Vor und zurück: Was aus der Modernisierung der Sozialversicherungswahlen wurde

von Hans Nakielski | März 2021

Mit dem „Gesetz Digitale Rentenübersicht“ will die Bundesregierung auch eine „Modernisierung der Sozialversicherungswahlen“ erreichen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber: Bei der „Fortentwicklung“ der Regelungen zu den Sozialwahlen macht der Gesetzgeber einen Schritt vor und einen halben zurück.

Alle sechs Jahre werden die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane bei den gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherungsträgern im Zuge einer Sozialversicherungswahl (SV-Wahl) neu gewählt. Dies kann in Form einer Wahl mit direkter Wahlhandlung (Urwahl) erfolgen oder auch in Form einer so genannten Friedenswahl.

Bei Letzterer einigen sich die Kandidierenden auf eine gemeinsame Vorschlagsliste oder es werden auf mehreren Vorschlagslisten insgesamt nicht mehr Bewerber*innen genannt als Mitglieder zu wählen sind. Die „Friedenswahl“ ist nach § 46 Abs. 2 SGB IV ausdrücklich vorgesehen. Sie wurde in der Vergangenheit bei der überwiegenden Mehrheit der Sozialversicherungsträger praktiziert. So fanden bei der letzten Sozialwahl 2017 unter den 161 Sozialversicherungsträgern, bei denen gewählt wurde, nur zehn Urwahlen statt (darunter nur eine auf der Arbeitgeberseite). Bei den anderen 151 Trägern gab es – sowohl auf der Versicherten- wie auf der Arbeitgeberseite – Friedenswahlen (also Wahlen ohne Wahlhandlung und Wähler).

Nicht nur die Gewerkschaften, auch die Arbeitgeberverbände haben sich klar für die (weitere) Möglichkeit von Friedenswahlen ausgesprochen. „Wahlhandlungen zu erzwingen, obwohl es nur einen Vorschlag gibt, ergibt keinen Sinn,“ meinen etwa die Arbeitgeber in ihrer Stellungnahme zum Gesetz Digitale Rentenübersicht (S. 13).

Die Friedenswahl entspricht laut einer Grundsatzentscheidung des Bundessozialgerichts vom 15. November 1973 (Az.: 3 RK 57/72) auch den Normen des Verfassungsrechts und dem Demokratieprinzip.

Gleichwohl wird immer wieder gefordert, dass bei allen Sozialversicherungsträgern zwingend Urwahlen stattfinden müssten. Die Bundesregierung hat sich dieser Position – ebenso wie die Bundeswahlbeauftragte in ihrem Schlussbericht zur Sozialwahl 2017 (S. 215 ff.) – nicht angeschlossen.

Allerdings sollen mit dem kürzlich verabschiedeten Gesetz Digitale Rentenübersicht „die Rahmenbedingungen für Urwahlen verbessert“ werden. Ziel des Gesetzes in puncto Sozialwahlen ist es weiterhin, „die Selbstverwaltung zu stärken, den Bekanntheitsgrad der SV-Wahlen zu steigern, die Wahlbeteiligung zu erhöhen“ (sie lag 2017 bei den Urwahlen bei 30,42 Prozent), „die Transparenz des Wahlverfahrens zu verbessern sowie den Frauenanteil in der Selbstverwaltung zu erhöhen“. So steht es auf Seite 2 im Gesetzentwurf (BT-Drs. 19/23550).

Der Frauenanteil liegt in den Vertreterversammlungen und Verwaltungsräten der Sozialversicherungsträger nur bei knapp 23 Prozent und in den Vorständen der Renten- und Unfallversicherungsträger bei gerade 20 Prozent.

Mit dem am 18. Februar 2021 in Kraft getretenen Gesetz (siehe dazu auch hier) dürfte wohl nur ein Teil dieser Ziele erreicht werden.

Auch sonstige Arbeitnehmervereinigungen dürfen kandidieren

Zur Beurteilung der beschlossenen Gesetzesänderungen ist es wichtig zu wissen, wer auf der Versichertenseite überhaupt zu den Sozialwahlen kandidieren darf. Sieht man sich die Listen an, die auf der Versichertenseite in den Verwaltungsräten und Vertreterversammlungen der Sozialversicherungsträger agieren, dann findet man dort nicht nur bekannte Arbeitnehmerorganisationen wie ver.di, IG Metall, IG BAU, NGG, DGB, KAB (Katholische Arbeitnehmer-Bewegung) oder CGB (Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands), sondern auch Vereine, die meistens so ähnlich heißen wie die Träger, bei denen sie vertreten sind: zum Beispiel TK-Gemeinschaft, BARMER VersichertenGemeinschaft, DAK-Mitgliedergemeinschaft, KKH-Versichertengemeinschaft, hkk-Gemeinschaft oder BfA DRV-Gemeinschaft. Diese weniger bekannten Vereine waren bei den vergangenen Urwahlen äußert erfolgreich. Sie errangen bei den Versicherungsträgern, deren Namen sie im Vereinsnamen mit sich führen, die meisten Stimmen. Diese Vereine zählen zu den so genannten sonstigen Arbeitnehmerorganisationen.

Nach § 48 Abs. 1 SGB IV haben nämlich nicht nur anerkannte Gewerkschaften, sondern auch „andere selbstständige Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) sowie deren Verbände“ das Recht, Vorschlagslisten zur Sozialwahl einzureichen.

In § 48a Abs. 1 SGB IV wird näher definiert, welche rechtlichen Anforderungen an die Arbeitnehmervereinigungen gestellt werden. Sie müssen entweder die „arbeitsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewerkschaftseigenschaft erfüllen“ (also Gegnerfreiheit, Streikfähigkeit, Tariffähigkeit etc.) oder „nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, der Zahl ihrer beitragszahlenden Mitglieder, ihrer Tätigkeit und ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit ihrer sozial- oder berufspolitischen Zwecksetzung und die Unterstützung der auf ihren Vorschlag hin gewählten Organmitglieder und Versichertenältesten bieten. Die sozial- und berufspolitische Tätigkeit darf sich nicht nur auf die Einreichung von Vorschlagslisten zu den Sozialversicherungswahlen beschränken, sondern muss auch als eigenständige Aufgabe der Arbeitnehmervereinigung die Verwirklichung sozialer oder beruflicher Ziele für die versicherten Arbeitnehmer umfassen.“

Mit anderen Worten: Es darf sich bei den sonstigen Arbeitnehmervereinigungen nicht nur um reine „Wahlvereine“ handeln, die nur antreten, um Mandate in der Selbstverwaltung zu erringen, ansonsten aber kaum sozial- oder berufspolitisch in Erscheinung treten. Die Vereinigungen sollen also eine sozial- bzw. berufspolitische „Mächtigkeit“ haben.

Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) schon in seinem Urteil vom 14. Juni 1984 (Az.: 1/8 RK 18/83) ausgeführt: Es soll sich um Vereinigungen von Arbeitnehmern handeln, die den schon in § 48 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV a.F. geforderten sozial- und berufspolitischen Zwecksetzungen nicht nur auf dem Papier, sondern dadurch genügen müssen, dass sie sich im Sozial- und Berufsleben durch erkennbare praktische Aktivitäten auch faktisch engagieren. Lässt eine Vereinigung solche Aktivitäten nicht erkennen, kann sie dem begründeten Verdacht ausgesetzt sein, dass sie nur zu dem Zweck formal gegründet worden ist, um in den Organen der Versicherungsträger die Position der Willensbildung zu besetzen, aber nicht im Sinne des Gesetzes zu betreiben. Daher formulierte das BSG seinerzeit, dass es eben gerade keine bloßen „Wahlvereine“ sein dürften.

Doch wie soll bestimmt werden, ob eine sonstige Arbeitnehmerorganisation sozial- oder berufspolitisch mächtig genug ist, um die Interessen der Versicherten dauerhaft und ernsthaft zu vertreten? Dazu nennt das Gesetz – neben einigen eher verschwommenen Voraussetzungen – nur ein hartes Kriterium in § 48a Abs. 4 SGB IV: Die Vereinigungen benötigen „von Beginn des Kalenderjahres vor dem Kalenderjahr der Wahlausschreibung an“ (für die nächste Wahl im Jahr 2023 also ab Anfang 2021) „ständig“ eine bestimmte „Anzahl beitragszahlender Mitglieder“. Das von ihnen aufgebrachte Beitragsaufkommen soll „die Arbeitnehmervereinigung in die Lage versetzen, ihre Vereinstätigkeit nachhaltig auszuüben und den Vereinszweck zu verfolgen“.

Unterschriftenquorum abgesenkt

Wie viele beitragszahlende Mitglieder die Arbeitnehmervereinigungen haben müssen, hängt von der Größe des Versicherungsträgers ab, bei dem sie kandidieren. Hier orientiert sich das Gesetz an den Bestimmungen in § 48 Abs. 2 SGB IV. Dort wird – je nach Größe des Versicherungsträgers – festgelegt, wie viele Unterstützer-Unterschriften von den Versicherten eine Vereinigung benötigt, wenn sie bei den Sozialwahlen kandidieren will und bisher noch nicht mit mindestens einem Vertreter in der Selbstverwaltung vertreten ist. Hier hat der Gesetzgeber nun eine bedeutende Änderung eingeführt: Das Unterschriftenquorum wurde erheblich abgesenkt.

Während z.B. bisher bei Trägern mit 100.001 bis 500.000 Versicherten Unterschriften von 250 (wahlberechtigten) Personen für eine (erstmalige) Kandidatur notwendig waren, reichen nun nur noch Unterschriften von 100 Personen aus. Bei Versicherungsträgern mit mehr als 3 Mio. Versicherten (dazu zählen derzeit acht Krankenkassen, mindestens drei Rentenversicherungsträger und mindestens sechs Berufsgenossenschaften) sind nun nur noch 1.000 Unterschriften notwendig, zuvor waren es mit 2.000 Unterschriften doppelt so viele.

Durch die Absenkung des Unterschriftenquorums will der Gesetzgeber „Vorschlagslisten den Zugang zu den Wahlen erleichtern“. Es soll also zu mehr Urwahlen kommen, indem die Unterschriftenhürde für neu kandidierende Listen abgesenkt wird.

Erforderliche „Mitgliedermächtigkeit“

Doch gleichzeitig soll die Absenkung des Unterschriftenquorums nicht dazu führen, „dass eine wesentliche Änderung bei der erforderlichen Mitgliedermächtigkeit“ der kandidierenden Arbeitnehmervereinigungen eintritt, wie es in der Gesetzesbegründung heißt. Deshalb wurde nun in § 48a Abs. 4 SGB IV, wo es um die erforderliche Zahl der beitragszahlen Mitglieder der Vereinigungen geht, eine wichtige Änderung vorgenommen, die auch Auswirkungen auf die erforderliche Mitgliederzahl hat. Denn diese ist – wie bereits erwähnt – an die Zahl der (nach § 48 Abs. 2 SGB IV) benötigten Unterschriften gekoppelt.

Bisher mussten die Arbeitnehmervereinigungen nur die Zahl der beitragszahlenden Mitglieder vorweisen, die mindestens „der Hälfte“ der nach § 48 Abs. 2 SGB IV geforderten Unterschriftenzahl entspricht. Da das Unterschriftenquorum nun aber gesenkt wurde, wurden als „Folgeregelung“ die beiden Wörter „der Hälfte“ aus der Gesetzespassage gestrichen. Das bedeutet: Bei einigen Sozialversicherungsträgern müssen die Vereinigungen künftig mehr Mitglieder nachweisen, wenn sie zur Sozialwahl zugelassen werden wollen. So mussten zum Beispiel bisher bei Trägern mit 10.001 bis 50.000 Versicherten mindestens 15 zahlende Mitglieder nachgewiesen werden. Künftig sind es 25. Bei Trägern mit 501.000 bis 1.000 000 Versicherten mussten bisher 250 zahlende Mitglieder existieren, nach dem neuen § 48 a Abs. 4 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 SGB IV sind künftig 300 Mitglieder notwendig.

Doch bei diesem kleinen Schritt vor – hin zu einer etwas höheren „Mitgliedermächtigkeit“ – gibt es auch gleich wieder einen Schritt zurück: Für die nächste Wahl im Jahr 2023 soll nämlich bei den erforderlichen Mitgliederzahlen alles beim Alten bleiben. Das regelt der neue § 129 SGB IV, der die Überschrift trägt: „Übergangsregelung für die Zulassung von Arbeitnehmervereinigungen für die Sozialversicherung im Jahr 2023“.

Damit wird sich wohl nichts daran ändern, dass – wie in der Vergangenheit (insbesondere bei den Ersatzkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund) – Gruppierungen als Versichertenvertreter bei Urwahlen antreten werden, die nur wenige Mitglieder haben und sozialpolitisch und finanziell relativ schwach sind.
Die Fachzeitschrift Soziale Sicherheit hatte schon bei einer Recherche vor der letzten Sozialwahl aufgezeigt, dass nur wenige der bei den Urwahlen so erfolgreichen sonstigen Arbeitnehmerorganisationen ihre Mitgliederzahlen preisgeben. Die höchste damals von den befragten Vereinigungen genannte Mitgliederzahl lag bei 5.500 (bei der KKH-Versichertengemeinschaft), andere gaben lediglich an „über 1.000“ Mitglieder zu haben. „Einige Vereinigungen dürften erhebliche Probleme (gehabt) haben, die gesetzliche Hürde bei den Mitgliederzahlen zu überspringen“, schrieb die Zeitschrift in der Ausgabe 3/2017.

Die BARMER GEK Versichertenvereinigung, die seit 1999 bei der BARMER stets die zweitstärkste Liste war, musste nach längerem Schweigen vor der letzten Wahl sogar offen zugeben, dass der Verein „nicht die zur Teilnahme an der Sozialwahl 2017 notwendigen 1.000 Mitglieder“ hat. Die Vereinigung wollte daraufhin mit der konkurrierenden BARMER GEK-Gemeinschaft fusionieren. Doch die Fusion scheiterte nach internen Querelen und einer gerichtlichen Anfechtung, wie die Soziale Sicherheit in ihrer Ausgabe 9/2017 berichtete. Das Landgericht Hamburg erklärte die Fusion für unwirksam (Az.: 322 O 410/15), u.a. weil im Verschmelzungsbericht „eine Darstellung der Mitgliederzahlen der beiden am Verschmelzungsvorgang beteiligten Vereine“ fehlte.

Die Mindestanforderungen einer Organisation, die sich bei den Sozialversicherungswahlen bewirbt, müsse lückenlos geprüft werden, fordert der DGB in seiner Stellungnahme zum Gesetz Digitale Rentenübersicht (S. 18).

Das betrifft auch die „Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit“ der sozial- oder berufspolitischen Aktivitäten der sonstigen Arbeitnehmervereinigungen. Diese beschränken sich meist völlig auf Aktivitäten in den Selbstverwaltungsgremien. Ansonsten treten die Vereine kaum in Erscheinung. Noch nicht einmal dann, wenn es in Gesetzesvorlagen um die ureigensten Interessen der Versicherten und die eigenen Interessen der Selbstverwalter*innen geht. So lagen zwar zum Entwurf des jetzt beschlossenen Gesetzes, in dem die Modernisierung der Sozialversicherungswahl geregelt wird, über 40 Stellungnahmen von Verbänden  beim Bundessozialministerium vor. Eine Stellungnahme von einer „sonstigen Arbeitnehmervereinigung“ oder dem Dachverband (Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Mitgliedergemeinschaften der Ersatzkassen e.V. – AGuM) findet sich darunter aber nicht.

Zusatz mit Namen des Versicherungsträgers künftig für alle Listen erlaubt

Die Wahlerfolge der sonstigen Arbeitnehmervereinigungen, die den Namen des Versicherungsträgers mit sich führen, hängen wesentlich mit ihren Namen zusammen. Die Namen und Logos dieser Vereinigungen wechselten so häufig, wie Versicherungsträger ihr Erscheinungsbild und ihre Namen änderten. So änderte etwa die vormalige „BARMER GEK-Gemeinschaft“ schleunigst ihren Namen in „BARMER VersichertenGemeinschaft“, als die Kasse beschlossen hatte, sich ab 2017 nur noch „BARMER“ zu nennen. Auch die Logos und Schriftzüge, mit denen sich die Vereine präsentieren, sehen den Versicherungsträgern, bei denen sie zur Wahl antreten, vielfach zum Verwechseln ähnlich. Offensichtlich meinen viele Wähler: Wenn sie das Kreuz bei einer Vereinigung machen, die fast so wie ihre Kasse oder ihr Rentenversicherungsträger heißt, dann haben sie „ihre“ Versicherungsvertreter*innen gewählt.

Nach den Vorschriften des Sozialwahlrechts mussten bisher die Listenbezeichnungen den satzungsgemäßen Bezeichnungen der sie tragenden Organisationen entsprechen. Deshalb durfte zum Beispiel die IG Metall nur als Liste „IG Metall“ bei der Sozialwahl antreten. Das hat sich nun durch das neue Gesetz geändert. Nach der darin novellierten Wahlordnung für die Sozialversicherung (SVWO) ist es jetzt möglich, zum regulären Namen in der Satzung einen Zusatz hinzuzufügen, „der die Bezeichnung des Versicherungsträgers oder einen den Versicherungsträger kennzeichnenden Teil dieser Bezeichnung enthält“. So dürfte sich zum Beispiel künftig eine Liste „IG Metall in der Deutschen Rentenversicherung Bund“ nennen.

Mehr Transparenz bei der Listenaufstellung

Die in einer Vorschlagsliste aufgeführten Bewerber*innen sollen künftig in einem transparenteren Verfahren aufgestellt worden sein. Deshalb muss künftig ein Protokoll über die Aufstellung der Bewerber*innen angefertigt werden (§ 48 Abs. 8 SGB IV). Darin soll insbesondere festgehalten werden,

Neu ist künftig auch, dass Listenzusammenlegungen nur noch „bis zum Ende der Einreichungsfrist beim Wahlausschuss“ erfolgen können. Auch so soll die Zahl der Urwahlen erhöht werden, „indem strategische Listengestaltungen erschwert werden“. Die Möglichkeit einer Listenverbindung (etwa der Liste des DGB mit der Liste der IG Metall) bleibt aber – entgegen dem ursprünglichen Gesetzentwurf – erhalten, „um bei der Ermittlung des Wahlergebnisses nach dem Höchstzählverfahren d’Hondt […] weiterhin eine bessere Reststimmenverwertung zu ermöglichen“.

Einführung einer Frauenquote

Um den Anteil von Frauen in den Vertreterversammlungen der Renten- und Unfallversicherungsträger zu erhöhen, sollen Frauen und Männer bei der Aufstellung einer Vorschlagsliste möglichst zu jeweils mindestens 40 Prozent berücksichtigt werden. Außerdem soll der Frauenanteil bei der Listenaufstellung so verteilt werden, dass von jeweils drei aufeinanderfolgenden Listenplätzen mindestens ein Listenplatz mit einer Frau zu besetzen ist (§ 48 Abs. 10 SGB IV).

Allerdings macht der Gesetzgeber auch hier einen Schritt vor und wieder einen kleinen Schritt zurück: Denn bei der neuen Frauenquote in der Renten- und Unfallversicherung handelt es sich nur um eine „Soll-Regelung“. Sie muss nicht eingehalten werden. Wird die Quote oder die Verteilung nicht eingehalten, muss dies jeweils aber zumindest begründet werden. Die Begründungen sind im Protokoll aufzunehmen und mit der Vorschlagsliste beim Wahlausschuss einzureichen. Bei einer fehlenden Begründung handelt es sich um einen „behebbaren Mangel“ nach der Wahlordnung (SVWO). Wenn innerhalb der Mängelbeseitigungsfrist (§ 22 Abs. 3 Satz 2 SVWO) der Mangel nicht behoben wird, sind diese Vorschlagslisten zurückzuweisen.

Mit der „Soll-Regelung“ soll „im Einzelfall möglichen Umsetzungsproblemen – insbesondere im Bereich der Unfallversicherung – Rechnung getragen werden“, heißt es in der Gesetzesbegründung. Deshalb werde ermöglicht, dass in begründeten Ausnahmefällen von der Quotenvorgabe abgewichen werden kann.

Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung gilt allerdings schon seit Ende 2019 eine „Muss-Regelung“ zur Quote in der Selbstverwaltung: Bei den Orts-, Betriebs-, Innungs- und Ersatzkrankenkassen „hat jede Vorschlagsliste mindestens 40 Prozent weibliche und 40 Prozent männliche Bewerber zu enthalten“ (§ 48 Abs. 9 SGB IV n.F. – vormals § 48 Abs. 6a SGB IV).

Auch bei der Aufstellung der Vorschlagslisten für den ehrenamtlich tätigen Vorstand bei der Renten- und Unfallversicherung „sollen“ jeweils mindestens 40 Prozent Frauen berücksichtigt werden (§ 52 Abs. 1a SGB IV). Auch hier kann es aber wiederum begründete Ausnahmefälle geben.

Frauenquoten für die hauptamtlich tätigen Vorstände bei den Krankenkassen bzw. die hauptamtlichen Geschäftsführungen bei den Renten- und Unfallversicherungsträgern gibt es noch nicht. Mit dem Zweiten Führungspositionengesetz (FüPoG II), über das gerade im Bundestag beraten wird, soll aber auch in Körperschaften des öffentlichen Rechts – wie den Krankenkassen und bei Renten- und Unfallversicherungsträgern sowie bei der Bundesagentur für Arbeit – eine Mindestbeteiligung von einer Frau in mehrköpfigen Vorständen eingeführt werden. Das wird aber wohl erst frühestens Ende 2025 gelten…

Hans Nakielski

ist Dipl.-Volkswirt und Fachjournalist für Arbeit und Soziales in Köln