zusammengestellt von Hans Nakielski
Gesetzgebungsverfahren
Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 20/6869)
Der Gesetzentwurf wurde am 26. Mai 2023 mit zahlreichen Änderungen (s. BT-Drs. 20/6983 – Beschlussempfehlung) vom Bundestag beschlossen.
Der Bundesrat hat das Gesetz am 16. Juni 2023 gebilligt und in einer begleitenden Entschließung (BR-Drs. 220/23 – Beschluss) weitere strukturelle Reformschritte gefordert, um die Pflegeversicherung zukunftsfest zu machen.
Das Gesetz wurde am 23. Juni 2023 im Bundesgesetzblatt verkündet.
Teile des Gesetzes (etwa zu den neuen Beiträgen zur Pflegeversicherung) traten am 1. Juli 2023 in Kraft, weitere Teile treten am 1. Oktober 2023, am 1. Januar 2024 oder am 1. Juli 2025 in Kraft. Auch rückwirkend zum 1. Januar 2023 ist ein Teil in Kraft getreten.
Stellungnahme des DGB zum Gesetzentwurf
Einige wichtige Inhalte
Das Gesetz soll die finanzielle Lage der Pflegeversicherung stabilisieren. Zugleich soll es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen, das dem Gesetzgeber auferlegt hatte, dass Eltern mit mehreren Kindern in der Pflegeversicherung stärker zu entlasten sind. Außerdem sieht das Gesetz u. a. Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen und Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen für beruflich Pflegende vor.
Beitragsanhebungen und gestaffelte Beitragsstufen nach Kinderzahl
Zur finanziellen Stabilisierung der Pflegeversicherung wurde der allgemeine Beitragssatz zum 1. Juli 2023 um 0,35 Prozentpunkte angehoben. Damit sind Mehreinnahmen in Höhe von rund 6,6 Mrd. Euro/Jahr verbunden. Die Bundesregierung wurde ermächtigt, den Beitragssatz künftig durch Rechtsverordnung festzusetzen, sofern auf kurzfristigen Finanzierungsbedarf reagiert werden muss. Bundestag und Bundesrat sind dabei zu beteiligen.
Ebenfalls zum 1. Juli 2023 wurde der Beitragssatz zur Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 7. April 2022 (Az.: 1 BvL 3/18 u. a.) nach der Kinderzahl differenziert. Eltern zahlen seitdem generell 0,6 Beitragssatzpunkte weniger als Kinderlose. Bei kinderlosen Mitgliedern gilt ein Beitragssatz in Höhe von 4 %. Bei Mitgliedern mit einem Kind gilt demgegenüber ein Beitragssatz von 3,4 %. Ab zwei Kindern wird der Beitrag während der Erziehungsphase bis zum 25. Lebensjahr um 0,25 Beitragssatzpunkte je Kind bis zum fünften Kind weiter abgesenkt. Wenn ein Kind 25 Jahre alt wird, entfällt der Abschlag wieder. Bei Mitgliedern mit mehreren Kindern gilt nach der Erziehungszeit daher wieder der reguläre Beitragssatz in Höhe von 3,4 % (siehe Tabelle).
Der Arbeitgeberanteil beträgt immer 1,7 %.
Moderate Anhebung der Leistungsbeträge
Das Pflegegeld für die Pflege zu Hause, das seit 2017 nicht mehr angehoben wurde (siehe auch hier), wird zum 1. Januar 2024 um 5 % erhöht. Auch die ambulanten Sachleistungsbeträge werden Anfang 2024 um 5 % angehoben.
Zum 1. Januar 2025 steigen dann alle Leistungsbeträge der Pflegeversicherung – sowohl im häuslichen wie auch im teil- und vollstationären Bereich – in Höhe von 4,5 % an. Auch das Pflegegeld und die ambulanten Sachleistungen steigen mit diesem Schritt nochmals um 4,5 %.
Zum 1. Januar 2028 ist eine weitere Erhöhung geplant. Sie soll sich am Anstieg der Kerninflationsrate in den drei vorausgehenden Kalenderjahren, für die zu diesem Zeitpunkt die Daten vorliegen, orientieren. So sollen dann sämtliche Geld- und Sachleistungen der Pflegeversicherung regelgebunden automatisch dynamisiert werden.
Höhere Leistungszuschläge für Pflegeheimbewohner:innen
Zum 1. Januar 2024 werden die Zuschläge (nach § 43c SGB XI), die die Pflegekasse an die Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen zahlt, erhöht. Die Zuschläge werden von 5 % auf 15 % bei bis zu 12 Monaten Verweildauer im Heim angehoben. Wer 13 bis 24 Monate in einer vollstationären Einrichtung lebt, bekommt dann statt 25 % einen Zuschlag von 30 %. Bei 25 bis 36 Monaten im Heim erhöht sich der Zuschlag von 45 % auf 50 % und bei mehr als 36 Monaten Verweildauer wird er von 70 % auf 75 % angehoben.
Gemeinsamer Jahresbetrag für Kurzzeit- und Verhinderungspflege
Zum 1. Juli 2025 werden die Leistungsbeträge der Verhinderungspflege (derzeit 1.612 Euro im Kalenderjahr) und der Kurzzeitpflege (derzeit 1.774 Euro) zu einem Gemeinsamen Jahresbetrag für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege gemäß einem neuen § 42a SGB XI zusammengefasst. Dann steht für beide Leistungen künftig ein kalenderjährlicher Gesamtbetrag von 3.539 Euro zur Verfügung, den die Anspruchsberechtigten nach ihrer Wahl flexibel einsetzen können. Die bisherigen Übertragungsregelungen entfallen dann.
Gleichzeitig werden die Voraussetzungen für die Verhinderungs- und Kurzzeitpflege angeglichen. So wird die zeitliche Höchstdauer der Verhinderungspflege auf bis zu acht Wochen im Kalenderjahr angehoben und ist damit dann genauso lang wie die Höchstdauer der Kurzzeitpflege. Auch bei der Verhinderungspflege wird ab Juli 2025 ein zuvor bezogenes (anteiliges) Pflegegeld für acht Wochen zur Hälfte fortgezahlt. Ab dem 1. Juli 2025 entfällt auch das Erfordernis einer sechsmonatigen Vorpflegezeit vor der erstmaligen Inanspruchnahme von Verhinderungspflege. Damit kann der Anspruch auf Verhinderungspflege dann – wie heute schon bei der Kurzzeitpflege – unmittelbar ab Vorliegen von Pflegegrad 2 genutzt werden.
Für pflegebedürftige Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit den Pflegegraden 4 und 5 bis zum Alter von 25 Jahren werden einige Wirkungen des Gemeinsamen Jahresbetrags vorgezogen. Für sie gilt schon ab dem 1. Januar 2024:
- Die Verhinderungspflege kann (anstatt bis zu sechs) bis zu acht Wochen im Kalenderjahr genutzt werden.
- Auch die hälftige Fortzahlung eines zuvor bezogenen (anteiligen) Pflegegeldes während der Verhinderungspflege erfolgt dann (anstatt bis zu sechs) bereits bis zu acht Wochen im Kalenderjahr.
- Es können im Kalenderjahr bis zu 100 Prozent (2024 also bis zu 1.774 Euro) der Mittel der Kurzzeitpflege zugunsten der Verhinderungspflege umgewidmet werden, soweit sie noch nicht für Leistungen der Kurzzeitpflege verbraucht worden sind.
- Die sechsmonatige Vorpflegezeit vor der erstmaligen Inanspruchnahme von Verhinderungspflege entfällt.
Pflegeunterstützungsgeld: Künftig zehn Arbeitstage in jedem Kalenderjahr
Beschäftigte haben derzeit das Recht, bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut auftretenden Pflegesituation die Pflege (neu) zu organisieren oder sicherzustellen. Wenn es dann keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gibt, erhalten die Angehörigen Pflegeunterstützungsgeld von der Pflegekasse. Ab dem 1. Januar 2024 können die Angehörigen das Pflegeunterstützungsgeld pro Kalenderjahr für bis zu zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person in Anspruch nehmen. Es ist damit also nicht mehr generell auf zehn Arbeitstage je pflegebedürftigem Angehörigen begrenzt.
Mehr Transparenz bei den in Anspruch genommenen Leistungen
Nach § 108 Abs. 1 SGB XI müssen die Pflegekassen die Versicherten auf Antrag über die im Zeitraum von mindestens 18 Monaten vor Antragstellung in Anspruch genommenen Leistungen und deren Kosten unterrichten. Ab dem 1. Januar 2024 erhalten Versicherte eine Übersicht über die von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen und deren Kosten auf Wunsch regelmäßig jedes Kalenderhalbjahr. Eine formlose Anforderung bei der Pflegekasse reicht dafür aus.
Förderprogramm zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf bis 2030 verlängert
Das Förderprogramm zur besseren Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf für in der Langzeitpflege tätige Mitarbeiter:innen von Pflegeeinrichtungen wird über das Jahr 2024 hinaus bis zum Jahr 2030 verlängert. Durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sollen mehr Menschen dazu motiviert werden, in der Pflege zu arbeiten oder ihre Wochenstunden aufzustocken. So soll auch ein Abwandern in die Leiharbeit verhindert werden.
Darüber hinaus werden seit dem 1. Juli 2023 die Höhe und der Förderanteil nach der Größe der Pflegeeinrichtungen gestaffelt. Kleinere Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste mit bis zu 25 in der Pflege tätigen Mitarbeiter:innen erhalten zukünftig für die Maßnahmen mehr Mittel und müssen einen geringeren Anteil selbst aufwenden. Pflegeeinrichtungen können jährlich und noch bis Ende des Jahres 2030 Fördermittel für Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf beantragen.
Springerpools zur Entlastung des Pflegepersonals bei Personalausfällen
Es sollen die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen Personalpools sowie vergleichbare betriebliche Ausfallkonzepte etablieren können. Vergleichbare betriebliche Ausfallkonzepte können beispielsweise auch Springerkonzepte wie
- Springerkräfte, die innerhalb eines Springerdienstplans eingesetzt werden,
- Springerdienste, die gleichmäßig auf alle Pflegefachkräfte im Team verteilt werden, sowie
- Springerpools, die sich aus mehreren Pflegefachkräften oder einem Mix aus Fach- und Hilfskräften zusammensetzen, die zu vereinbarten Dienstzeiten einspringen, sein.
Das Ziel ist es, so die Anzahl der Leiharbeitnehmer:innen in der Langzeitpflege zu reduzieren und Pflegekräfte zügig und spürbar zu entlasten.
Ab dem 1. Juli 2023 kann in den Pflegesatzvereinbarungen für vollstationäre Pflegeeinrichtungen Pflege- und Betreuungspersonal bis zur Höhe der in § 113c Absatz 1 SGB XI festgelegten Personalanhaltswerte vereinbart werden. Damit können (bezogen auf eine bundesdurchschnittliche Einrichtung mit 100 Bewohner:innen) bis zu sechs Vollzeitkräfte zusätzlich vereinbart werden. Darüber hinaus kann weiteres Personal vereinbart werden, wenn ein sachlicher Grund vorliegt.
Finanzielle Zuschläge für Mitarbeiter:innen bei kurzfristiger Übernahme eines Dienstes (sog. „Flexi-Zulagen“) können sowohl bei der Stammbelegschaft als auch bei Mitarbeiter:innen und Mitarbeitern, die regelhaft im Rahmen von Springerpools tätig sind, gezahlt werden. Damit kann eine Tätigkeit in einem Springerpool oder im Rahmen eines vergleichbaren betrieblichen Ausfallkonzepts auch finanziell für die Mitarbeiter:innen attraktiv sein.
Die Kosten für Leiharbeit können nach den neuen Regelungen des Gesetzes regelmäßig nur bis zu der Höhe als wirtschaftlich anerkannt werden, die auch für direkt bei der Pflegeeinrichtung Beschäftigte anerkannt werden. Die Zahlung von Vermittlungsentgelten kann nicht als wirtschaftlich anerkannt werden. Ausnahmen sind möglich, wenn ein sachlicher Grund vorliegt. Zu den möglichen sachlichen Gründen wird bis Ende 2023 von den Verbänden der Pflegekassen und der Leistungserbringer unter Beteiligung weiterer Akteure eine Bundesempfehlung erarbeitet. Damit soll auf eine einheitliche Umsetzung der Regelung hingewirkt werden.
Neuregelung für qualifizierte Pflegehilfskräfte
Mit dem Gesetz wird die Möglichkeit geschaffen, dass ab Juli 2023 Pflegehilfskräfte ohne Berufsausbildung, die sich berufsbegleitend zur ein- oder zweijährigen Pflegehilfs- oder -assistenzkraft oder zur Pflegefachperson weiterqualifizieren, bereits während der berufsbegleitenden Ausbildung beim Stellenschlüssel für den angestrebten Berufsabschluss berücksichtigt werden. Gleiches gilt für ausländische Fachkräfte während eines Anerkennungslehrgangs. Dadurch sollen die Anreize für eine weitergehende Qualifizierung von Pflegehilfskräften erhöht werden
Kosten für die Anwerbung von Pflegefachkräften im Ausland können finanziert werden
Die Aufwendungen für die Personalbeschaffung können grundsätzlich bei den Pflegevergütungsverhandlungen berücksichtigt werden. Das Gesetz stellt nun klar, dass die Vereinbarungspartner auf Landesebene in ihren Rahmenverträgen regeln sollen, welche Dokumente und sonstige Nachweise für die zu erwartenden Sach- und Personalaufwendungen geeignet sein können; gerade auch im Hinblick auf Aufwendungen für die Beschaffung von im Ausland angeworbenem Personal. Bei in Drittstaaten angeworbenem Personal kann die Berücksichtigung der Aufwendungen vom Nachweis einer fairen und ethischen Anwerbung verlangt werden. Dieser Nachweis kann durch das gesetzliche Gütesiegel „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ geführt werden.
Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege
Beim Spitzenverband Bund der Pflegekassen wird ein Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege eingerichtet. Es soll die Potenziale zur Verbesserung und Stärkung der pflegerischen Versorgung sowohl für die Betroffenen als auch die Pflegenden identifizieren und verbreiten.
Digitale Pflegeanwendungen
Es wird klargestellt, dass die Vergütungsbeträge für digitale Pflegeanwendungen, die zwischen dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen und den Herstellern vereinbart werden, für die Hersteller und gegenüber den Pflegebedürftigen bindend sind. Die Pflegekassen werden zudem verpflichtet, Pflegebedürftige über die von ihnen für ergänzende Unterstützungsleistungen und digitale Pflegeanwendungen selbst zu tragenden Kosten einschließlich der Mehrkosten nach § 40a Abs. 2 Satz 8 SGB XI vorab in schriftlicher oder elektronischer Form zu informieren
Verlängerung des Förderprogramms zur Digitalisierung in Pflegeeinrichtungen
Das Förderprogramm nach § 8 Abs. 8 SGB XI für digitale und technische Anschaffungen in Pflegeeinrichtungen wird bis 2030 verlängert. Die Anschaffungen können nun neben der Entlastung der Pflegekräfte auch zur Verbesserung der pflegerischen Versorgung der Pflegebedürftigen sowie zur Stärkung ihrer Beteiligung dienen, wenn beispielsweise Bewohner:innen einer stationären Pflegeeinrichtung ein Zugang zu Internet- oder WLAN-Anschluss ermöglicht wird.
Anbindungspflicht für Pflegeeinrichtungen an die Telematikinfrastruktur
Die Anbindung an die sichere, digitale „Datenautobahn“ für das Gesundheitswesen, die sog. Telematikinfrastruktur (TI), die bisher freiwillig ist, wird für Pflegeeinrichtungen ab dem 1. Juli 2025 verpflichtend. Die Finanzierung entstehender Kosten ist nach § 106b SGB XI bereits geregelt: Die Pflegeeinrichtungen erhalten von der Pflegeversicherung eine Erstattung der erforderlichen erstmaligen Ausstattungskosten und der laufenden Betriebskosten.
Modellvorhaben für Unterstützung im Quartier
Länder und Kommunen können gemeinsam mit der Pflegeversicherung über ein neu geschaffenes Budget Modellvorhaben für innovative Unterstützungsmaßnahmen und -strukturen für Pflegebedürftige vor Ort und im Quartier fördern. Zudem erhalten die Kommunen ein dauerhaftes Initiativrecht zur Einrichtung von Pflegestützpunkten zur Beratung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen.