von Bertold Brücher | Juli 2020
Nicht erst mit Einführung des neuen § 211 Sozialgerichtsgesetz (SGG) besteht eine eingeschränkte Möglichkeit der Teilnahme an Sozialgerichtsverhandlungen, ohne im Gerichtssaal zu sein. Doch welche Technik dafür vorhanden sein muss, um den Datenschutz zu gewährleisten, ist nirgendwo klar festgelegt.
Gemäß § 110a Abs. 1 SGG kann das Sozialgericht bereits seit dem 1. November 2013 „den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen.“ Die Verhandlung wird dann „zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen“. Dies gilt nach § 110a Abs. 2 SGG auch für die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen. Eingeführt wurden diese Regelungen 2013 mit dem „Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren“.
Bislang sind jedoch die technischen Voraussetzungen für solche Verhandlungen, bei denen Beteiligte nicht direkt im Gerichtssaal sind, sondern die Verhandlungen nur per Video verfolgen, nicht gesetzlich definiert. Es gilt noch heute, was schon bei der Einführung des Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes der Videokonferenztechnik galt und damals in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/1224, S. 10 ff.) festgehalten wurde: „In der gerichtlichen Praxis hat sich der Einsatz von Videokonferenztechnik […] noch nicht durchgesetzt, was unter anderem an der fehlenden technischen Ausstattung der Gerichte und Justizbehörden liegt“. Es gibt auch – immer noch – keine besonderen Anforderungen an die erforderliche Technik.
Erforderlich erscheinen jedoch eine hohe Übertragungsqualität, ein hohes Maß an Leitungsstabilität und geeignete Vorkehrungen in Bezug auf die Abhörsicherheit und den Datenschutz. Videokonferenzen über Skype oder ähnliche Internetdienstleister erscheinen im Einzelfall nicht ausgeschlossen, sind aber mit Vorsicht zu genießen.
Aufzeichnung der Verhandlung und Beratung ist kaum auszuschließen
Das Verbot, die Übertragung aufzuzeichnen (§ 110a Abs. 3 Satz 1 SGG) dient dem Datenschutz, aber auch den Persönlichkeitsrechten. Es ist verboten, die im Rahmen der Videokonferenz übermittelten Ton- und Bildaufnahmen sowie die entsprechenden Datenströme direkt oder indirekt aufzuzeichnen bzw. zu speichern. Dieses Verbot erfasst aber nicht nur das Gericht, sondern auch die anderen Beteiligten, insbesondere die per Videokonferenz Zugeschalteten, den oder die Inhaber des im Einzelfall genutzten Videokonferenzraumes, aber auch den oder die Betreiber der Übertragungswege. Wenn gegen dieses Verbot verstoßen wird, besteht gleichzeitig ein Verwertungsverbot. Widerrechtlich aufgezeichnete Daten können also nicht zum Beweis bestimmter Ereignisse oder Erklärungen in den laufenden oder einen anderen Prozess eingeführt werden. Zudem liegt dann ein Verfahrensmangel im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG vor. Ausführlicher zur Problematik bei der Videokonferenztechnik hat Walter Böttiger 2013 in der Zeitschrift „Wege zur Sozialversicherung“ (S. 263–272) publiziert.
Nach der neuen Regelungsmöglichkeit des § 211 Abs. 1 und Abs. 2 SGG kann ein Spruchkörper teilweise auch per Videokonferenz Sachverhalte feststellen, bewerten und diskutieren, um zu einem Urteil zu kommen. Deutlich wird dabei, dass hier viel mehr an Sicherheit im Datenverkehr garantiert sein muss, wenn eine solche beratende Sitzung per Videokonferenz stattfindet. Dabei kann der Spruchkörper jetzt ja getrennt werden: Die Berufsrichter/innen sind vor Ort in Präsenz beisammen, die ehrenamtlichen Richterinnen schalten sich per Video dazu.
Ein unmittelbarer Austausch zwischen allen Richter/innen ist so aber nicht gewährleistet. Die Transparenz und Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes gehört aber zu einem mit Verfassungsrang ausgestattetet Strukturprinzip. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht am 27. November 2018 (Az.: 1 BvR 957/18) festgestellt. Schon allein deshalb sollte ein Gericht nur sehr zurückhaltend von der Möglichkeit Gebrauch machen, einem Beteiligten zu gestatten, sich während der mündlichen Verhandlung nicht im Gericht, sondern „an einem anderen Ort“ aufzuhalten. Dies gilt erst recht für die Beratung des Gerichts, das dann – gegebenenfalls durch Abstimmung – zu einem Urteil oder Beschluss kommt.
Prof. Dr. Matthias Jakobs, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Zivilprozessrecht an der Bucerius Law School und Geschäftsführer des Deutschen Arbeitsgerichtsverbands, findet es laut Legal Tribune Online (LTO) „merkwürdig“, dass noch niemand gründlich über die datenschutzrechtlichen Probleme bei einer gerichtlichen Videokonferenz nachgedacht habe. Er sieht die datenschutzrechtlichen Probleme vor allem darin, dass „bei einer Videokonferenz eine sehr einfach mögliche Aufzeichnung der Verhandlung, vor allem aber auch der Beratung und Abstimmung (und deren Verbreitung etwa im Internet) nicht auszuschließen ist, selbst wenn die Aufzeichnung gesetzlich untersagt ist“.