Der aktuelle Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD sieht vor, dass die gerichtliche Zuständigkeit für das Wohngeld, BAföG, den Unterhaltsvorschuss sowie die Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) von der Verwaltungs- auf die Sozialgerichtsbarkeit verlagert wird. Das stößt in der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf massive Kritik (siehe hier). Aus Sicht der Sozialgerichtsbarkeit wächst aber durch dieses Vorhaben zusammen, was zusammengehört.
1. Neue Aufgaben für die Sozialgerichte
Im aktuellen Koalitionsvertrag (KoaV) 2025 wurde eine Vielzahl an Vorhaben zu Arbeit und Soziales vereinbart. Hierbei sticht ein Großprojekt hervor: Die Vereinfachung des Sozialrechts durch Zusammenfassung und bessere Abstimmung von Sozialleistungen (siehe dazu auch hier).
Ziele sind ein rascherer Vollzug und bürgerfreundliche Leistungen aus einer Hand (Zeilen 442-462 KoaV). Im politischen Fokus steht damit (endlich) der seit Jahren diskutierte Befund, dass das Sozialrecht zu komplex ist.
Geplant ist auch die Verlagerung der gerichtlichen Zuständigkeit für die Rechtsgebiete des Wohngeldes, des BAföG, des Unterhaltsvorschussgesetzes sowie der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) von der Verwaltungs- auf die Sozialgerichtsbarkeit (Zeilen 473-475 KoaV). Damit wächst zusammen, was zusammengehört: Denn hierbei handelt es sich schon heute um steuerfinanzierte Sozialleistungen im Sinne des Sozialgesetzbuches (SGB) I, wodurch die allgemeinen und gemeinsamen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs auch für diese Leistungen in den Verfahren vor den Verwaltungsgerichten angewandt werden. Die beschlossene Rechtswegverlagerung nimmt die noch ausstehende materiell-rechtliche Vereinheitlichung von Leistungen zur Reduktion der Komplexität – geplant ist zum Beispiel eine Zusammenlegung von Wohngeld und Kinderzuschlag (Zeilen 443-445 KoaV) – gleichsam prozessual vorweg.
Die Sozialgerichte könnten damit eine bedeutende Schlüsselfunktion bei der Verwirklichung einer einheitlichen vereinfachten Sozialleistungsverwaltung übernehmen. Sie sind dafür bestens gerüstet. Nicht nur haben sie die Kernkompetenz in der sachgerechten praktischen Bearbeitung komplex-strukturierter, teilweise gesetzgeberisch nur unvollkommen ausgestalteter komplementärer Sozialleistungen, sondern verfügen ebenso über Erfahrung mit Eingriffsverwaltung. Sie arbeiten mit einer bürgerfreundlichen Prozessordnung und stehen in ihrer Schlagkraft den Verwaltungsgerichten nicht nach.
2. Sozialgerichte – Garanten eines funktionierenden bürgerfreundlichen Sozialstaats
Umgang mit hoher Komplexität und verzahnten Sozialleistungen
Die Sozialgerichte beschäftigen sich nicht nur mit beitragsfinanzierten Sozialleistungen. Sie blicken auch auf über 70 Jahre Expertise mit steuerfinanzierten Sozialleistungen zurück (siehe auch hier).
Zu diesen gehören zum Beispiel das aus dem Bundesversorgungsgesetz hervorgegangene Soziale Entschädigungsrecht (mit Ausnahme der Kriegsopferfürsorge), das Opferentschädigungsrecht und das Schwerbehindertenrecht, zudem seit über zwanzig Jahren die großen existenzsichernden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilfe, einschließlich der Leistungen für Asylbewerber:innen und Asylbewerber seit den sog. Hartz-Reformen (Arbeitsmarktreformen – Agenda 2010).
Über Jahrzehnte haben die Sozialgerichte dadurch eine tiefgründige Fachexpertise entwickelt sowie wichtige praktische Erfahrungen in der Bearbeitung eines mehr oder weniger gelungenen verzahnten Räderwerks von Sozialleistungen gesammelt, das zudem nicht statisch ist, sondern sehr rege weiterentwickelt wurde und wird. Bildhaft gesprochen handelt es sich um ein eher volatiles Normenkarussell mit sehr kurzen Halbwertszeiten als ein festes Normengefüge. Exemplarisch steht das Dickicht der nur schwer zu durchdringenden Einkommens- und Vermögenszuordnungs- wie auch Anrechnungsbestimmungen, die für die Berechnung der Höhe der Leistungen maßgeblich sind, zugleich aber stetig ergänzt und verändert werden. Die Sozialgerichte stellen sich hierauf immer kurzfristig und fachkundig ein, wodurch stets ein guter Rechtsschutz sichergestellt ist.
Eingriffsverwaltung und komplexe Beteiligtenstrukturen
Prozesse am Sozialgericht sind seit jeher nicht nur Streitigkeiten über das Ob und die Höhe von Sozialleistungen für Einzelne. Prozesse betreffen auch Eingriffe der Behörden in die Lebenswelt der Menschen und spielen hierbei in polygonalen, mehrpoligen Rechtsbeziehungen. Beispielhaft stehen die Verfahren, in denen darüber gestritten wird, ob Menschen versicherungspflichtig beschäftigt sind oder nicht, woraus sich für Arbeitgeber:innen Beitragsnachzahlungen ergeben können und für die betroffenen Menschen vollkommen neue Versorgungssituationen.
Diese Prozesse haben große wirtschaftliche Bedeutung, unter Umständen droht sogar ein Strafverfahren wegen der Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen. Anspruchsvoll sind diese Prozesse wegen der Gemengelage der am Verfahren Beteiligten. Die Entscheidungen wirken stets zwischen mehr als zwei Personen. Betroffen sind primär die erlassenden Behördeen, die (mutmaßlich) versicherungspflichtige(n) Person(en) und die Arbeitgeber:innen. Dabei bleibt es aber nicht. Wegen der Gliederung der Sozialversicherung in die verschiedenen selbständigen Zweige sind zudem regelmäßig drei bis vier weitere Sozialversicherungsträger von Amts wegen zu beteiligen. Das sozialgerichtliche Verfahren ist daher mit all diesen Beteiligten zu führen. Sie haben oft sehr gegenläufige Interessen.
Ein anderes Beispiel herausfordernder mehrpoliger Rechtsbeziehungen ist das „Leistungsdreieck“ zwischen Leistungsempfänger, Behörde (Leistungsträger) und Leistungserbringer. Denn in vielen Rechtsgebieten, beispielsweise im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung, der Arbeitsförderung, des Rechts der Eingliederung und Teilhabe sowie der Sozialhilfe, erhalten Menschen die Leistungen nicht von dem Träger selbst, sondern durch beauftragte Dritte, beispielsweise die Behandlung durch Ärzt:innen. In Prozessen sind daher neben den Rechtsbeziehungen der Leistungsträger zu den Leistungsempfänger:innen auch die Rechtsbeziehungen zu den häufig privaten Leistungserbringern zwingend in den Blick zu nehmen.
Die insbesondere mit der Verlagerung der Streitigkeiten im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) zu erwartenden Prozesse mit unterschiedlichen Interessenlagen (Behörde, Kind, Eltern) treffen daher am Sozialgericht auf bewährte Strukturen und jahrelange Erfahrung.
Das SGG – die passende Prozessordnung
Das Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist prädestiniert, einen reibungslosen und umfassenden Rechtsschutz in den betroffenen Rechtsgebieten zu gewähren. Denn in diesen geht es häufig um Leistungen, die für eine bestimmte Dauer monatsweise erbracht werden. Entsprechend umfassen die Bewilligungen in der Regel mehrere Monate. Typischerweise muss die ursprüngliche Bewilligung während des Zeitraums abgeändert werden, da die Höhe der Leistung vom Einkommen abhängt, welches schwanken kann.
Geht eine Person gegen die ursprüngliche Bewilligung vor und ändert die Behörde diese zwischenzeitlich durch einen zweiten Bescheid, muss die betroffene Person nicht aktiv werden. Denn das SGG kennt für diese Situation ein passendes und bürgerfreundliches Instrument mit den § 86 und § 96 SGG: Änderungsbescheide werden automatisch in das Verfahren gegen die ursprüngliche Bewilligung von Gesetzes wegen einbezogen. Das gerichtliche Verfahren hält damit mit der sich ändernden Lebenswirklichkeit stets Schritt. Über vergleichbares verfügt die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hingegen nicht.
Und auch in anderer Hinsicht hält das SGG das passende Werkzeug bereit: Wenn unklar ist, von welcher Behörde eine Person eine Leistung erhält. Diese Abgrenzungsfrage stellt sich gerade bei den steuerfinanzierten Leistungen häufig. Kommt in einem Prozess ein Anspruch gegen einen anderen als den ursprünglich beklagten Träger in Betracht, muss die betroffene Person wiederum nicht aktiv werden. Denn das Gericht kann den anderen Träger in das vorhandene Verfahren als Beigeladenen einbeziehen und sogar, wenn der Anspruch tatsächlich besteht, verurteilen (§ 75 Abs. 5 SGG).
Die betroffene Person muss somit nicht zwei Verfahren voneinander unabhängig führen. Dies hat sich insbesondere in der Schnittstelle zwischen Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende genauso bewährt wie im Recht der Teilhabeleistungen. Ein vergleichbar schlagkräftiges bürgerfreundliches Instrument kennt die VwGO wiederum nicht. Sie bürdet vielmehr den Beteiligten das Risiko auf, dass der falsche Leistungsträger in Anspruch genommen wird bzw. zwei Prozesse gegen unterschiedliche Träger geführt werden müssen.
Das Verfahren des SGG ist zudem niedrigschwellig zugänglich. Es gilt der Meistbegünstigungsgrundsatz, wonach das Gericht davon ausgeht, dass Rechtsschutzsuchende (im Zweifel) den Antrag stellen wollen, der ihnen objektiv am besten zum formulierten Ziel verhilft. Dieses Prinzip verhilft – unabhängig von der Art der beanspruchten Sozialleistung – gerade i nicht anwaltlich vertretenen Rechtsschutzsuchenden schnell zu wirksamem Rechtsschutz.
3. Sozialgerichte als Garanten schnellen Rechtsschutzes
Verfahrenslaufzeiten – Zahlen lesen, aber richtig!
Nur schnelles Recht ist gutes Recht. Das gilt umso mehr für Sozialleistungen, die den Lebensunterhalt (zumindest mit-)sichern. Die Sozialgerichte sind dazu uneingeschränkt in der Lage. Es besteht kein Anlass zur Vermutung, dass die Sozialgerichte perspektivisch für die Bearbeitung von Verfahren der im KoaV 2025 genannten Rechtsgebiete länger benötigen und somit im Ergebnis schlechteren Rechtsschutz gewähren werden als die derzeit dafür noch zuständige Verwaltungsgerichte, wie in der Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 2025 (siehe hier) unterstellt wird. Im Gegenteil, eine genaue und differenzierte Heranziehung des zu beiden Gerichtsbarkeiten veröffentlichten amtlichen statistischen Materials (siehe hier) zeigt einen schnelleren Rechtsschutz für Betroffene in der Sozialgerichtsbarkeit. Ein belastbarer Vergleich der Verfahrenslaufzeiten erfordert, alle der Sache nach vergleichbaren Zahlen umfassend in Rechnung zu stellen und gleichzeitig die Gemeinsamkeiten, aber auch (strukturelle) Unterschiede zu berücksichtigen. Er hat die Bestands- und Eingangsentwicklung zu berücksichtigen, den Anteil der Verfahren mit Ermittlungsaufwand in Rechnung zu stellen, bei den Verfahrenslaufzeiten in der zweiten Instanz zwischen Berufungs- und Zulassungsverfahren zu unterscheiden und vor allem auch die Verfahrenslaufzeiten im praktisch wichtigen einstweiligen Rechtsschutz einzubeziehen.
Blende aufmachen, das ganze Panorama betrachten
Die Daten zu Verfahrenslaufzeiten erfassen nur, wie lange Verfahren gedauert haben, bis sie abgeschlossen waren, jedoch nicht die Entwicklung der Bestandszahlen der noch nicht beendeten, anhängigen Verfahren oder die Neueingänge. Wird beides nicht berücksichtigt, droht jedoch ein deutlich verzerrtes Bild. Denn ein vermehrter Abbau der noch anhängigen (älteren) Verfahren lässt die durchschnittliche Verfahrensdauer ansteigen. Gleichzeitig führen hohe Eingangszahlen zumeist auch zu einer hohen Anzahl an solchen Verfahren, die sich in kurzer Zeit erledigen; die durchschnittliche Verfahrensdauer sinkt dadurch. Erledigung ist also nicht gleich Erledigung.
Dieser Zusammenhang zeigt sich deutlich in den Daten des Statistischen Bundesamtes. Lagen die gesamtdurchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten der erstinstanzlichen Klagen der Sozialgerichte 2021 bis 2023 (gleichbleibend) bei 17,9 Monaten, betrugen diejenigen vor den Verwaltungsgerichten 2021 noch 18,7 und 2022 18,4 Monate. Erst 2023 sank dieser Wert auf 16,4 Monate.
2023 bauten die Sozialgerichte 12 Prozent ihres Bestands ab, die Verwaltungsgerichte hingegen nur 4 Prozent. Dies ging einher mit einem Zuwachs an Eingängen von fast 8 Prozent, wohingegen die Eingänge an den Sozialgerichten um weitere 3 Prozent zurückgingen. 2021 und 2022 waren die Abbauraten an Beständen an Sozial- und Verwaltungsgerichten nahezu identisch, beide Gerichtsbarkeiten hatten zudem ähnliche Eingangsbelastungen. Bei diesen vergleichbaren Parametern ergaben sich in der Sozialgerichtsbarkeit kürzere Verfahrenslaufzeiten und damit ein schnellerer Rechtsschutz für die Rechtsschutzsuchenden.
Es steht zudem zu erwarten, dass sich die Entwicklung aus 2023 fortsetzt, denn im Bereich der Asylverfahren sind die Neueingänge bei den Verwaltungsgerichten gestiegen, der Bestandsabbau wird geringer ausfallen oder unter Umständen Bestand zusätzlich aufgebaut werden. Gleichzeitig deutet sich bei den von den Landessozialgerichten intern erhobenen Daten an, dass sich die Eingangszahlen in der Sozialgerichtsbarkeit bis jedenfalls 2024 weiter verringert haben und der Bestandsabbau weiter voranschreitet. So liegt das Durchschnittsalter der aktuell noch anhängigen Klagen an den Sozialgerichten deutlich unter der bisherigen Verfahrenslaufzeit von 17,9 Monaten, das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg sei dabei nur stellvertretend (pars pro toto) genannt (siehe hier, Jahresbericht 2024, S. 9/10).
Diese Betrachtung zeigt: Es reicht nicht, den Fokus auf die reinen Erledigungslaufzeiten zu verengen. Man muss die Blende aufzumachen, um den Lichteinfall zu vergrößern und um sachgerecht das ganze Panorama zu sehen.
Umfang und Anteil der (Amts-)Ermittlung beeinflusst die Verfahrenslaufzeit
Dies gilt auch für einen weiteren Parameter, der die Verfahrensdauer beeinflusst: Der Umfang der notwendigen (richterlichen) Ermittlungen. Diese sind für die Laufzeit eines Verfahrens oftmals prägend, hängt das Gericht hierbei doch praktisch maßgeblich von der Mitwirkungsfreude von Verfahrensbeteiligten und Dritten (Zeugen, Sachverständigen) ab.
So braucht es nicht selten mindestens drei Monate, bis ein medizinisches Fachgutachten erstellt worden ist. Ein ehrlicher Vergleich muss daher folgende strukturelle Diskrepanz berücksichtigen: Die Sozialgerichte haben nach wie vor einen hohen Anteil an Streitigkeiten in den (sozial-)medizinisch geprägten Rechtsgebieten der Sozialversicherung (Kranken-, Pflegeversicherung, Renten- und Unfallversicherung) sowie im Schwerbehindertenrecht. Während in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Jahren 2021 bis 2023 in unter einem Prozent der Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht und höchstens zwei Prozent der Berufungsverfahren Beweis erhoben wurde, ist in der Sozialgerichtsbarkeit der Anteil der Verfahren, in denen mindestens ein Gutachten eingeholt worden ist, um ein Vielfaches höher (mit über 17 Prozent in den Klage- und über 14 Prozent in Berufungsverfahren).
Unterschiedliche Verfahrensarten vor den Rechtsmittelgerichten – Vergleich von Äpfeln mit Birnen oder was ist im Korb?
Auch die Verfahrenslaufzeiten aller Verfahren in der zweiten Instanz sind nicht ohne Weiteres vergleichbar. Grund hierfür sind unterschiedliche Verfahrensarten. Je nach Umständen des Einzelfalls können Rechtsschutzsuchende sich gegen ein Urteil des Sozial- und Verwaltungsgerichts entweder durch Berufung wehren oder die Zulassung der Berufung beantragen. Ein Berufungsverfahren eröffnet eine volle zweite Tatsacheninstanz (einschließlich Amtsermittlung, dazu oben).
Im Unterschied dazu beschränkt sich die Prüfung bei einer Berufungszulassung auf wenige, eng definierte Zulassungsgründe, z. B. Verfahrensfehler in der ersten Instanz. Ob solche Gründe vorliegen, wird von den Landessozialgerichten von Amts wegen ermittelt, in der Verwaltungsgerichtsbarkeit hingegen nicht. Hier müssen die Gründe von den Rechtsschutzsuchenden innerhalb einer strengen Ausschlussfrist dargelegt werden. In der Praxis scheitern Anträge in der Verwaltungsgerichtsbarkeit vielfach bereits an dieser Frist. Es liegt auf der Hand, dass diese Zulassungsverfahren weniger Aufwand begründen und schneller abzuarbeiten sind als ein handfestes Berufungsverfahren.
Die Laufzeiten aller Verfahren in der zweiten Instanz zu vergleichen ist damit der sprichwörtliche Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Der Korb 2021 bis 2023 zeigt: Die zweite Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit bearbeitete zu über 80 Prozent die schnell erledigten Zulassungsverfahren, während bei den Landessozialgerichten mehr als 90 Prozent der Verfahren die aufwändigen, rechtsschutzintensiveren Berufungen waren. Ein valider Vergleich braucht daher differenzierte Daten zu den Verfahrenslaufzeiten, unterteilt in Berufungen und Zulassungsverfahren. Während solche zu den Landessozialgerichten veröffentlicht sind, fehlen solche für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und damit schlichtweg vergleichbare Daten.
Die (praktische) Königsdisziplin – einstweiliger Rechtsschutz
Die betroffenen Leistungen dienen der Sicherung des Lebensunterhalts und müssen schnell ihr Ziel erreichen, mehrere Monate auf das Ende des Klageverfahrens zu warten ist in der Regel unmöglich. Dann kommen Leistungen zu spät. Denn Menschen können bekanntlich nicht in der Vergangenheit leben oder rückwirkend Förderung und Unterstützung erfahren. Daher ist der gerichtliche Eilrechtsschutz von elementarer Bedeutung. Eine Bewertung des Rechtsschutzniveaus für Betroffene muss daher die Verfahrenslaufzeiten im Eilrechtsschutz zwingend in den Blick nehmen.
Hier zeigt sich, dass die Sozialgerichtsbarkeit die Nase deutlich vorn hat. Im Durchschnitt der Jahre 2021 bis 2023 lag die Laufzeit in erstinstanzlichen Verfahren der Sozialgerichte bei 1,23 Monaten, in der zweiten Instanz bei 1,47 Monaten. Im Vergleich dazu benötigten die Verwaltungsgerichte 1,93 Monate, die zweite Instanz durchschnittlich 2,9 Monate.
Dieser Vergleich ist auch valide. Die oben dargestellten, bei den Klageverfahren einflussreichen Parameter der Eingänge und Bestände wirken sich aufgrund der sehr kurzen Laufzeiten im Eilrechtsschutz nicht maßgeblich aus. Auch ist der Ermittlungsaufwand um ein Vielfaches geringer, da die bloße Glaubhaftmachung in der Regel ausreicht und damit kein Vollbeweis durch Amtsermittlung erreicht werden muss.
4. Ein richtiger Schritt zur Stärkung des Rechtsschutzes Betroffener
Die geplante Verlagerung der gerichtlichen Zuständigkeit für Verfahren zum Wohngeld, BAföG, Unterhaltsvorschuss und zur Kinder- und Jugendhilfe auf die Sozialgerichtsbarkeit ist begrüßenswert und wird den Rechtsschutz Betroffener stärken. Die Sozialgerichtsbarkeit ist nicht zuletzt seit Einführung der Hartz-IV-Reformgesetze.2005 sturmerprobt. Sie hat ihre fachliche Flexibilität mit der Übernahme von bis dahin in der Verwaltungsgerichtsbarkeit angesiedelten wie auch gänzlich neu geschaffenen Rechtsmaterien unter Beweis gestellt. Eine Fortsetzung dieser Erfolgsgeschichte ist daher mit guten Sachgründen zu erwarten.
Doris Armbruster
ist Richterin am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Aufgaben der Präsidialverwaltung.