeld in Anspruch genommen werden kann. Für Leistungsberechtigte, die vor der Weiterbildung von Arbeitslosengeld II bzw. Bürgergeld gelebt haben, erbringt das Jobcenter weiterhin diese Leistung.

Daneben soll ab 2023 für Arbeitslose und erwerbsfähige Leistungsberechtigte das neue Weiterbildungsgeld nach § 87a Abs. 2 SGB III gelten. Dabei handelt es sich um einen Zuschuss in Höhe von 150 Euro monatlich, der zusätzlich zu allen anderen Leistungen gezahlt wird und zur freien Verfügung steht. Dadurch soll die Motivation verstärkt werden, den zusätzlichen (materiellen und immateriellen) Aufwand, der mit einer beruflichen Weiterbildung einhergeht, in Kauf zu nehmen (BT-Drs. 20/3873, S. 99 f.). Voraussetzung für die Zahlung ist, dass sich die Weiterbildungsförderung auf eine Maßnahme bezieht, die zu einem Abschluss in einem Ausbildungsberuf führt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist. Die Teilnahme an einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung besonders zu privilegieren, entspricht einem Trend der letzten Jahre.

Dieselbe Voraussetzung gilt etwa im geltenden Recht bereits für die Weiterbildungsprämien, die bislang nur aufgrund einer befristeten Sonderregelung (für Weiterbildungseintritte bis zum 31. Dezember 2023) gewährt werden. Diese Leistung – eine Einmalzahlung in Höhe von 1.000 bzw. 1.500 Euro – soll nun auf Dauer eingeführt werden. Sie knüpft an das Bestehen einer im jeweiligen Ausbildungsrecht geregelten Zwischen- oder Abschlussprüfung an. Mit der Neuregelung in § 87a Abs. 1 SGB III soll zugleich klargestellt werden, dass anstelle einer Zwischenprüfung in Berufen mit gestreckter Abschlussprüfung deren erster Teil ausreichender Anknüpfungspunkt für die Zahlung von 1.000 Euro ist.

Zielt die Weiterbildung nicht auf den Erwerb eines Berufsabschlusses ab, kommt als monatlicher Zuschuss für erwerbsfähige Leistungsberechtigte der neue Bürgergeldbonus in Betracht. Die dafür im Gesetzentwurf vorgesehene Neuregelung des § 16j SGB II soll nicht nur für Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung mit einer Mindestdauer von acht Wochen gelten, für die kein Weiterbildungsgeld gezahlt wird, sondern auch berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, Einstiegsqualifizierungen, Maßnahmen in der Vorphase der Assistierten Ausbildung und Maßnahmen zur Förderung schwer zu erreichender junger Menschen einbeziehen. Schlägt das Jobcenter eine solche Maßnahme vor, soll danach für jeden Monat der Teilnahme Anspruch auf einen Bonus in Höhe von 75 Euro bestehen. Auch dieser zusätzlichen Zahlung wird im Regierungsentwurf eine Anreizfunktion beigemessen (BT-Drs. 20/3873, S. 85).

 Was ist sonst noch geplant?

Als flankierende Maßnahme soll die Regelung des § 180 SGB III geändert werden, die im Zulassungsverfahren zu beachten ist, das Weiterbildungsträger zu durchlaufen haben. Denn die Ausstellung eines Bildungsgutscheins nützt denjenigen Menschen nichts, die keine für sie geeignete zugelassene Weiterbildung finden können. Das ist bislang mitunter der Fall, weil Vollzeitmaßnahmen, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führen, nach geltendem Recht grundsätzlich nur angemessen sind, wenn ihre Dauer gegenüber einer entsprechenden Berufsausbildung um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit verkürzt ist. Das setzt eine gestraffte Wissensvermittlung voraus, die bestimmte Personen überfordert.

Deshalb sieht das Bürgergeld-Gesetz eine Ausnahme für Maßnahmen vor, die auf Arbeitnehmer:innen ausgerichtet sind, bei denen aufgrund ihrer Eignung oder ihrer persönlichen Verhältnisse eine erfolgreiche Teilnahme an einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung nur bei einer nicht verkürzten Dauer zu erwarten ist.

Noch niedrigschwelliger angelegt sind die Weiterbildungsmaßnahmen zum Erwerb von Grundkompetenzen. Das geltende Recht ermöglicht eine solche Förderung aber nur, wenn davon auszugehen ist, dass nach der Teilnahme auch eine berufsabschlussbezogene Weiterbildung erfolgreich absolviert werden kann. An diese Prognose sollen künftig sehr viel niedrigere Anforderungen zu stellen sein. Nach dem Regierungsentwurf soll es genügen, dass der Erwerb der Grundkompetenzen die Grundlage schafft für eine erfolgreiche berufliche Weiterbildung oder allgemein die Beschäftigungsfähigkeit verbessert. Angesichts der in den Gesetzesmaterialien ausgeführten Bedeutung der angesprochenen grundlegenden Fähigkeiten in den Bereichen „Mathematik“, „Schreiben“, „Lesen“ und „Informations- und Kommunikationstechnologien“ (BT-Drs. 20/3873, S. 98 f.) wird sich dies prognostisch kaum verneinen lassen.

Dr. Benjamin Schmidt

Richter am Bundessozialgericht