Tarifgerechte Entlohnung in der Langzeitpflege

Retrospektive und Befunde aus NRW

von Michaela Evans-Borchers | 27. August 2025

Mit dem „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ (GVWG, 2021) wurde ab September 2022 die „tarifgerechte Entlohnung“ in der Langzeitpflege eingeführt. Diese markiert einen weiteren Meilenstein in der langen Geschichte der Lohnaufwertung in der Altenpflege. Ziel ist es, die Attraktivität des Pflegeberufs durch eine Verbesserung der Entlohnung zu erhöhen. Wie kam es dazu? Welche Wirkungen deuten sich an und welche Herausforderungen werden erkennbar?

Bereits im Jahr 1988 – noch vor Einführung der sozialen Pflegeversicherung (SPV) in Deutschland – wurden Strukturprobleme der Arbeit in der Langzeitpflege erkennbar. Diese konkretisierten sich u. a. im Entlohnungsniveau der Beschäftigten. Wenige Jahre nach Einführung der SPV rückten, angesichts einer verstärkten Lohnkonkurrenz der Träger in der Langzeitpflege, die Entlohnungsbedingungen der Beschäftigten verstärkt in den politischen und öffentlichen Fokus.

Folgende Entwicklungen waren prägend: Zum einen verabschiedete sich die Politik mit der markt- und wettbewerbsorientierten Konzeption der Pflegeversicherung von der bis dato prägenden Sicht, dass soziale Dienstleistungen fernab von marktlichen Steuerungsmechanismen erbracht werden sollten. Mit dem Abschied vom Selbstkostendeckungsprinzip änderten sich für Träger in der Altenpflege die Refinanzierungsbedingungen für Personalkosten grundlegend.

Zum anderen war der Pflegesektor vor Einführung der SPV wesentlich durch die Wohlfahrtsverbände und kommunale Träger geprägt. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden kommt bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Sozialstaats eine bedeutende Rolle zu. Denn im Rahmen institutionalisierter Arbeitsbeziehungen werden die Einsatz- und Anwendungsbedingungen von Arbeit üblicherweise über kollektivvertragliche Regelungen normiert. Im Pflegesektor sind dies insbesondere Tarifverträge (Erster Weg) und kirchliche Arbeitsrechtsregelungen (Dritter Weg).

Mit Einführung der SPV gewannen private Träger zunehmend Marktanteile. Sie waren jedoch oftmals nicht an einen Tarifvertrag gebunden.

Die Trägerstrukturen des Pflegesektors aus öffentlichen, freigemeinnützigen, freigemeinnützig-konfessionellen und zunehmend privat-gewerblichen Trägern spiegelten sich – entgegen dem klassischen deutschen Modell industrieller Beziehungen – zunehmend in fragmentierten Arbeitsbeziehungen und Tarifstrukturen wider.

Träger der Altenpflege mussten sich nunmehr in einem lokalen Markt unter der Annahme behaupten, dass andere Träger mit niedrigeren Vergütungssätzen und Preisen eine bessere Wettbewerbsposition einnehmen konnten. Die Erosion von Flächentarifverträgen, die Diversifizierung kollektivvertraglicher Regelungen ebenso wie die Fragmentierung tarifpolitischer Verhandlungsarenen prägten in den Folgejahren die Entwicklung (siehe hier).

Zugleich fehlten für die gewerkschaftliche Tarifpolitik etablierte und verpflichtungsfähige Strukturen auf Seiten der organisierten Arbeitgeber (siehe hier, S. 227).

Die Folgen der fragmentierten Arbeitsbeziehungen für die Löhne in der Altenpflege wurden im Zuge der Einführung des Pflegemindestlohns im August 2010 erkennbar. Bei den stationären Einrichtungen waren immerhin 17,6 % der ostdeutschen und 10,5 % der westdeutschen Beschäftigten von der Mindestlohneinführung insofern betroffen, als dass ihre Löhne in den Mindestlohnbereich fielen. In der ambulanten Pflege lag dieser Anteil in Ostdeutschland zugleich deutlich höher als in Westdeutschland (siehe hier, S. 98)

Ausgehend hiervon galt es zu eruieren, wie das Lohnniveau der Beschäftigten auch leistungsrechtlich abgesichert werden kann.

Ortsübliche Vergütung ab Mitte 2008

Mit dem am 1. Juli 2008 in Kraft getretenen Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes (PfWG, 2008) wurde die „ortsübliche Vergütung“ für Beschäftigte im Pflegesektor eingeführt. Als „ortsüblich“ galt eine Entlohnung, die Arbeitnehmer:innen für dieselbe oder eine vergleichbare Tätigkeit am Ort gezahlt wird. Ziel der Regelung war es, Anbieter, die nicht mindestens die ortsübliche Vergütung zahlten, von der Zulassung durch Versorgungsvertrag auszuschließen.

Galt für die Branche vor Ort kein Tarifvertrag, war die ortsübliche Vergütung das allgemeine Lohnniveau für diese Tätigkeit in der jeweiligen Branche. Dieses allgemeine örtliche Lohnniveau sollte in Anlehnung an den statistisch ermittelten Durchschnitt der vor Ort geltenden Löhne bestimmt werden. Unter „Ort“ war die Stadt oder der Landkreis zu verstehen (siehe hier, S. 7f).

Mit den Pflegestärkungsgesetzen I bis III (PSG, 2015 bis 2017) folgten nach Einführung des Pflegemindestlohns weitere politische Maßnahmen. Diese zielten auf die Anerkennung der Wirtschaftlichkeit einer Entlohnung nach Tarifvertrag oder kirchlicher Arbeitsrechtsregelung (siehe dazu auch den Beitrag von Sandrina Hurler in diesem Thema des Monats) sowie auf Maßnahmen zur Einhaltung der Bezahlung der Mitarbeitenden im Pflegesektor (siehe hier).

Der Bundesrat (BR) begrüßte die im Rahmen der PSG vorgenommenen Änderungen, die einen Gleichklang der leistungsgerechten Bezahlung zwischen tarifgebundenen und nicht-tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen zum Ziel hatten. Zugleich wurde kritisiert, dass diese Regelungen tief in das Vergütungsrecht des SGB XI eingriffen und deren Umsetzung noch nicht absehbare Konsequenzen bei den Vergütungen in der stationären und ambulanten Pflege sowie der Verhandlung dieser Vergütungen zwischen Kostenträgern und Leistungsanbietern nach sich ziehen könne (siehe hier, S. 9).

„Konzertierte Aktion Pflege“: Verbesserung der Entlohnungsbedingungen als Ziel

In den Jahren nach der Einführung des Pflegemindestlohns zeigte sich, dass die Löhne in der Altenpflege, nicht zuletzt bedingt durch die Arbeitsmarktlage, stiegen. Gleichwohl unterschieden sich die Löhne nach wie vor erheblich zwischen den Pflegeberufen, den Bundesländern sowie den verschiedenen Pflegeeinrichtungen (siehe hier, S. 8).

Zentraler Bezugspunkt der Beratungen in der AG 5 „Entlohnungsbedingungen in der Pflege“ der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) war, dass das zentrale Ziel der KAP – die Erhöhung der Attraktivität des Pflegeberufs – maßgeblich auch darauf abzustellen habe, dass die Wertschätzung von Pflegekräften auch und insbesondere durch eine angemessene Entlohnung ausgedrückt wird.

Die Lohnzuwächse der Vorjahre waren nicht ausreichend, um die Lohndifferenz zwischen dem schlechter bezahlten Pflegepersonal in der Altenpflege und dem besser bezahlten in der Krankenpflege zu verringern; zugleich wurde eine hohe Schwankungsbreite der Löhne im Pflegesektor konstatiert (siehe hier, S. 157, S. 160).

Die KAP-Arbeitsgruppe 5 sollte einen Weg suchen, im Pflegesektor unter Wahrung der Tarifautonomie und des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts flächendeckend angemessene Tarifstrukturen zu etablieren. Ergebnis war das Pflegelöhneverbesserungsgesetz (PflegeLohnVG, 2019), das den Paragrafen 7a des Arbeitnehmer-Entsendegesetztes (AEntG) novellierte.

Zwischen der 2019 neu gegründeten Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) und ver.di wurde der „Tarifvertrag Altenpflege“ verhandelt. Als jedoch die erforderliche Zustimmung der beiden großen kirchlichen Arbeitsrechtskommissionen zum „Tarifvertrag Altenpflege“ im Februar 2021 nicht vorlag, konnte das avisierte Verordnungsverfahren zur Erstreckung der tarifvertraglichen Regelungen nicht angestoßen werden.

Die tarifgerechte Entlohnung nach GVWG

Um dennoch das Ziel zu erreichen, die Beschäftigten in der Pflege oder Betreuung nach Tarif zu entlohnen, führte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG, 2021) (siehe hier) ab September 2022 die tarifgerechte Entlohnung ein. Prägend für die „tarifgerechte Entlohnung“ ist eine neue Governance zwischen Tarifpolitik und Sozialstaat (siehe hier).

Die Bezahlung nach Tarif wurde eine Voraussetzung für die Zulassung zur Versorgung. Der Begriff „Tariftreue“ trifft auf die gesetzlichen Neuregelungen insofern nicht zu, als dass Pflegeeinrichtungen die Zulassungsvoraussetzung über

erhalten können.

Zur Frage der Wirtschaftlichkeit und damit der Refinanzierungsfähigkeit vereinbarter Löhne in Vergütungsverfahren entwickelte der Gesetzgeber die Regelungen aus den Pflegestärkungsgesetzen weiter. Die Vergütungen sind entsprechend zu vereinbaren, vorausgesetzt die Entlohnung der Beschäftigten ist wirtschaftlich im Sinne des Pflegeversicherungsrechts, die Einrichtungsträger zahlen entsprechende Löhne an ihre Beschäftigten und können das gegenüber den Leistungsträgern auch nachweisen (siehe hier).

Die durch die GVWG normierten Neuregelungen sind nicht zuletzt durch die Definition der Region als Bundesland nicht mit der vorherigen „ortsüblichen Arbeitsvergütung“ vergleichbar.

Die Umsetzung der tarifgerechten Entlohnung spannt sich zwischen den Handlungsarenen des Sozialrechts, der Tarifautonomie und des Individualarbeitsrechts auf. Mit der Etablierung der Geschäftsstelle „Tarifliche Entlohnung in der Langzeitpflege“ beim GKV-Spitzenverband wurde für die Umsetzung zudem eine neue Institution etabliert (siehe hier, S. 259).

Befunde aus NRW

In Nordrhein-Westfalen hatte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS NRW) als erstes Bundesland im Zuge der Umsetzung der „tarifgerechten Entlohnung“ eine Studie beauftragt, um die Wirkungen der gesetzlichen Neuregelungen für dieses Bundesland in einer frühen Phase abzuschätzen (siehe hier).

In der Ende 2023 erschienenen Analyse für NRW zeigte sich, dass sich durchaus positive Effekte in Form von Lohnsteigerungen durch die gesetzlichen Neuregelungen abzeichneten. Das „regional übliche Entlohnungsniveau“ war zugleich eine häufig gewählte Zulassungsoption, allerdings waren auch deutliche länderspezifische Unterschiede in der Anteilsverteilungen nach den von den Pflegeeinrichtungen/-diensten gewählten Zulassungsoptionen erkennbar. Die Anteile der nicht-tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen, die sich zum Untersuchungszeitpunkt zwischen November 2021 und Juni 2023 für die Zulassungsoption des „regional üblichen Entlohnungsniveaus“ entschieden hatten, variierte zwischen den Bundesländern zwischen 46 % (NRW) und 86 % (Sachsen-Anhalt).

Eine Erhöhung der Tarifbindung durch die gesetzlichen Neuregelungen war zu diesem Untersuchungszeitpunkt für NRW nicht erkennbar.

Zudem zeichneten sich Kostensteigerungen ab. Der von den Heimbewohner:innen zu zahlende einrichtungseinheitliche Eigenanteil (EEE) bei den nordrhein-westfälischen vollstationären Einrichtungen in privater Trägerschaft erhöhte sich zwischen 2021 und 2022 um 35 %. Im Vergleich dazu lag die Steigerung über alle vollstationären Einrichtungen im selben Zeitraum in NRW bei 14 %. Höhere Löhne für Beschäftigte in Pflege und Betreuung führten zu einer Erhöhung der Eigenanteile der Pflegebedürftigen in Heimen bzw. zu Kostensteigerungen für ambulante Pflegeleistungen (siehe hier).

Im Jahre 2024 lag die Tarifbindung im Pflegesektor bundesweit mit 36 % nach wie vor auf niedrigem Niveau. Bundesweit erfüllten von den nicht-tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen 45,8 % die Zulassungsvoraussetzungen über das „regional übliche Entlohnungsniveau“. Das regional übliche Entlohnungsniveau pro Stunde lag 2021 über alle drei Beschäftigtengruppen (Pflegehilfspersonal, Pflegeassistenzpersonal, Pflegefachpersonal) hinweg noch bei 19,90 Euro, dieser Wert stieg bis 2024 auf 22,60 Euro – ein Zuwachs um mehr als 13 %. Allerdings variieren die Lohnzuwächse stark zwischen den Bundesländern (siehe hier).

Was sind Herausforderungen und Chancen?

Es zeichnet sich ab, dass die gesetzlichen Neuregelungen durchaus zu einer Verbesserung des Entlohnungsniveaus für die Beschäftigen in der Pflege und Betreuung geführt haben. Gleichwohl deuten sich hier auch unterschiedliche länderspezifisch Entwicklungspfade an.

Damit Entgelte in ihrer Struktur und Höhe angesichts der unterschiedlichen Zulassungsoptionen für die Beschäftigten auch nachvollziehbar sind, bedarf es betrieblicher Entgelttransparenz.

Während tarifgebundene Pflegeeinrichtungen Transaktionskosten bei der Lohnfindung (u. a. durch Tarifverhandlungen, Verhandlungen in Arbeitsrechtlichen Kommissionen) haben, trifft dies auf tarifungebundenen Pflegeeinrichtungen nicht zu. Sie profitieren von verhandelten Tarifsteigerungen.

Das Datenberechnungs- und Meldeverfahren wird von den tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen/-diensten in der Pflegepraxis als aufwendig beschrieben. Hier gilt es, Möglichkeiten zur Reduzierung der Mehraufwände auszuloten.

Kehrseite der Lohnerhöhungen in der Altenpflege sind die damit verbundenen Kostensteigerungen für pflegebedürftige Menschen. Bereits in der KAP wurde darauf hingewiesen, dass für eine Verbesserung der Entlohnung eine Anhebung der Leistungsbeträge und damit eine verbesserte Finanzausstattung der Pflegeversicherung dringend erforderlich sein werde (siehe hier, S. 76).

Und schließlich: Löhne in der Pflege haben zwar einen Einfluss auf die Teilnahme potenziell Beschäftigter auf dem Arbeitsmarkt, jedoch nur geringe Auswirkungen auf den Beschäftigungsumfang (siehe hier).

Kollektivvertragliche Regelungen (Tarifverträge, kirchliche Arbeitsrechtsregelungen) eröffnen über die Entlohnung hinaus die Möglichkeit, die Attraktivität des Pflegeberufs – etwa über die Arbeitszeitgestaltung – für die Beschäftigten verlässlich zu gestalten. Oder anders: Jenseits der gesetzlichen Neuregelungen geht es um mehr als Löhne.

Michaela Evans-Borchers

ist Direktorin des Forschungsschwerpunktes „Arbeit und Wandel“ am Institut für Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen