Sozialrechtliche und sozialpolitische Arbeit der Gewerkschaften

von Bertold Brücher | Juli 2021

Die im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zusammengeschlossenen acht Gewerkschaften haben zusammen knapp sechs Millionen Mitglieder. Zu einer wichtigen Aufgabe des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften gehört die sozialpolitische Arbeit sowie die sozialrechtliche Beratung und sozialgerichtliche Vertretung der Mitglieder. Wie dies konkret abläuft, wird im Folgenden näher erläutert.

Ziele und Motive der DGB-Gewerkschaften

Die im DGB vereinigten acht Mitgliedsgewerkschaften (IG Bauen-Agrar-Umwelt; IG Bergbau, Chemie, Energie; Eisenbahn- und Verkehrsgew.; Gew. Erziehung und Wissenschaft, IG Metall, Gew. Nahrung- Genuss- Gaststätten, Gew. der Polizei, ver.di) sind Teile der einheitlichen Gewerkschaftsbewegung. Der DGB vereinigt die Gewerkschaften zu einer wirkungsvollen Einheit und vertritt ihre gemeinsamen Interessen.

Sowohl der DGB als auch die in ihm vereinigten Gewerkschaften vertreten – unter anderem – die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, treten für die weitere Demokratisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft ein und setzen sich für den Ausbau und die Sicherung des sozialen und demokratischen Rechtsstaates, seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Unabhängigkeit der Gewerkschaftsbewegung ein (siehe hier).

In diesem Rahmen ist es Aufgabe des DGB, die Interessen der Arbeitnehmerinnen und der Arbeitnehmer – einschließlich der Erwerbslosen – in der nationalen, europäischen und internationalen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, in den Sozialversicherungen einschließlich der sozialen Selbstverwaltung sowie im Arbeits- und Gesundheitsschutz und im Arbeits- und Sozialrecht zu vertreten.

Wie sich die sozialpolitische Arbeit gestaltet

Die sozialpolitische Arbeit wie auch die übrigen dem DGB obliegenden Aufgaben finden auf drei Ebenen statt: der des Bundes, der Bundesländer (= Bezirksebene) und der Landkreise und kreisfreien Städte.

Auf der Bundesebene geschieht dies durch den gewählten vierköpfigen geschäftsführenden Bundesvorstand. Die Fachabteilungen in der DGB-Bundesvorstandsverwaltung entwickeln gemeinsam mit und für den geschäftsführenden Bundesvorstand die politischen Strategien des DGB. Sie geben Expertisen zu politischen Grundfragen heraus und schreiben Gutachten und Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen der Bundesregierung (siehe hier). Dazu gehören auch Stellungnahmen zu nahezu allen sozialpolitischen Gesetzen (siehe dazu auch unsere Rubrik „Beschlossene aktuelle Sozialgesetze“). Außerdem erarbeiten die Fachabteilungen zahlreiche Infobroschüren – insbesondere auch zu sozialrechtlichen Themen, wie etwa Tipps für Hartz IV-Empfänger oder Ratgeber für Menschen mit Behinderung.

Die DGB-Bezirke und die DGB-Vertretungen am Sitz der Landesregierungen bilden die landespolitische Lobby der Gewerkschaften. Die DGB-Kreis- und Stadtverbände geben dem DGB in den Kommunen ein Gesicht und eine politische Stimme. Diese ehrenamtliche Ebene ergänzt die hauptamtlich geführten DGB-Bezirke.

So werden also auf allen staatlichen und unterstaatlichen Ebenen die o.a. Interessen vertreten. Auf Bezirksebene – in den Landesvertretungen – werden, vergleichbar der Struktur der Bundesvorstandsverwaltung, Stellungnahmen zu den jeweiligen Landesgesetzen verfasst. So bringen sich auch die Bezirke ins (sozialpolitische) Gesetzgebungsverfahren ein. Ebenso werden dort Informationen zu landesspezifischen Angelegenheiten erarbeitet. Dazu gehört, je nach Ebene, auch die Wahrnehmung in paritätisch besetzten Ausschüssen der Sozialversicherung, des Handwerks und vergleichbarer Einrichtungen.

Auf der Ebene der Kommunen widmen sich die Stadt- bzw. Kreisverbände in ehrenamtlicher Arbeit den vorgenannten Aufgaben – primär durch Vertretung in Fachausschüssen der Stadträte- bzw. Kreistage, durch Gespräche mit Verantwortlichen (z.B. Landrät*innen, Bürgermeister*innen) und Informationsveranstaltungen.

Die sozialrechtliche Beratung und sozialgerichtliche Vertretung

Alle DGB-Gewerkschaften bieten ihren Mitgliedern Unterstützung in rechtlichen Angelegenheiten. So wird in den jeweiligen Satzungen der Gewerkschaften und den dazu erlassenen Richtlinien die Möglichkeit eröffnet, Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen; über die Gewährung entscheidet die jeweils zuständige Stelle der Gewerkschaft.

Diese Rechtsschutzmöglichkeit erstreckt sich vor allem auf die Beratung und rechtliche Vertretung in allen Fragen des Arbeitsrechts, des Sozialversicherungs-, Beamten- und Personalvertretungsrechts sowie in sonstigen Fragen, die aus der Tätigkeit des Mitglieds unmittelbar im Betrieb oder seinem Eintreten für die Gewerkschaft erwachsen. Daneben gibt es – von Gewerkschaft zu Gewerkschaft verschieden – teilweise noch über den oben benannten Kernbereich des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes hinausgehend Unterstützung in anderen Rechtsbereichen.

Bezogen auf den Kernbereich der gewerkschaftlichen Rechtsschutzgewährung ist es satzungsgemäße Aufgabe des DGB, den Rechtsschutz zu organisieren und durchzuführen. Hierfür hat der DGB die DGB Rechtsschutz GmbH gegründet, die zur Ausführung der genannten Aufgaben Rechtsstellen (Rechtsschutzbüros) unterhält. Diese arbeiten, soweit zulässig, auf den Gebieten der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit.

Die mit der Rechtsberatung und Prozessvertretung beauftragten Jurist*innen – in der „Gewerkschaftssprache“ Rechtsschutzsekretär*innen oder Rechtssekretär*innen (zur Phänomenologie siehe hier) genannt – sind nach der Satzung des DGB zuständig in Angelegenheiten

zur Prozessvertretung vor den Gerichten für Arbeitssachen, den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, der Disziplinargerichtsbarkeit und den Finanzgerichten befugt.

Die rund 370 Juristinnen und Juristen (Rechtsschutzsekretär*innen) der DGB Rechtsschutz GmbH sind in 114 Büros sowie temporär an rund 40 weiteren Standorten (Service-Points; Sprechstunden) vertreten und verhelfen im gesamten Bundesgebiet Gewerkschaftsmitgliedern zu ihrem Recht. Unterstützt werden sie dabei von rund 335 Verwaltungsangestellten.

Die Prozessvertretung findet statt in

Im Jahr 2020 haben die Jurist*innen der DGB Rechtsschutz GmbH bundesweit insgesamt 122.003 neue Verfahren aufgenommen (siehe hier).

Im Sozialrecht dominierten dabei in erster Instanz Streitgegenstände aus den Bereichen

Insgesamt hat der DGB Rechtsschutz 2020 etwa 262 Millionen Euro für die Gewerkschaftsmitglieder erstritten (siehe hier). Dabei hat die Rechtsschutz GmbH fast 54 Millionen Euro an Leistungen der Sozialversicherungsträger für die Mitglieder herausgeholt.

Für die Inanspruchnahme des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes entstehen den Gewerkschaftsmitgliedern keine gesonderten Ausgaben,

(dazu näher: https://www.dgbrechtsschutz.de/wir/ueber-uns/wer-wir-sind/ )

Erfolge in der näheren Vergangenheit

Die – auch im Grundgesetz verankerte – gesellschaftspolitische Aufgabe der Gewerkschaften – und hier des DGB als Bund der Gewerkschaften – zeigt sich z. B. eindrucksvoll in der sozialpolitischen Gestaltung während der Corona-Pandemie. Sehr schnell kam es schon im März 2020 – auch auf Druck der Gewerkschaften – zu pandemiebedingten besonderen gesetzlichen Regelungen. Beispielhaft zu nennen sind im Recht der Grundsicherung (SGB II, XII) das vereinfachte Zugangsverfahren oder im Recht der Arbeitsförderung (SGB III) die Verbesserungen und Erhöhungen beim Kurzarbeitergeld (siehe hier und hier).

Der DGB wird sich dafür einsetzen, dass die nur beispielhaft genannten Regelungen auch nach der Pandemie (dann, wenn der Beschluss des Bundestages zur „Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zeitlich abgelaufen ist oder aber der Bundestag diesen Beschluss aufhebt) in vergleichbarer Form fortgeführt werden können.

Perspektiven für (angehende) Jurist*innen

Für angehende Jurist*innen und Sozialrechtler*innen gibt es beim DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften ein breites Betätigungsfeld. Jurist*innen mit 2. Staatsexamen können im Rechtschutz des DGB (DGB Rechtsschutz GmbH) als Prozessbevollmächtigte tätig werden (siehe hier).

Die Aufgabengebiete liegen primär im Arbeits- und Sozialrecht. Von der Beratung bis hin zur Vertretung vor den Gerichten betrifft dies das gesamte Tätigkeitsspektrum, das ansonsten der Domäne der Rechtsanwält*innen vorbehalten ist.

Auch im DGB werden immer wieder Jurist*innen, aber auch Sozialrechtler*innen (mit entsprechendem Master-Abschluss) eingestellt. Hier ist das Aufgabenfeld nicht das der Beratung und Vertretung, sondern die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Sozialpolitik und Sozialrecht – auf der Ebene eines Bezirks (Landesebene) oder der Bundesvorstandsverwaltung (Bundesebene).

Ein vergleichbares Bild gibt es auch bei den acht Gewerkschaften, die unter dem Dach des DGB vereinigt sind, wenn auch hier das Schwergewicht weniger bei der Prozessvertretung, sondern mehr bei der Rechtsberatung für Mitglieder (siehe z. B. für einen Landesbezirk der IG BCE hier) oder bei der gesellschaftswissenschaftlichen und sozialpolitischen Arbeit liegt.

 

Bertold Brücher

ist Referatsleiter Sozialrecht beim DGB-Bundesvorstand