Sozialrechtliche Regulierung der Entlohnung in der Pflege

von Sandrina Hurler | 07. August 2025

Gute Entlohnung in der Pflege steht schon seit Längerem im Fokus der Öffentlichkeit. Selten wird jedoch darüber debattiert, inwieweit hierfür die Ausgestaltung des Sozialrechtes relevant ist. Dabei ist das Leistungserbringungsrecht von zentraler Bedeutung für die Vergütung in der Pflege. Sozialrechtliche Regelungen können sogar die Anwendung von Tarifverträgen und die Tarifbindung begünstigen oder verhindern.

Sozialrecht als Grundlage der Pflegevergütung

Die Grundlagen der Vergütung in der Pflegebranche regelt das Sozialgesetzbuch (SGB) XI. Pflegeeinrichtungen, die Leistungen für die Pflegeversicherung erbringen möchten, müssen Versorgungsverträge mit den Kostenträgern – also den Pflegekassen – abschließen. Diese Verträge sind an gesetzliche Voraussetzungen geknüpft (sog. Leistungserbringungsrecht). Dazu zählt auch die Entlohnung des eingesetzten Personals, insbesondere der Pflegekräfte. Der Gesetzgeber nimmt hier direkten Einfluss auf die Gehaltsstruktur in der Pflege.

Beim Start der Pflegeversicherung ging es um möglichst günstige Pflegeleistungen

Bei Einführung der Pflegeversicherung 1995 war eine angemessene bzw. gute Entlohnung noch kein zentrales politisches Ziel. Im Vordergrund stand eine möglichst kostengünstige Pflegegrundversorgung. Es galt seitdem das Marktprinzip in der Pflege und nicht mehr das frühere Selbstkostenerstattungsprinzip. Der Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern sollte gefördert werden und der Markt wurde auch für private Anbieter geöffnet: Pflegeleistungen sollten kostengünstig sein. Wirtschaftlich und damit erstattungsfähig waren laut dem Bundessozialgericht (BSG) zunächst nur die „unteren Preise am Markt“ – selbst tarifliche Löhne konnten als unwirtschaftlich angesehen werden (BSG vom 14.12.2000 – B 3 P 19/00 R, Rn. 23 f.).

Der Druck auf die Preise stieg, was sich wiederum in dieser personalintensiven Branche direkt auf die Personalkosten und Löhne niederschlug. Es begann ein Kostensenkungswettlauf, die Privatisierung und Tarifflucht nahmen zu.

Abkehr vom reinen Marktprinzip

Es erfolgte jedoch schließlich eine Abkehr vom reinen Marktprinzip. Den Hintergrund dafür bildetet die Rechtsprechung des BSG aus dem Jahr 2009, wo das oberste deutsche Sozialgericht feststellte, dass Tariflöhne immer wirtschaftlich seien (BSG vom 29.1.2009 – B 3 P 7/08 R, Rn. 37 sowie BSG vom 17.12.2009 – B 3 P 3/08 R).

Die Entscheidung des BSG wurde durch das Pflegestärkungsgesetz I aus dem Jahr 2014 schließlich gesetzlich verankert. Seither ist geregelt, dass weder tarifliche noch vergleichbare kirchliche Vergütungen als unwirtschaftlich abgelehnt werden dürfen. Auch sind die Einrichtungsträger verpflichtet, diese Gehälter jederzeit einzuhalten und auf Nachfrage nachzuweisen.

Der Bundesrat betonte in seiner Stellungnahme zur damaligen Gesetzesnovelle (BT-Drs. 18/2378, S. 10), dass damit ein „deutliches Signal“ für angemessene Löhne gesetzt werde – insbesondere vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels. Diese Regelung galt jedoch ausschließlich für das Pflegepersonal, nicht für das sonstige Personal in den Einrichtungen, wie etwa in der Hauswirtschaft, Reinigung oder Verwaltung.

Ein weiterer wichtiger Schritt erfolgte 2016 mit dem bereits dritten Pflegestärkungsgesetz: Auch nicht tarifgebundene Einrichtungen können seitdem Entgelte auf Tarifniveau refinanziert bekommen. Diese Maßnahmen zeigte Wirkung: Zwischen 2012 und 2019 stiegen die Löhne in der Altenpflege überdurchschnittlich an – was auch mit der Einführung des Pflegemindestlohns zusammenfiel (siehe dazu auch diesen Beitrag zum Thema des Monats).

Mit der Reform von 2022 (Pflegebonusgesetz, siehe dazu diesen Beitrag zum Thema des Monats) wurde ein weiterer Beitrag zur Neuausrichtung „geleistet“: Seitdem ist der Abschluss eines Versorgungsvertrags in der Pflege nur noch möglich, wenn Entgelte gezahlt werden, die in Tarifverträgen oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen festgelegt sind oder sich an diesen orientieren oder den regional üblichen Durchschnittsentgelten entsprechen (§ 72 Abs. 3a und 3b SGB XI).

Bei Letzterem muss allerdings nur insgesamt der Durchschnitt für bestimmte Qualifikationsgruppen erreicht werden und es werden nur ausgewählte Entgeltbestandteile in die Berechnung einbezogen. Das bedeutet, dass einzelnen Beschäftigten mehr, anderen weniger gezahlt werden kann.

Erstmals ist auch die Refinanzierung von Personalkosten möglich, die das Tarifniveau um bis zu zehn Prozent übersteigen (§ 82c Abs. 2 und 3 SGB XI).

Dies ist für nicht-tarifgebundene Einrichtungen, also insbesondere für die „Durchschnittsanwender“, möglich (siehe zum Problem den Beitrag von Karl-Jürgen Bieback im Band „Sozialrecht und Tarifbindung“, S. 72 ff., 84 f.).

Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt des Hugo Sinzheimer Instituts (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung mit dem Titel „Sozialrecht und Tarifbindung – Regulierung von Arbeitsbedingungen durch Leistungserbringungsrecht?“ in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Judith Brockmann und Prof. Dr. Felix Welti (beide Universität Kassel) hat unter anderem die Auswirkungen dieser Gesetzesreform auf die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche, die Tarifbindung und die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie analysiert. Das Ergebnis ist bemerkenswert – und ernüchternd (siehe hier).

Nachteile für tarifgebundene Einrichtungen

Denn: Einrichtungen ohne Tarifbindung können im Einzelfall höhere Löhne refinanziert bekommen als tarifgebundene Einrichtungen. Letztere sind durch starre tarifliche Regelungen an bestimmte Lohnhöhen gebunden, während nicht tarifgebundene Einrichtungen gezielt über das Tarifniveau hinausgehen können – und dies vollständig erstattet bekommen.

Die Wettbewerbsnachteile tarifgebundener Einrichtungen im Kampf um qualifiziertes Personal werden durch einen weiteren Umstand verschärft: Nicht-tarifgebundene Pflegeeinrichtungen können – wie schon erläutert – besonders begehrte Pflegekräfte mit deutlich übertariflichen Gehältern locken und andere Pflegekräfte hingegen schlechter bezahlen. In Einzelfällen wird sogar erwogen, aus der Tarifbindung auszutreten, um höhere, refinanzierbare Gehälter zahlen zu können. Dies schwächt die ohnehin geringe Tarifbindung in der Pflegebranche weiter und somit auch die gewerkschaftliche Interessenvertretung der Pflegekräfte.

Doch durch Tarifverträge werden nicht nur Löhne und Gehälter verhandelt und festgelegt, sondern auch weitere Arbeitsbedingungen – beispielsweise die Arbeitszeit oder der Anspruch auf Weiterbildung. Diese Faktoren sind von erheblicher Bedeutung für die Arbeitszufriedenheit von Pflegekräften und somit auch für die Attraktivität des Berufes (siehe dazu den Beitrag von Silke Trumpa und Maximilian Schöner im Band „Sozialrecht und Tarifbindung“, S. 214 ff.).

Die angesprochenen Regelungen des SGB XI legen keine einklagbaren Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer:innen fest, sondern betreffen Pflichten der Einrichtungen gegenüber der Pflegekasse. Tarifverträge hingegen begründen einen solchen unmittelbaren Anspruch der Beschäftigten; die tatsächliche Zahlung der Entgelte ist hier also abgesichert. Für Arbeitnehmer:innen in nicht-tarifgebundenen Einrichtungen bleibt also maßgeblich, was arbeitsvertraglich festgelegt wurde. Zudem ist für sie nicht immer transparent, welche Zulassungsoption die Einrichtung anwendet, was eine Kontrolle der Zahlungsansprüche erschwert (siehe dazu den Beitrag von Judith Brockmann in Soziales Recht 3/2025, S. 93, 95 f., sowie den Beitrag von Michaela Evans-Borchers im Band „Sozialrecht und Tarifbindung, S. 271).

Neben den ökonomischen Fehlanreizen bringt die Regelung erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich. Einrichtungen müssen umfangreiche Nachweispflichten erfüllen, Pflegekassen müssen kontrollieren.

Das Sozialrecht hat sich in der Pflege längst vom bloßen Leistungsrahmen zu einem Regulierungsinstrument für Arbeitsbedingungen entwickelt. Es bestimmt faktisch mit, ob Tariflöhne refinanzierbar sind – oder gar durch Fehlanreize verdrängt werden. Ob die aktuelle Bundesregierung diese Entwicklung aufgreift, bleibt ungewiss. Derzeit sind keine konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung geplant. Im Koalitionsvertrag finden sich lediglich allgemeine Zielsetzungen (siehe Koalitionsvertrag, S. 18 oder 110).

Sandrina Hurler

ist wissenschaftliche Referentin für Sozialrecht am Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht