Inflation und Sozialrecht

Gegen die Entwertung von Sozialleistungen ansteuern

von Eberhard Eichenhofer | 02.05.2023

Wenn die Inflation die Geldforderungen entwertet und Lohn, Rente oder Bürgergeld immer weniger für Lebensnotwendigkeiten wie Energie, Treibstoffe und Lebensmittel reichen, so haben die Betroffenen schwierige Zeiten zu bestehen. Sie müssen deutlich mehr als bisher bezahlen, wogegen ihre Geldeinkünfte stagnieren und mit den steigenden Preisen deshalb nicht Schritt halten. Wie wird darauf sozialpolitisch reagiert und wie sollte reagiert werden?

Wird Lebenswichtiges teurer und können sich Bezieher:innen von Lohn, Rente und Bürgergeld weniger leisten, belastet dies alle, ganz besonders aber diejenigen, die schon bisher nur das Allernötigste hatten. Für manche, ja viele steht dann das Überleben in Frage. Die sozialen Rechte sichern Löhne, Renten und Bürgergeld in einem gewissen Maß. Geht Kaufkraft verloren, werden aber auch Sozialleistungen entwertet, welche die Existenz sichern sollen, was bei sinkender Kaufkraft in wachsendem Maß misslingt. Eine dauerhaft hohe Inflation bedeutet für die Sozialleistungsbezieher:innen ein Verarmungsrisiko.

Woher kommt und was bewirkt die Inflation?

Die aktuelle Inflation war zum einen die Spätfolge der durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Unterbrechung der Lieferketten. Zum anderen stiegen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine die Energiepreise stark an. Beide Ereignisse sind Ausdruck einer rasch und grundlegend geänderten Weltlage und der damit verbundenen Neuausrichtung der Weltwirtschaft. Beide Ereignisse verteuerten lebensnotwendige Güter.

Schon viele Monate lang werden hohe Inflationsraten registriert. Allein im Jahresdurchschnitt 2022 hatten sich die Verbraucherpreise in Deutschland um 7,9 % gegenüber 2021 erhöht (siehe hier).

Im März 2023 betrug die Inflationsrate immer noch 7,4 %. Gegenüber dem Vorjahresmonat (März 2022) verteuerten sich ganz besonders Nahrungsmittel (+ 22,3 %) – und hier insbesondere Gemüse (+ 27,3 %) – sowie Haushaltsenergie (+ 21,9 %). Darunter sind die Preise für Erdgas um 39,5 % und für Strom um 17,1 % gegenüber März 2022 gestiegen (siehe hier).

Steigen Preise für Energie und Lebensmittel und verschlingen sie einen wachsenden Teil des Haushaltseinkommens, sinkt die Nachfrage nach anderen, nicht lebensnotwendigen Gütern und Diensten. Hinken die Einkommen den Preisen hinterher, verarmen Empfänger:innen von Lohn- und Sozialleistungen umso stärker, je niedriger ihr Einkommen ist. Die Inflation belastet Bezieher:innen  mit geringem Einkommen stärker als diejenigen mit durchschnittlichem und überdurchschnittlichem Einkommen.

Wie gegensteuern?

Darauf kann politisch verschieden regiert werden. Zunächst kommen preislenkende und preissenkende Maßnahmen in Betracht. Mancher EU-Staat senkte unterdessen die Preise für Benzin, Gas und Strom bis zum durchschnittlichen Grundverbrauch durch staatliche Anordnungen auf ein erträgliches Ausmaß. Die marktwirtschaftliche Preisbildung (als Mittel rationalen Einsatzes ökonomischer Ressourcen) tritt dadurch außer Kraft. Allerdings sind staatlich limitierte Preise flächendeckend oft schwer zu überprüfen. Andererseits ist der Preisbildungsmechanismus für Energie durch EU-Recht überlagert. Außerdem weist der Energiemarkt eine monopolistische Struktur auf, welcher Preiskontrollen leichter ermöglicht.

Ferner wurden staatliche Ausgleichszahlungen gewährt; sie versuchten bei Empfänger:innen die von Preissteigerungen ausgelösten Belastungen zu lindern (siehe dazu auch den Beitrag von Bertold Brücher in diesem Thema des Monats).

Werden sie als Einmalzahlung an Gruppen mutmaßlicher Bedürftigkeit vergeben, werden einige Belastungen vermindert (siehe dazu auch unser Thema des Monats Inflation: Sichern Zuschläge das Existenzminimum?).

Sie nützen denen am meisten, die am wenigsten haben. Diese Zahlungen schematisieren notwendig und bleiben punktuell. Das heißt nicht, dass sie deswegen unterbleiben müssten. Diese Hilfen sind auch gesamtwirtschaftlich von Belang. Sie lagen unter den Mitgliedstaaten der EU 2022 bei 4–5 % des Bruttoinlandsprodukts.

Soziale Rechte bei Geldentwertung erhalten

Schließlich gilt es gerade auch bei einer massiven Geldentwertung die garantierten sozialen Rechte zu erhalten und zu sichern. Das ergibt sich auch aus internationalen Abkommen, die Deutschland ratifiziert hat. Das Recht auf Arbeit (vgl. Art. 23 ff. der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte [AEMR], Art. 6 f. des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte [IPaktwskR], und Art. 15 der Europäischen Grundrechtecharta [EuGrCh]) gewährleistet das Recht auf die freie Wahl von Erwerbstätigkeit und Arbeitsplatz, das Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit und schließlich das Recht auf gerechte und für den Beschäftigten günstige Arbeitsbedingungen ohne jede Ungleichbehandlung von Menschen.

Das Recht auf Arbeit enthält als zentrales Element die existenzsichernde Entlohnung. Der Grundsatz soll nicht nur die Existenzgrundlage für die Arbeitenden, sondern auch deren Familien sichern. Wortreich und anschaulich umschreibt Art. 7 der Verfassung Brasiliens diese Garantie. Die Lohnempfänger:innen müssen danach die Fähigkeit erlangen, die elementaren Lebensbedürfnisse von sich und ihren Familien nach Wohnung, Nahrung, Erziehung, Gesundheit, Muße, Kleidung, Hygiene, Beförderungsleistungen und sozialer Sicherheit zu befriedigen. Dies umschließt regelmäßige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Kaufkraft. Lohnangleichungen an die Geldwertentwicklung sind daher eine Grundforderung des Rechts auf Arbeit.

 Das Recht auf soziale Sicherheit (vgl. Art. 22 AEMR, Art. 9 IPaktwskR, Art. 34 EuGrCh und Art. 12 Europäische Sozialcharta [ESC]) – im IAO-Übereinkommen Nr. 102 (1952) ausformuliert – gewährleistet jeder und jedem das Recht auf den Genuss sämtlicher wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, welche für die Würde und freie Entwicklung der Person unentbehrlich sind. Das Recht auf soziale Sicherheit ist auf umfassende soziale Teilhabe gerichtet. Der soziale Schutz ist auf diejenigen auszurichten, die in einer Gesellschaft arbeiten oder wohnen – ohne Unterschied nach ihrer gesellschaftlichen Stellung.

Soziale Sicherheit ist durch die Sozialverwaltung bereitzustellen: Sie umschließt eine Teilhabeverpflichtung, die in der Sozialversicherung durch die Bindung der Geldleistungen an die Lohnentwicklung zum Ausdruck gelangt. In Zeiten von Inflation wird dadurch eine Rentenanpassung nötig, welche die Anpassung der Löhne an die Inflation nachvollzieht.

Das Recht auf soziale Fürsorge (vgl. Art. 25 AEMR) ist definiert als ein Recht auf einen „Lebensstandard“, welcher den Berechtigten und seiner Familie „Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung und gesundheitliche Versorgung und notwendige soziale Dienste und das Recht auf Sicherheit bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Verwitwung, Alter sowie anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.“ Sinkt der Lebensstandard inflationsbedingt, ist der frühere Lebensstandard durch Anhebung der Fürsorge wiederherzustellen.

Inflation entwertet soziale Rechte

Die Verteuerung lebensnotwendiger Güter und Dienste ist ökonomisch und sozial folgenreich. Im Rahmen sozialer Menschenrechte wird sie darüber hinaus auch rechtserheblich.

Inflation entwertet nicht nur soziale Rechte, sondern alle Geldvermögen. Steigende Energie- und Lebenshaltungskosten verteuern auch die Kosten der Produktion und vermindern damit die Erträge aus unternehmerischer Tätigkeit – unter Umständen verbunden mit wachsenden Existenznöten. Gehen die Kostensteigerungen auf teure Exporte zurück, fließt ein Teil der Zuwächse ins Ausland – mit der Folge, dass das im Inland verfügbare und nachfragewirksam werdende Einkommen vermindert wird. Die durch Steigerung von Importpreisen getriebene Inflation schmälert daher das Einkommen und Vermögen der gesamten Volkswirtschaft.

Die Folgen dieser Veränderungen sind aber ungleich verteilt. Einige ziehen daraus unerwartete Zusatzgewinne, andere sind von den Folgen wirtschaftlich messbar, aber nicht existenziell betroffen. Dagegen erschüttert die starke Verteuerung die Lebensgrundlagen der am geringsten Verdienenden. Aus der Perspektive sozialer Rechte, die darin dem Grundprinzip der Gerechtigkeit des US-amerikanischen Philosophen John Rawls folgen, ergibt sich daraus, dass die am schlechtesten Gestellten die höchste Aufmerksamkeit verdienen. Daraus erwächst eine umfassende öffentliche Verantwortung für Geldleistungsansprüche: Wird Arbeit entwertet, wenn die Kaufkraft des Lohns inflationsbedingt sinkt, fordert das Recht auf existenzsichernde Löhne deren Anpassung.

Kein Gebot der Statussicherung

Ein allgemeines undifferenziertes sozialrechtliches Gebot der Statussicherung besteht allerdings nicht. Es lässt sich aber umgekehrt auch nicht behaupten, dass gegen die Inflation das Arbeits- und Sozialrecht grundsätzlich nichts zu unternehmen hätte. Die Hilfe geschieht aber differenziert. Im Arbeitsrecht liegt die Priorität bei den Tarifverhandlungen. Dort sind Anpassungen der Löhne unter den Tarifparteien zu vereinbaren. Dadurch sind die Teilhabe der Beschäftigten am Konsum und Ertragszuwächsen der Arbeitgeber zu sichern, zugleich sollten Lohnkostensteigerungen aber nicht ihrerseits weitere Inflationsschübe auslösen, was im Idealfall zum Ausgleich unter Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu führen hat. Ein voller Inflationsausgleich ist zwar aus Sicht der Beschäftigten wünschenswert, kann aber nicht immer gesichert werden.

Erhöhen sich die Lohnkosten für die Unternehmen, müssen diese unter den Bedingungen steigender Kosten und sinkender Nachfrage höhere Löhne zusätzlich erwirtschaften. Staatliche Zuschüsse an Arbeitgeber oder staatliche Vergünstigungen – namentlich Steuer- und Beitragsverschonungen – können diesen Effekt lindern. Die Leistungskraft staatlicher Zuschüsse ist aber begrenzt, auch weil sie Steuermittel beträchtlichen Umfangs erfordern und zu Steuer- und Beitragsausfällen führen, was Rückwirkungen auf die Finanzierung staatlicher Ausgaben hat.

In der aktuellen Krise wurde durch Steuer- und Beitragsfreiheit das Instrument der Einmalzahlungen an Beschäftigte gefördert (siehe auch hier).

Diese erhöhten die Kaufkraft, ohne die Lohnkosten dauerhaft zu erhöhen. Auch die aktuelle Wohngelderhöhung wirkt inflationsbekämpfend, weil Menschen mit geringem Einkommen erstmals oder stärker als bisher bei den Wohnkosten entlastet werden. Falls diese allerdings wegen der Indexmiete steigen, kann die Bezahlung der Wohnkosten schwieriger werden. Hiergegen hilft das Wohngeld nur anteilig und nicht umfassend.

Werden Sozialleistungen als Geldbeträge durch das Gesetz festgelegt – etwa das Bürgergeld (§ 20 SGB II i.V.m. § 28 SGB XII), Leistungen an Asylsuchende (§ 3a Asylbewerberleistungsgesetz), der Höchstbetrag beim Elterngeld (bis 1.800 €, § 2 Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) oder Pflegegeld (§ 37 SGB XI, siehe dazu auch den Artikel von Hans Nakielski in diesem Thema des Monats) –, so kann eine Anhebung nur der Gesetzgeber vornehmen.

Bei einigen Sozialleistungen ist ein regelhafter Anpassungsmechanismus vorgesehen. So orientiert sich etwa Anpassung der Regelbedarfe bei der Sozialhilfe und dem Bürgergeld an einem komplizierten und umstrittenen Berechnungsverfahren auf Basis der alle fünf Jahre durchgeführten Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS), wie sie im SGB II und XII festgelegt ist. Und in den Jahren ohne neue EVS-Daten wird jetzt ein zweistufiges Fortschreibungsverfahren mit einer Basis- und einer ergänzenden Fortschreibung angewandt (Details dazu siehe hier).

Die Einkommensanpassung bei der Rente orientiert sich an der Lohnentwicklung (§ 68 SGB VI), wobei allerdings Dämpfungsfaktoren (insbesondere der Nachhaltigkeitsfaktor) dafür sorgen, dass die Renten nicht genauso angepasst werden, wie es sich nach der Entwicklung der Bruttolöhne bzw. der beitragspflichtigen Entgelte der Versicherten ergeben würde (siehe im Detail dazu hier).

Außerdem kommt es bei der Koppelung der Renten an die Bruttoeinkommen zu einer Zeitverzögerung, weil dabei die Entwicklung der Löhne im Vorjahr zum vorvergangenen Jahr betrachtet wird. Für die Rentenanpassung im Juli dieses Jahres ist also die Veränderung der Bruttolöhne im Jahr 2022 gegenüber 2021 ausschlaggebend. Dies bedeutet, dass bei starker aktueller Inflation die Rentenanpassung an die Lohnentwicklung stark zeitversetzt geschieht. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die Lohnanpassung ihrerseits zeitversetzt einer starken Inflationsentwicklung nachfolgt. Dies hat bei der Rente einen doppelten Zeitverzug bei der Anpassung an die Inflationsentwicklung zur Folge. So entwertet die Inflation die Rente und der Verlust wird durch die Lohnanpassung tendenziell nur unvollkommen nachvollzogen. Die Rentenhebung im Juli 2023 von 4,39 % im Westen und 5,86 % im Osten bleibt somit erheblich hinter der aktuellen Inflationsrate zurück.

Fazit

Die Inflation wird auch dann für soziale Geldleistungen zum allgemeinen Problem, wenn die Sozialleistungen an die Lohnentwicklung gebunden sind. Denn die Regeln über die Anpassung der inflationsbedingt eingetretenen Veränderungen werden erst unter Zeitverzögerung wirksam. Setzt sich zwischenzeitlich die Geldentwertung fort, droht die strukturelle und damit dauerhafte Entwertung der Geldleistungen. Die Planbarkeit der Bedarfsbefriedigung, welche die Basis sozialer Sicherheit ist, wird dadurch entwertet. Die Inflation schwächt den Lohn als Rückgrat der Existenzsicherung und diese Schwächung setzt sich bei den Sozialleistungen fort. Entwertet Inflation soziale Rechte, ist zu handeln, die Lösungen bleiben aber oftmals hinter der Statuswahrung zurück!

Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer

Universitätsprofessor für Sozialrecht und Bürgerliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena i.R.