Gesetzliche Krankenversicherung:
Mehr Schutz für Risikogruppen – Ideenlosigkeit bei der Finanzierung

von Bertold Brücher | Dezember 2021

Zum Thema Gesundheit enthält der Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen nur wenig Fortschritt. Zwar soll es mehr Prävention und einen besseren Schutz für bestimmte Risikogruppen geben. Doch bei der Finanzierung der zunehmend defizitären gesetzlichen Krankenversicherung zeichnet sich der Vertrag durch eine beträchtliche Ideenlosigkeit aus.    

„Schließen Fraktionen eine Regierungskoalition (Koalition), so legen sie in der Regel in einem Koalitionsvertrag die Ziele schriftlich nieder, auf die sie sich für ihre zukünftige Regierungsarbeit geeinigt haben.“ Das schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrem Lexikon „Pocket Politik“ zum Stichwort „Koalitionsvertrag“.

Koalitionsverträge sind jedoch keine rechtsverbindlichen Verträge im engeren Sinne, sondern letztlich politische Absichtserklärungen. Sie sind somit nicht justiziabel, aber gleichwohl mehr als nur ein „Orientierungsrahmen“.

In diesem Lichte sind auch die Vorhaben der „Ampel“-Fraktionen in der Koalitionsvereinbarung „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ zu sehen. Manches Mal erscheinen die formulierten Vorhaben nicht wie aus einem Guss zu sein. Dies ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass drei Fraktionen mit durchaus unterschiedlichen Politikansätzen etwas Gemeinsames vereinbart haben.

Die wichtigsten Vorhaben zur gesetzlichen Krankenversicherung

Die wichtigsten im Koalitionsvertrag niedergelegten Vorhaben aus dem Bereich des Gesundheitswesens – im engeren Sinne dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) – sind, dass

Hervorzuheben ist aus dem weiteren Katalog an Vorhaben noch,

Besonderes Augenmerk gilt der Digitalisierung

Ein besonderes Augenmerk gilt – in der Koalitionsvereinbarung durchgängig – der Digitalisierung. Bezogen auf das Gesundheitsrecht haben die Ampelfraktionen vereinbart, das Angebot regelhafter telemedizinischer Leistungen als „ergänzende Angebote“ auszuweiten, eine mit der Datenschutz-Grundverordnung konforme elektronische Patientenakte weiter zu verbreiten und ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz zu schaffen.

Sorge getragen werden muss dafür, dass alle digitalisierungsbezogenen Prozesse und Vorgänge im gesundheitlichen Kontext langfristig nutzergerecht und versorgungszentriert gestaltet sind. Das bedeutet, dass sowohl zeitgemäße als auch anwenderorientierte technische Standards und Maßstäbe gelten. Größtmögliche Transparenz muss gewährleistet sein, die Hoheit über die Daten muss bei deren Eigentümer*innen bleiben; dies sind in der Regel die Versicherten und ihre Versichertengemeinschaft. Gelungene Digitalisierung setzt voraus, dass Versicherte (altersunabhängig) in der Lage sind, selbstbestimmt auf ihre Daten zuzugreifen, um daran geknüpft dauerhaft qualifizierte Entscheidungen über die Nutzung digitalisierungsbezogener Angebote und Leistungen treffen zu können.

Dürftige Antworten zur Finanzierung

Zur Frage, wie der Koalitionsvertrag, der ja gleichzeitig auch das Regierungsprogramm von SPD, GRÜNEN und FDP ist, insgesamt finanziert wird, gibt es im Papier dürftige bis keine Antworten. Dies gilt auch für die Finanzierbarkeit der Vorhaben im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung.

Zwar wollen die Neu-Koalitionäre den Bundeszuschuss zur GKV regelhaft dynamisieren. Aus Sicht des DGB ist dieses Bekenntnis zu stabilen Finanzen in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich ebenso zu begrüßen wie Aussagen zu einer besseren Finanzierung der Pflegeversicherung. Positiv ist auch, dass endlich „höhere Beiträge“ für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln finanziert werden sollen.

Die in der Koalitionsvereinbarung aufgeführten Maßnahmen werden jedoch bei weitem nicht ausreichen, um die absehbaren Finanzdefizite in der GKV zu schließen. Insgesamt zeichnet sich der Koalitionsvertrag diesbezüglich durch eine beträchtliche Ideenlosigkeit aus, so die Gewerkschaften. Konkrete Maßnahmen zur Stärkung einer solidarischen und paritätischen Finanzierung fehlen nämlich gänzlich.

Bertold Brücher

ist Referatsleiter Sozialrecht beim DGB-Bundesvorstand