Justizminister:innen sehen keinen Reformbedarf bei der Juristenausbildung

Von Bertold Brücher | 01. August 2024

Bei ihrer Frühjahreskonferenz am 5./6. Juni 2024 in Hannover beschäftigten sich die Justizminister:innen der Länder einmal mehr mit der juristischen – genauer: der volljuristischen – Ausbildung. Sie kamen zu dem Schluss, dass die volljuristische Ausbildung gut geeignet sei und sich bewährt habe und „grundlegender Reformbedarf nicht besteht“ (siehe hier). Als Grundlage für diesen Beschluss diente ein Bericht des Ausschusses zur Koordinierung der Juristenausbildung mit dem Titel „Juristin und Jurist der Zukunft“. Hier werden die Hintergründe zu diesem irritierenden Beschluss erläutert.

Die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister, auch Justizministerkonferenz (kurz: JuMiKo) genannt, ist eine zweimal jährlich tagende Fachkonferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Justizressorts der Länder.  Zu den jeweils im Frühjahr und Herbst eines Jahres stattfindenden Tagungen sind auch die Bundesministerin oder der Bundesminister der Justiz sowie die Sekretärin oder der Sekretär des Rechtsausschusses des Bundesrates eingeladen.

Die JuMiKo befasst sich mit aktuellen rechtspolitischen Themen, u. a. auch mit der Jurist:innenausbildung. Letzteres vor allem deswegen, weil sowohl die Umsetzung der Justizverwaltung als auch die Festlegung von Rahmenbedingungen für Studiengänge in der jeweiligen Landeskompetenz liegt. Die Landesjustizminister:innen und -Se­na­tor:innen können aber auch Empfehlungen gegenüber dem Bundesjustizminister aussprechen.

Andererseits sind die Voraussetzungen für die Befähigung zum Richteramt bundesgesetzlich – hier: im § 5 Abs. 1 Deutsches Richtergesetz (DRiG) – normiert: „Die Befähigung zum Richteramt erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten Prüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung abschließt; die erste Prüfung besteht aus einer universitären Schwerpunktbereichsprüfung und einer staatlichen Pflichtfachprüfung“, heißt es dort.

Die volljuristische Ausbildung, die mit erfolgreich abgelegtem 1. und 2. Staatsexamen beendet ist und zum Richteramt befähigt, dient auch als Voraussetzung für eine berufliche Tätigkeit in den klassischen Rechtsberufen wie Richter:in, Staatsanwalt bzw. Staatsanwältin, Rechtsanwalt bzw. Rechtsanwältin oder Notar:in.

Es gibt inzwischen eine Vielzahl von fachjuristischen Studiengängen, die mit einem Bachelor- oder Masterabschluss enden und nicht zum Richteramt befähigen (siehe auch hier). Einen Einblick in die Möglichkeit, Sozialrecht zu studieren gibt die Homepage des Netzwerks Sozialrecht (siehe hier).

Der innerhalb der JuMiKo für dieses Thema zuständige Ausschuss zur Koordinierung der Juristenausbildung befand 2018, ohne konkreten Auftrag und ohne Frist, sich der Frage der Juristenausbildung zuzuwenden. Hintergrund hierfür waren die besorgniserregenden Analyse-Erkenntnisse aus dem Projektbericht des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) mit dem Titel „Die Ursachen des Studienabbruchs in den Studiengängen des Staatsexamens Jura“, veröffentlicht im September 2017. Demnach brechen 24 % aller Jura-Studierenden nach durchschnittlich erst 6,8 Semestern ihr Studium ab, ohne Abschluss und ohne Folgestudium (s. dazu auch den Beitrag „Mehrere Studien zeigen: Juristenausbildung muss reformiert werden“ in diesem Thema des Monats).

Die Vorgehensweise des Koordinierungsausschusses

Der Ausschuss zur Koordinierung der Juristenausbildung der JuMiKo entschloss sich, durch intensive und strukturierte Interviews zu ermitteln, wie attraktiv die volljuristische Ausbildung ist, welche fachlichen und fachübergreifenden Kompetenz- und Qualitätsanforderungen an Jurist:innen der Zukunft zu stellen sind sowie, welche Herausforderungen an die Juristenausbildung, insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung, gestellt werden.

Er entwickelte detaillierte Leitfäden für die jeweils in den drei Gruppen „Lernende (Studierende und Referendar: innen)“, „Lehrende“ und „Berufsträger: innen“ zu führenden Interviews, die aber unverbindlich waren und flexibel gehandhabt wurden. Zudem gab es keinen Ansatz für die Auswahl der Befragten; so wird in dem Bericht auch eingeräumt, dass die Auswahl „nicht im strengen Sinne repräsentativ“ (a.a.O. S. 13) war.

In zehn Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, NRW, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Saarland und Thüringen) wurden – in vertraulicher Atmosphäre und in der Regel zwei Stunden dauernd – insgesamt 90 Interviews geführt (davon 31 mit Lernenden, 27 mit Lehrenden und 32 mit Berufsträger:innen). 40 % der Befragten waren weiblich, 60 % männlich.; jeweils ca. 25 % der Befragten waren unter 30 oder zwischen 30 und 45 Jahre alt, ca. 40 % waren zwischen 46 und 60 Jahre alt und weniger als 10 % der Befragten waren älter als 60 Jahre. Im Ergebnis umfassten die Interviews jeweils im Durchschnitt rund 25 Druckseiten.

Die Auswertung verzögerte sich, u. a. Pandemie-bedingt, so dass der Bericht erst im März 2024 vollendet werden konnte (siehe dazu ausführlich den Beitrag von Armin Höland in diesem Thema des Monats) und nun Gegenstand der JuMiKo war.

Die Auswertung

Auffällig ist, dass keine (zumindest für die Interviewreihe) allgemeingültigen Festlegungen getroffen wurden, also eine einheitliche Methode fehlt – ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang für die Erstellung einer Studie, die Grundlage für eine Entscheidung von Minister:innen werden sollte. Ebenso wurden keine Parameter für die Auswertung festgelegt.

Es handelt sich bei dem Bericht also eher um die Zusammenfassung von nach Gusto des Ausschusses getroffenen Auswertungen anekdotischer Erzählungen. Von daher ist der Bericht auch keine Studie, auch nichts, welches in irgendeiner Form repräsentativ sein könnte. Aber er ist eben Grundlage eines JuMiKo-Beschlusses. Diese Beschlüsse haben zwar keinen Rechtsetzungscharakter, von ihnen können aber maßgebliche Impulse für die rechtspolitische Entwicklung ausgehen (siehe hier).

In „Auswertung“ der Interviews und unter Behandlung des Berichts stellte dann auch die JuMiKo fest, „dass die volljuristische Ausbildung sich bewährt hat und insgesamt gut geeignet ist, den Absolventinnen und Absolventen das notwendige Fachwissen und die wesentlichen Kompetenzen zu vermitteln, die für eine Tätigkeit in den volljuristischen Berufen erforderlich sind und auch künftig erforderlich sein werden.“ Die Justizminister:innen waren sich dann auch einig, dass bei der Juristenausbildung „grundlegender Reformbedarf nicht besteht“.

Der Beschluss irritiert, insbesondere in Bezug auf den nach Auffassung der JuMiKo nicht vorliegenden grundlegenden Reformbedarf. Denn andere Expertisen kamen zu anderen Ergebnissen (siehe Beitrag „Mehrere Studien zeigen: Juristenausbildung muss reformiert werden“in diesem Thema des Monats).

 JuMiKo-Beschluss: Nicht zielführend

Es bleibt der Eindruck, dass die JuMiKo von vornherein keine großen Änderungen in Gestaltung des Jurastudiums anstoßen wollte. So „schön“ sich der Bericht des Koordinierungsausschusses liest – gerade in den Auszügen aus den Interviews, in denen sich der eine oder die andere Lesende wiedergefunden haben mag –: es sind Anekdoten, an deren Aussagekraft „zwar etwas dran“ ist, die aber keinesfalls den Anforderungen einer empirischen, von Anfang an nach wissenschaftlichen Kriterien aufgebauten Studie standhalten können.

Wahrscheinlich war das auch nicht gewollt – „man“ hätte das Ganze dann auch anders aufgezogen. Was bleibt: Die JuMiKo hat beschlossen – und wird in den nächsten Jahren das Thema „Reform des Jura-Studiums“ nicht anfassen. Es darf bezweifelt werden, dass das zielführend ist im Hinblick auf die gegenwärtige und zukünftige gesellschaftliche Anforderung nach gut ausgebildeten, im Leben stehenden Jurist: innen. Eine breitere, im Ergebnis in dieselbe Richtung zielende Kritik am JuMiKo-Beschluss ist als „Offener Brief an die JuMiKo zur Reform der juristischen Ausbildung – Über das Wie kann man streiten, über das Ob nicht“  von Til Bußmann-Welsch, einem der Mitgründer der iur.reform-Initiative veröffentlicht worden (siehe hier).

Bertold Brücher

ist Referatsleiter Sozialrecht beim DGB-Bundesvorstand