zusammengestellt von Hans Nakielski
Gesetzgebungsverfahren
1. Lesung im Bundestag am 29. Oktober 2020
Der Bundesrat hat mit einem Beschluss vom 6. November 2020 (BR-Drs. 561/20 – Beschluss) zahlreiche Änderungen eingefordert. Unter anderem hält er den geplanten ergänzenden Bundeszuschuss von 5 Mrd. Euro für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für zu gering und schlägt eine Erhöhung des Zuschusses auf 11 Mrd. Euro vor. Milliardenschwere gesamtgesellschaftliche Kosten würden sonst „allein den Beitragszahlern der GKV aufgebürdet“.
In seiner Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates (BT-Drs. 19/24231) weist die Bundesregierung die Kritik zurück. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Kombination aus einem ergänzenden Bundeszuschuss in Höhe von 5 Mrd. Euro an den Gesundheitsfonds, einer Zuführung von Mitteln aus den Finanzreserven der Krankenkassen in Höhe von rund 8 Mrd. Euro zu den Einnahmen des Gesundheitsfonds und der Absenkung der Obergrenze für die Finanzreserven der Krankenkassen auf 0,8 Monatsausgaben seien sachgerecht, um die finanzielle Stabilität der GKV in der von der COVID-19-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise zu gewährleisten.
Der Bundestag hat den Gesetzentwurf am 26. November 2020 mit zahlreichen Änderungen beschlossen (BT-Drs. 19/24727 – Beschlussempfehlung).
Der Bundesrat hat das Gesetz am 18. Dezember 2020 gebilligt. In einer zusätzlichen Entschließung (BR-Drs. 717/20 – Beschluss) fordern die Bundesländer aber eine kritische Prüfung der Regelungen zur so genannten Corona-Freihaltepauschale für Krankenhäuser. Danach können nur Krankenhäuser von Ausgleichszahlungen profitieren, wenn im betreffenden Landkreis oder der kreisfreien Stadt eine Inzidenz von 70 je 100.000 Einwohner vorliegt und im 7-Tages-Durchschnitt mehr als 75 Prozent der Intensivkapazitäten belegt sind. Diese Regelungen tragen laut Bundesrat „der Versorgungsrealität nicht hinreichend Rechnung“. Sie sollten als Kriterium für den Anspruch auf Ausgleichszahlungen gestrichen werden.
Das Gesetz wurde am 29. Dezember 2020 im Bundesgesetzblatt verkündet.
Es trat in seinen wesentlichen Teilen am 1. Januar 2021 in Kraft, einige Teile traten aber bereits rückwirkend zum 1. oder 29. Oktober 2020 oder zu anderen Terminen in Kraft.
Stellungnahme des DGB zum Referentenentwurf
Einige wichtige Inhalte
- Finanzen: Es erfolgen Regelungen zur Stabilisierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgrund der Corona-Krise. Erwartet wird für 2021 ein Defizit in der GKV von rund 16,6 Mrd. Euro. Zum Ausgleich will der Bund 5 Mrd. Euro zusätzlich in den Gesundheitsfonds einzahlen. Der Bundeszuschuss zur GKV liegt dann 2021 insgesamt bei 19,5 Mrd. Euro. 8 Mrd. Euro sollen die Kassen aus ihren Rücklagen beisteuern. Dafür sollen sie 66,1 Prozent ihrer Finanzreserven, die über das 0,4-fache einer Monatsausgabe hinausgehen, zugunsten des Gesundheitsfonds abgeben. Weitere 3 Mrd. Euro sollen die GKV-Mitglieder durch höhere Zusatzbeiträge aufbringen. Die Obergrenze der Finanzreserve einer Krankenkasse, die bisher bei 100 Prozent einer durchschnittlichen Monatsausgabe lag, wurde auf 80 Prozent abgesenkt.
- Zusatzbeiträge: Generell dürfen Kassen ab Januar 2021 nach § 242 Abs. 1 SGB V ihren Zusatzbeitrag nur noch erhöhen, wenn ihre Rücklagen vier Fünftel einer durchschnittlichen Monatsausgabe unterschreiten. Kassen, bei denen absehbar ist, dass ihre Rücklagen erst im Laufe des Jahres unter die Mindestreserve sinken, dürfen ihre Zusatzbeiträge nach § 242 Abs. 1a SGB V jedoch bereits zum 1. Januar anheben. Zudem können auch Kassen mit weniger als 50.000 Mitgliedern zur Absicherung von unvorhersehbaren Ausgaben (z.B. durch Hochkostenfälle wegen teurer Therapien) einen Zusatzbeitrag ansetzen, der über das regulär erlaubte Maß hinausgeht.
- Selektivverträge: Der Spielraum der Krankenkassen zum Abschluss von Selektivverträgen wurde erweitert. Bei einem Selektivvertrag handelt es sich – im Gegensatz zum Kollektivvertrag – um einen Versorgungsvertrag, der ohne gesetzliche Verpflichtung zwischen einer oder mehreren Kassen und einzelnen bzw. Gruppen von Leistungserbringern geschlossen wird. Vertragspartner der Kassen können etwa Arztnetze, Medizinische Versorgungszentren oder Hersteller von Medizinprodukten sein. Bisher gab es bei den Selektivverträgen enge Grenzen bei der Vernetzung über die GKV hinaus. Die Spielräume hierfür wurden nun erweitert, um regionalen Bedürfnissen besser Rechnung zu tragen. Neben kassenindividuellen Verträgen sollen z. B. auch kassenartübergreifende Verträge über besondere Versorgungsformen mit Leistungserbringern oder deren Gemeinschaften geschlossen werden können. Gleichzeitig sollen die Kassen bisher durch den Innovationsfonds geförderte Projekte auf freiwilliger Basis weiterführen können.
- Hebammen: Durch die Förderung zusätzlicher Hebammenstellen soll sich die Versorgung Schwangerer verbessern. Dazu wurde ein Hebammen-Förderprogramm aufgelegt. Von 2021 bis 2023 sollen den Krankenhäusern dafür 100 Mio. Euro zur Verfügung gestellt werden. Dadurch sollen etwa 600 zusätzliche Hebammenstellen und bis zu 1.750 weitere Stellen für Fachpersonal zur Unterstützung von Hebammen in Geburtshilfeabteilungen geschaffen werden.
- Pflegehilfskräfte: Um eine bedarfsgerechte Personalausstattung in vollstationären Pflegeeinrichtungen sicherzustellen, soll das im Auftrag der Pflegeselbstverwaltung erarbeitete Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen mit einem ersten Schritt auf den Weg gebracht werden. Die Ergebnisse des Projekts zur Ermittlung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen unter der Leitung von Prof. Heinz Rothgang (Socium-Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Bremen) hatten gezeigt, dass die vollstationären Pflegeeinrichtungen künftig insbesondere auch mehr Pflegehilfskräfte benötigen. Deshalb sollen nun in der vollstationären Altenpflege rund 20.000 zusätzliche Stellen für Pflegehilfskräfte aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert werden. Der finanzielle Eigenanteil der Pflegebedürftigen in Heimen soll dadurch nicht steigen.
- Pflegehilfsmittel: Die ursprünglich bis Ende 2020 befristete Regelung, dass eine bei der Feststellung von Pflegebedürftigkeit ausgesprochene Empfehlungen zum Hilfsmittelbedarf bei Zustimmung der Versicherten automatisch – und ohne ärztliche Verordnung – als Antrag auf die Leistung gilt, besteht nun dauerhaft. Sie hat sich aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums in der Praxis bewährt. Die Kasse muss künftig über einen Antrag auf Pflegehilfsmittel oder Zuschüsse zu wohnumfeldverbessernden Maßnahmen in der Regel spätestens innerhalb von drei Wochen (wenn der Medizinische Dienst beteiligt ist: innerhalb von fünf Wochen) entscheiden.
- Corona-bedingte Pflege-Sonderregelungen: Bei der Pflege wurden wesentliche infolge der COVID-19-Pandemie geschaffene und bis Ende 2020 befristete Sonderregelungen und Entlastungen zur Unterstützung von Pflegeeinrichtungen, Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen (siehe dazu auch Zweites Bevölkerungsschutzgesetz und Gesetz für ein Zukunftsprogramm Krankenhäuser bis Ende März 2021 verlängert. So haben etwa Beschäftigte, die „in einer akut aufgetretenen Pflegesituation“ für einen „nahen Angehörigen“ sorgen müssen, bis Ende März 2021 weiterhin das Recht, bis zu 20 Tage – statt regulär nur bis zu zehn Tage – der Arbeit fernzubleiben, um die Pflege (neu) zu organisieren oder sicherzustellen. Während dieser Zeit können sie Pflegeunterstützungsgeld von der Pflegekasse des gepflegten Angehörigen bekommen.
- Beratungsbesuche für Pflegegeldempfänger: Diese in regelmäßigen Abständen vorgeschriebenen Besuche müssen bis Ende März 2021 nicht unbedingt in der eigenen Häuslichkeit stattfinden. Die Beratungen können auch telefonisch, digital oder durch den Einsatz von Videotechnik ermöglicht werden.
- Kinderkrankenstationen: Kinderkrankenhäuser und Fachabteilungen für Kinder- und Jugendmedizin können ab 2021 auch von den Sicherstellungszuschlägen für Kliniken im ländlichen Raum profitieren, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Jeweils zum 30. Juni wird eine Liste von Krankenhäusern erstellt, die zusätzlich 400.000 Euro erhalten, wenn sie für eine flächendeckende Versorgung im ländlichen Raum zwar notwendig sind, aber eine zu geringe Fallzahl aufweisen.
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