Rechtssystematische Abstimmungen für mehr Gleichstellung

Das BGG und Länderrecht

von Antonia Seeland | 12.03.2023

Mit Blick auf das Sozialrecht wird eine weitere rechtliche Schnittstelle besonders deutlich: Eng verflochten im Gleichstellungsrecht sind Bundes- und Landesrecht sowie die Landesverwaltung, zu der häufig auch Sozialleistungsträger zählen.

1. Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Die verschiedenen Gleichstellungsgesetze der Länder enthalten in großen Teilen identische Regelungen wie das für die Bundesverwaltung geltende Behindertengleichstellungsgesetz (BGG). Sie sind teilweise sogar weiterführend und zeigen damit mögliche Entwicklungsschritte des BGG auf. Teilweise bleiben die Gleichstellungsgesetze der Länder jedoch auch deutlich hinter den Bundesregelungen zurück, wie die aktuelle Evaluation des BGG zeigt.

Dies stellt die Rechtsanwender:innen vor Herausforderungen. Die Befragung im Rahmen der Evaluation ergab, dass die Unterscheidung von Bundes- und Landesrecht nicht nur für Betroffene häufig intransparent ist (s. dazu auch Jahresbericht 2020 der Schlichtungsstelle BGG, S. 36 ff.).

Ist unklar, welche Ansprüche bestehen und gegen wen diese zu richten sind, verschärft dies die ohnehin bestehenden Probleme in der Rechtsdurchsetzung. Zudem kann das kostenlose Schlichtungsverfahren (§ 16 BGG) oder eine Verbandsklage (§ 15 BGG) nur bei Verstößen von Bundesbehörden gegen Bundesrecht geführt werden. Landesbehörden können keine Gegner im Verfahren sein, wenn es um die Verletzung von Vorschriften des BGG geht, auch wenn sie dessen Ziele zu beachten haben (§ 1 Abs. 2 Satz 2 BGG). Die Nutzung dieser besonderen Verfahren, die den Betroffenen die Wahrnehmung ihrer Rechte erleichtern sollen, wird damit beeinträchtigt (s. auch hier).

2. Unterschiedliche Anwendungsbereiche

Problematisch ist außerdem, dass einige Gleichstellungsgesetze der Länder (wie etwa in Bayern) die Kommunen zum Teil aus dem Anwendungsbereich herausnehmen. Führen diese dann z.B. als Sozialhilfeträger Bundesrecht aus, gilt weder das BGG noch das jeweilige Landes-Gleichstellungsgesetz. Sie sind jedoch an die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz gebunden. Praktisch ist dies besonders problematisch, da Kommunen häufig die erste Anlaufstelle von Bürger:innen sind und deshalb für alle zugänglich sein sollten.

Für mehr Rechtsklarheit ist rechtspolitisch eine Vereinheitlichung und verstärkte Kooperation zwischen Bund und Ländern zu fordern. Nur so kann eine für alle in ähnlicher Weise geltende Umsetzung des Verfassungsrechts und der UN-BRK gewährleistet werden, die die Rechtsanwendung und -mobilisierung erheblich vereinfachen würde.

3. Vereinheitlichung durch Rechtsprechung

Die Autor:innen der Studie zur Evaluation des novellierten BGG identifizieren als weiteren Ansatzpunkt, um kohärentere Regelungen und mehr Gemeinsamkeiten zu fördern, die höchstrichterliche Rechtsprechung. Zentrale Normen des Landesrechts, die mit Bundesrecht übereinstimmen, sollten der verstärkten Prüfung durch höchstrichterliche Rechtsprechung (hier des Bundesverwaltungsgerichts) zugänglich sein. Dazu könnte § 137 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechend geändert werden. Die Möglichkeit käme für Normen, die der Sache nach dem Verwaltungsverfahrensrecht zugeordnet werden können, in Betracht (z. B. Verwendung von Gebärdensprache oder Leichte Sprache, §§ 9, 11 BGG).

Ist der Koordinierungsbedarf groß, bietet eine enge Abstimmung aber auch die Chance, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf lange Sicht hin zu verbessern. Barrierefreiheit ist ein generalisierendes und präventives Konzept, das nicht auf einzelne Betroffene abstellt, sondern auf die umfassende Gestaltung der Lebensbereiche.

Antonia Seeland

wissenschaftliche Referentin für Europäisches Arbeits- und Sozialrecht am Hugo Sinsheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung