Soziale Selbstverwaltung: Bessere Freistellungsregelungen für ehrenamtliche Mitglieder

von Daniel Hlava | März 2021

Lange wurde über eine Reform der sozialen Selbstverwaltung gerungen. Am 18. Februar 2021 trat schließlich das „Gesetz zur Verbesserung der Transparenz in der Alterssicherung und der Rehabilitation sowie zur Modernisierung der Sozialversicherungswahlen und zur Änderung anderer Gesetze (Gesetz Digitale Rentenübersicht)“ in Kraft. Es verbessert unter anderem auch die Rahmenbedingungen für die Arbeit der sozialen Selbstverwalter*innen.

Die Selbstverwalter*innen sind ehrenamtlich tätig. Dementsprechend sind sie unter anderem darauf angewiesen, dass sie von ihrem jeweiligen Arbeitgeber für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben in der Selbstverwaltung freigestellt werden. Ihre Rechtsstellung war jedoch bisher keineswegs so klar, wie es ihre lange Geschichte der sozialen Selbstverwaltung vermuten lässt.

Haben Selbstverwalter*innen einen Anspruch auf Freistellung für die Vorbereitung von und Teilnahme an Sitzungen? Haben sie ein Recht auf die Wahrnehmung von Fortbildungsangeboten im Rahmen ihrer Selbstverwaltertätigkeit? Haben sie ein Wahlrecht, welche Schulungen sie auf Kosten des Sozialversicherungsträgers besuchen? Welche Sachmittel und personelle Unterstützung können sie für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung beanspruchen?

All diese Fragen waren bislang nicht eindeutig geregelt, sondern wurden lediglich anhand des allgemeinen Behinderungs- und Benachteiligungsverbots beantwortet, wie Prof. Holger Brecht-Heitzmann und Judith Reuter in ihrem Band „Perspektiven zur rechtlichen Stärkung des Ehrenamtes“ (S. 36 ff.) anschaulich erläutert haben. § 40 Abs. 2 SGB IV besagt, dass niemand „in der Übernahme oder Ausübung eines Ehrenamts behindert oder wegen der Übernahme oder Ausübung eines solchen Amtes benachteiligt werden [darf]“. Lediglich § 41 SGB IV regelt einzelne Erstattungsansprüche der Selbstverwalter*innen für ausgefallenes Arbeitsentgelt und eine Aufwandsentschädigung durch den Versicherungsträger.

Auf die Kritik hieran hat der Gesetzgeber nun – rund 45 Jahre nach der Verankerung des Benachteiligungsverbots in § 40 SGB IV – reagiert. Mit dem im Oktober 2020 vorgelegten Entwurf eines Gesetzes Digitale Rentenübersicht (BT-Drs. 19/23550), das nach zahlreichen Änderungen im Dezember 2020 vom Bundesrat gebilligt wurde und am 18. Februar 2021 in Kraft trat (BGBl. I S. 154), widmet er sich auch einer Verbesserung des Rechtsrahmens für die soziale Selbstverwaltung und der Sozialwahlen (siehe hierzu auch hier).

Der neue § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB IV enthält nun einen ausdrücklichen Freistellungsanspruch für die Ausübung des Ehrenamts: „Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane sowie Versichertenälteste und Vertrauenspersonen sind für die Zeiten der Ausübung ihres Ehrenamtes von ihrer Arbeit oder dienstlichen Tätigkeit freizustellen, es sei denn, dem stehen dringende betriebliche oder dienstliche Belange entgegen“, heißt es nun im Gesetz. Der Freistellungsanspruch kann damit „nur in Ausnahmefällen (‚dringende Gründe‘) abgelehnt werden“, wie es in der Gesetzesbegründung heißt (BT-Drs. 19/23550, S. 89). Der Arbeitgeber soll jedoch frühzeitig informiert werden (§ 40 Abs. 2 Satz 3 SGB IV).

Ebenfalls neu ist ein Anspruch auf bis zu fünf Tage Urlaub jährlich, um an „Fortbildungsmaßnahmen, die Kenntnisse vermitteln, die für eine ordnungsgemäße Ausübung des Ehrenamts förderlich sind“, teilnehmen zu können (§ 40 Abs. 3 SGB IV). Der neue Urlaubsanspruch darf zusammen mit dem bereits landesrechtlich geregelten (allgemeinen) Bildungsurlaub insgesamt acht Tage pro Jahr nicht überschreiten. Außerdem gilt wie beim Freistellungsanspruch die Ausnahme: „Der Arbeitgeber oder Dienstherr darf den Urlaub […] zu dem von dem Beschäftigten mitgeteilten Zeitpunkt ablehnen, wenn dringende betriebliche oder dienstliche Belange oder Urlaubsanträge anderer Beschäftigter entgegenstehen“ (§ 40 Abs. 3 Satz 6 SGB IV). Welche Inhalte die Fortbildungsmaßnahmen haben können, soll die Vertreterversammlung (auf Vorschlag des Vorstands) beschließen.

Für die Zeit der Freistellung bzw. des Sonderurlaubs haben Arbeitnehmer*innen zwar keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber ihrem Arbeitgeber. Der Verdienstausfall wird ihnen aber nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 SGB IV (wie bereits zuvor) vom Versicherungsträger erstattet.

Die bislang nicht eindeutig geregelte Rechtsstellung der Selbstverwalter*innen wurde mit dem neuen Gesetz durchaus verbessert. Es bleibt zu hoffen, dass die Selbstverwaltung nun stärker als das wahrgenommen wird, was sie ist: nämlich eine Möglichkeit, sich abseits der großen politischen Bühne aktiv für eine (noch) bessere Arbeit der Institutionen einzusetzen, die für die soziale Absicherung vieler Millionen Menschen zuständig sind.

Dr. Daniel Hlava, LL.M.

ist Referent für Sozialrecht und Europäisches Arbeitsrecht am Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung, Frankfurt/M.