Stärkere Förderung von Weiterbildung für den Arbeitsmarkt von Morgen

Von Eberhard Eichenhofer | August 2020

Mit dem neuen „Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und der Weiterentwicklung von Ausbildungsförderung“ vom 20.Mai 2020 (BGBl.I S.1044) – plakativ „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ genannt –, soll die Weiterbildung durch Instrumente der Arbeitsmarktpolitik stärker als bisher gefördert werden. Das Gesetz trat in Teilen Ende Mai in Kraft. Die Neuregelungen zur Weiterbildung werden zumeist am 1. Oktober 2020 gelten. Hier ein Überblick darüber.

Die neuen Förderregelungen zur Weiterbildung bauen auf dem 2019 in Kraft getretenen „Gesetz zur Stärkung der Chancen auf Qualifizierung und für sozialen Schutz in der Arbeitslosenversicherung“ vom 18.Dezember 2018 (BGBl. I S.2651) auf. Sie sollen damit einen Beitrag zu der von Sozialpartnern, Ländern, Kammern und mehreren Bundesministerien verabredeten „nationalen Weiterbildungsstrategie“ leisten. Das sog. „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ greift den seit Bestehen des Arbeitsförderungsgesetzes (1969) – dem Vorläufer des Sozialgesetzbuches (SGB) III – verfolgten Gedanken auf, dass die Beschäftigungschancen von Menschen umso höher sind, je umfassender ihre beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten entwickelt sind. Bildung wird damit zum Schlüssel für Arbeit.

Traditionell verfolgte die Arbeitsförderung dies durch Erstausbildung und Umschulung. Gegenwärtig sollen die durch die Digitalisierung der Arbeitswelt sich ergebenden Folgen mittels neuer Instrumente zur Förderung der Weiterbildung durch finanzielle Zuwendungen der Bundesagentur für Arbeit bewältigt werden.

Der Wandel zur digitalen Arbeitswelt löst einen zweifachen Weiterbildungsbedarf aus: Einmal fordern neue Arbeitsprozesse neue Kenntnisse und Fertigkeiten. Zum anderen ersetzen digitale Prozesse die vormals analog ausgeübten Arbeitsvorgänge. Es fallen also nicht nur neue Aufgaben an, die durch Weiterbildung bewältigt werden können, sondern es fallen auch bisherige Arbeiten weg. Deshalb sollen Menschen ohne Beschäftigung durch Bildungsmaßnahmen für neue Arbeitsaufgaben befähigt werden. Auf beide Herausforderungen sucht das Gesetz eine Antwort.

Vielfältiger Ausbau der Weiterbildungs-Förderung

Es baut auf den bestehenden Regeln zu beruflicher Weiterbildung auf und weitet die Möglichkeiten zur Förderung erheblich und vielfältig aus. Der Ausbau geschieht vielfältig, nämlich durch die

Künftig soll geförderte Weiterbildung – unabhängig von Qualifikation, Lebensalter und Betriebsgröße – für (fast) alle Beschäftigten möglich werden. Ausnahmen bestehen einzig für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die innerhalb der letzten vier Jahre ihre Ausbildung vollendet oder bereits eine Weiterbildungsmaßnahme durchlaufen haben.

Förderfähig sind die künftig großzügiger bemessenen Weiterbildungskosten, ferner der Ersatz für weiterbildungsbedingten Ausfall des Arbeitsentgelts. Schließlich können schon Weiterbildungsangebote ab 120 Stunden gefördert werden; bisher waren dafür mindestens 160 Stunden nötig. Die Fördersätze erhöhen sich gegenüber dem bisherigen Recht um 10 Prozentpunkte sowie um weitere 5 Prozentpunkte, falls das Weiterbildungsangebot auf sozialpartnerschaftlicher Grundlage (Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag) angeboten wird (s. Schaubild).

Durch einen Sammelantrag – Bündelung der Weiterbildungsgesuche mehrerer Beschäftigter – wird das Bewilligungsverfahren vereinfacht. Kurzarbeit, Transfergesellschaften und Assistierte Ausbildung werden als für Weiterbildung besonders geeignete Lebenslagen identifiziert und mit gezielten Förderregeln bedacht.

Das Schaubild zu den Neuregelungen bei den Fördermöglichkeiten für Beschäftigte macht einige sozialpolitische Prioritäten des neuen Gesetzes sichtbar. Es zeigt und verdeutlicht namentlich, dass die Förderung mit

Gezielte Anregung zur Weiterbildung in besonderen Lebenslagen

Darüber hinaus bezweckt die Reform, die Weiterbildung in besonderen Lebenslagen gezielt anzuregen. Dies geschieht

Angemessene Antwort auf die Digitalisierung

In der Würdigung ist dem Gesetz zu bescheinigen, eine angemessene Antwort auf die mit der Digitalisierung verbundenen Veränderungen der Arbeitswelt zu geben. Das Gesetz zeigt also Weit- und Umsicht. Es leistet einen Beitrag zur Vermeidung von Sozialleistungsfällen und ist damit als Ausdruck präventiver Sozialpolitik zu verstehen und darin zu unterstützen.

Es ließe sich jedoch der Einwand formulieren: Weiterbildung liegt im Interesse der Arbeitgeber; also mögen auch die Arbeitgeber die Weiterbildung voll tragen. Aber diese Folgerung wäre kurzsichtig – sie wäre jedenfalls der auf der Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit setzenden Strategie unterlegen.

Das Gesetz entlastet die Arbeitgeber zunächst nicht umfassend, sondern nur zum Teil und ferner hängt das Ausmaß der Entlastung von der Unternehmensgröße ab. Die Unterstützung kommt also den kleinen Unternehmen in höherem Maße zu als den großen. Dadurch werden zugleich primär diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gefördert, deren Chancen auf eine Weiterbildung ohne Förderung deutlich geringer wären.

Das Gesetz erschließt ferner den Tarifvertragsparteien und Betriebsräten neue Tätigkeitfelder – mit der Aussicht, die Tarifbindung dadurch zu erweitern und einvernehmliche Lösungen auf betrieblicher Ebene zu befördern. Weiterbildung kann dadurch zum beherrschenden Thema von Betriebsratsarbeit werden.
Die Einbeziehung der Grenzgänger in den Leistungsbezug ist aus europarechtlichen Gründen – Sicherung der Gleichbehandlung von Wanderarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern sowie Ortsansässigen – sachgerecht und daher geboten. Kurzarbeit und Transfergesellschaften mit Weiterbildungsangeboten anzureichern und damit der Lebensphase einen Sinn zu geben, ist im Sinne eines reflektierten arbeitsmarktpolitischen Krisenmanagements sachgerecht.

Die Regelungen werten die Stellung der Bundesagentur für Arbeit im Weiterbildungsgeschehen entscheidend auf. Es ginge zwar sicher zu weit, ihr nun das Attribut: „Einrichtung für Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenversicherung und Weiterbildung“ zu geben. Denn sie ist nicht deren Trägerin, sondern das Weiterbildungsgeschehen wird von Bildungsträgern vielfältiger Art bestimmt. Dies soll sich auch nicht ändern.

Aber der Weiterbildungsauftrag hat ein doppeltes Gesicht: Er ist unproblematisch wahrzunehmen, soweit er die Schulung von Beschäftigten für neue Techniken zum Gegenstand hat. Der Weiterbildungsauftrag ist aber schwer zu erfüllen, wenn es darum geht, Menschen, die durch den technologischen Wandel bedingt, ihre Arbeit verloren haben, durch Weiterbildung auf neue Arbeitsaufgaben vorzubereiten. In der Zeit der Transformation der ostdeutschen Wirtschaft nach 1990 wurden hier zahlreiche Erfahrungen gesammelt – und nicht nur positive. Nicht immer erweiterten die unterbreiteten Weiterbildungsangebote für die „Kunden“ deren Horizont und vor allem erwiesen sie sich nicht immer als die Eintrittskarte in die sachgerechte und tragfähige Fortsetzung eines wegen Strukturwandels unterbrochenen Erwerbslebens.

Hier ist die jetzt Bundesagentur gefragt. Sie muss namentlich für die Weiterbildung wegen des Wegfalls von Arbeitsplätzen infolge des digitalen Wandels Weitblick und Realitätssinn beweisen. Die gerade ihr zur Verfügung stehenden Kenntnisse über Arbeitsmarktentwicklungen sollten ihr dabei nützlich werden können. Das dies geschehen kann, sichert das Gesetz. Dieses wird vor allem dann wirken, wenn die Bundesagentur die darin liegende Aufgabe wahrnimmt und überlegt ausfüllt.

Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer,

Universitätsprofessor für Sozialrecht und Bürgerliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena i. R.