von Heidrun Braun und Alice Dillbahner | 14. Februar 2025
Die anhaltenden Debatten um Bürokratieabbau machen deutlich, wie sehr bürokratische Belastungen den Alltag von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen, aber auch die öffentliche Verwaltung selbst prägen. Gerade im Sozialrecht und bei der Gewährung von Sozialleistungen können bürokratische Hürden weitreichende Konsequenzen haben.
Am 26. März 2024 veröffentlichte der Nationale Normenkontrollrat (NKR) das Gutachten „Wege aus der Komplexitätsfalle – Vereinfachung und Automatisierung von Sozialleistungen“. Ziel der Untersuchung war es, den aktuellen Stand der deutschen Sozialverwaltung zu analysieren, bestehende Ansätze zur Reduzierung von Komplexität zu identifizieren und deren Wirksamkeit zu bewerten. Das Gutachten identifiziert zahlreiche Herausforderungen, die aus der Komplexität des Systems resultieren und für eine nachhaltige Vereinfachung des Sozialverwaltungsvollzugs bewältigt werden müssten. Trotz des spezifischen Fokus auf das System der sozialen Hilfe und Förderung lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere Bereiche der sozialen Sicherung übertragen.
Diese bestehende Komplexität erschwert nicht nur die Inanspruchnahme von Sozialleistungen für Bürgerinnen und Bürger. Sie führt auch zu bürokratischen Belastungen, die den Verwaltungsaufwand erhöhen und die Effizienz der Leistungserbringung beeinträchtigen. Die Ursachen für Komplexität und eine wachsende Bürokratie sind dabei vielfältig.
1. Ursachen für belastende Bürokratie
1.1 Unübersichtliche Zuständigkeiten
Eine große Herausforderung unseres Sozialleistungssystems beginnt bereits bei der Ermittlung von Zuständigkeiten. Oftmals sind für bestimmte Problem- oder Lebenslagen gleichzeitig verschiedene Leistungsträger zuständig (einen Eindruck der beteiligten Ämter und erforderlichen Behördengänge für verschiedene Lebenslagen bietet die Website www.amtlich-einfach.de). So müssen sich zum Beispiel Familien, je nach Leistungsbegehren, an ganz unterschiedliche Träger wenden:
- Mutterschaftsleistungen werden von den Krankenkassen gewährt, wenn die betroffenen Frauen gesetzlich versichert sind.
- Ist dies nicht der Fall – etwa bei privat- oder familienversicherten Frauen oder bei einem Beschäftigungsverbot aufgrund der Mutterschutzfristen – ist das Bundesamt für Soziale Sicherung für das Mutterschaftsgeld zuständig.
- Kindergeld wird bei der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit (BA) beantragt.
- Ebenfalls bei der Familienkasse kann der Kinderzuschlag beantragt werden, der Familien mit niedrigen Einkommen entlasten und ihnen insbesondere den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ersparen soll.
- Der Kindersofortzuschlag wird an Eltern gezahlt, deren Kinder Bürgergeld, Sozialhilfe, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder den Kinderzuschlag erhalten. Die Auszahlung erfolgt jeweils über die zuständige Grundsicherungsstelle.
- Beim Bezug von Bürgergeld ist zudem das Jobcenter für Leistungen wie Regel- und Mehrbedarfe, Unterkunftskosten, Erstausstattung oder Bildung und Teilhabe zuständig.
- Der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende bei ausbleibenden Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils wird beim Jugendamt beantragt.
- Elterngeld wird über unterschiedliche Landesämter verwaltet.
Diese Vielzahl an Anlaufstellen stellt für Bürgerinnen und Bürger eine erhebliche Hürde dar, da sie den zuständigen Träger für die passende Leistung identifizieren und jeweils eigene Antragsverfahren durchlaufen müssen. Gleichzeitig erschwert diese Mehrfachzuständigkeit auch die Koordination zwischen den betroffenen Leistungsträgern. Besonders an Schnittstellen zwischen verschiedenen Leistungssystemen kann es zusätzlich aufgrund unterschiedlicher Zielsetzungen und Systemlogiken zu Friktionen und damit verbundenen Hürden und Verzögerungen in der Leistungsgewährung kommen. Ein Beispiel dafür ist die Schnittstelle zwischen Arbeitslosen- und Rentenversicherung im Falle einer eingeschränkten Erwerbsfähigkeit (siehe dazu hier).
Eine Erleichterung für Bürgerinnen und Bürger besteht hier durch das Auskunfts- und Beratungsgebot der Leistungsträger. Sie sind verpflichtet, sachdienliche Auskünfte zu erteilen und über Rechte und Pflichten aufzuklären (§ 14 und § 15 Sozialgesetzbuch (SGB) I). Darüber hinaus müssen Anträge, die bei einem falschen Träger eingereicht werden, unverzüglich an die richtige Stelle weitergeleitet werden (§ 16 SGB I).
Nicht zuletzt die Rechtsprechung zeigt jedoch, dass dies nicht immer gelingt (siehe zum Beispiel hier oder hier).
Zudem beschränkt sich die Beratungspflicht grundsätzlich auf den Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Leistungsträgers. Eine allgemeine, trägerübergreifende Beratung erfolgt hier nicht. Wenn Antragstellende nicht wissen, welche Behörde für ihre Leistung zuständig ist, sind sie gezwungen, sich eigenständig umfassend zu informieren und im Zweifel mehrere Anträge zu stellen. Dies führt zu zusätzlichem Aufwand und erhöht die bürokratische Belastung. Eine weitere Folge kann die Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen sein, wenn berechtigte Ansprüche nicht erkannt oder verwirklicht werden (siehe dazu auch hier).
Von den Familien zum Beispiel, die einen Anspruch auf den Kinderzuschlag hätten, beantragen etwa zwei Drittel die Leistung nicht (siehe hier).
1.2 Bürokratische Hürden bei Anträgen
Wurden die passende Leistung und der richtige Träger identifiziert, ergeben sich regelmäßig weitere bürokratische Hürden aus dem Antragsverfahren. Die notwendigen – nicht selten sehr umfangreichen – Formulare müssen verstanden und richtig ausgefüllt werden. Ein Antrag auf Bürgergeld zum Beispiel kann mit Anlagen über 20 Seiten umfassen. Hinzu kommen unterschiedliche Nachweise, die beschaffen und ebenfalls eingereicht werden müssen. Schließlich kommt es regelmäßig zu langen Wartezeiten bei der Bearbeitung von gestellten Anträgen.
Mit der Komplexität solcher Antragsverfahren steigt auch die Fehleranfälligkeit – sowohl auf Seiten der Antragstellenden als auch auf Seiten der bearbeitenden Verwaltung. Unvollständige oder fehlerhafte Anträge führen nicht selten zu Nachforderungen oder Verzögerungen, die den Verwaltungsaufwand zusätzlich erhöhen und die Wartezeiten weiter verlängern (s. dazu beispielhaft auch den Artikel von Jörg Altmann zum Thema BAföG in diesem Thema des Monats).
Infolgedessen kann es auch passieren, dass berechtigte Leitungsansprüche abgelehnt oder nicht weiter geltend gemacht werden.
1.3 Hürden bei der (digitalen) Kommunikation zwischen den Behörden
Doch auch die notwendige Kommunikation zwischen den Behörden ist mit bürokratischen Hürden verbunden. Hier stellen sich insbesondere Fragen zur technischen Kompatibilität (Interoperabilität) von Datensätzen. Ein Problem ergibt sich bereits aus der unterschiedlichen technischen Ausstattung der verschiedenen Einrichtungen. Es existiert kein einheitlicher Stand und Standard für die digitale Infrastruktur. Von der föderalen Ebene bis hin zu einzelnen Funktionseinheiten innerhalb der öffentlichen Verwaltung bestehen Unterschiede in der digitalen Infrastruktur. Der Digitalisierungsgrad von Angeboten und interner Datenverarbeitung variiert stark.
Zudem kommen verschiedene Programme mit unterschiedlichen Datenformaten zum Einsatz. Die verwendete Software bzw. IT ist dabei regelmäßig proprietär, was bedeutet, dass ihre Nutzung nur im Rahmen kostenpflichtiger Lizenzen möglich ist. Der Quellcode ist nicht öffentlich zugänglich, sodass dieser nicht flexibel weiterverwendet und angepasst werden kann. Eine flächendeckende Nutzung kompatibler Programme ist damit bisher nicht in Sicht.
Verstärkt wird diese Problematik durch die sogenannten Silo-Strukturen in der Verwaltung. Aufgrund des dezentral organisierten Verwaltungsapparates und der getrennten Zuständigkeit von Behörden und ihren Abteilungen erheben, speichern und verarbeiten diese oft nur die für sie relevanten Daten (sog. Register). Dabei wird die Datenkompatibilität mit anderen Abteilungen oder Trägern häufig nicht mitgedacht. Derartige Datensilos erschweren die Umsetzung einer durchgängigen digitalen Infrastruktur erheblich (siehe zu diesen Themen auch hier).
Eine weitere Komplexitätsstufe entsteht, wenn es zu einem Rechtsschutzverfahren vor den Sozialgerichten kommt. Hier müssen alle relevanten Dokumente und Daten der beteiligten Parteien übermittelt und vom Gericht verarbeitet werden (können). Unterschiedliche Formate und Systeme treffen hier aufeinander, was den Informationsaustausch deutlich erschweren kann (siehe dazu zum Beispiel hier).
Die unterschiedliche digitale Infrastruktur in der (Sozial-)Verwaltung erschwert jedoch nicht nur den Datenaustausch, sondern auch die Sachbearbeitung selbst. Dies führt zu zusätzlichen Arbeitsschritten und verlängerten Bearbeitungszeiten. Die teils hohe Arbeitsbelastung in den Behörden verschärft diese Herausforderungen zusätzlich.
Neben den technischen Fragen der Übertragung von Daten ist auch die Übertragung selbst mit hohen Hürden verbunden. Sozialdaten unterliegen einem strengen Datenschutz. Die Kommunikation zwischen Behörden muss den Anforderungen an das Sozialgeheimnis (§§ 67 ff. SGB X) entsprechen und sicherstellen, dass die Daten bei der Übertragung geschützt sind. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) setzt zudem neue Mindeststandards, die eingehalten werden müssen. Zugleich braucht es das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Sicherheit digitaler Datenübertragung und -verwaltung. Dieses fehlt oftmals, was auch auf offensichtlichen Mängeln im Datenschutz beruht. Ein aktuelles Beispiel sind die kontroversen Debatten um die elektronische Patientenakte (siehe dazu zum Beispiel hier; zu rechtlichen Problemen in der Digitalisierung des Gesundheitswesens siehe auch dieses Thema des Monats).
1.4 Uneinheitliche Verwendung von Rechtsbegriffen
Neben diesen strukturell-organisatorischen Aspekten bergen auch die sozialrechtlichen Vorschriften selbst Ursachen für Bürokratie. Ein weiterer Komplexitätstreiber ist zum Beispiel die uneinheitliche Verwendung von Rechtsbegriffen. Häufig wird derselbe Begriff in unterschiedlichen Gesetzen unterschiedlich definiert und angewendet, was eine einheitliche Verarbeitung von Daten erschwert. Ein Beispiel dafür ist der Begriff „Kind“. Im deutschen Sozialrecht variiert dessen Definition je nach Leistungssystem. So gelten unterschiedliche Altersgrenzen, je nachdem, ob es sich etwa um Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder nach dem Bundeskindergeldgesetz handelt. Selbst innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe existieren abweichende Definitionen. So bewegen sich die Altersgrenzen insgesamt zwischen 14 und 25 Jahren. Eltern müssen entsprechend für jedes Leistungssystem gesonderte Angaben zu ihren „Kindern“ machen. Noch komplexer gestaltet sich der Begriff „Einkommen“, der je nach Rechtsgrundlage unterschiedlich definiert und angewandt wird (siehe dazu diesen NKR- Bericht auch mit weiteren Beispielen, S. 11 f.). Diese Unterschiedlichkeit erhöht nicht nur die bürokratische Komplexität für Bürgerinnen und Bürger, sondern erschwert auch die technische Verarbeitung von Datensätzen.
2. Lösungsansätze zum Abbau von Bürokratie
Um diese Komplexität und die damit verbundene Bürokratie zu reduzieren, gibt es verschiedene Lösungsansätze, die vereinzelt bereits umgesetzt wurden oder sich in der Umsetzung befinden.
2.1 Erfüllungsaufwand, Praxis- und Digitalchecks
Mögliche Maßnahmen zum Bürokratieabbau setzen dabei an unterschiedlichen Stellen an. Einige Instrumente zielen darauf ab, bereits beim Erlass von Gesetzen die Auswirkungen neuer Regelungen zu prüfen und unnötige bürokratische Belastungen von vornherein zu verhindern. So muss beispielsweise im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene der sogenannte Erfüllungsaufwand berechnet werden. Dieser umfasst sowohl den zeitlichen Aufwand als auch die entstehenden Kosten für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und die Verwaltung bei der Umsetzung von Gesetzen (siehe dazu hier).
Während solche Prüfmechanismen auf Bundesebene gesetzlich verankert sind, gibt es auf Landesebene teils unterschiedliche Umsetzungsansätze, die je nach Ressourcenausstattung und politischer Ausrichtung variieren.
Darüber hinaus bieten Praxischecks die Möglichkeit, die tatsächlichen Auswirkungen rechtlicher Regelungen in der Praxis zu überprüfen. Im direkten Austausch mit den betroffenen Akteuren werden anhand konkreter Praxisbeispiele bestehende bürokratische Hürden identifiziert, etwa wenn verschiedende Regelungen aufeinandertreffen. Gleichzeitig werden mögliche Lösungsansätze erarbeitet, um die Verwaltungspraxis effizienter zu gestalten (zu den Praxischecks des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz siehe hier; einen Einblick in die Durchführung und Ergebnisse von Praxischecks bietet zudem dieser Vortrag).
Der Digitalcheck begleitet Regelungsvorhaben methodisch und gibt fachliche Hinweise für eine digitaltaugliche Gesetzgebung. Er wird derzeit auf Bundesebene für neue Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften angewandt und kontinuierlich weiterentwickelt. Indem frühzeitig auf digitale Umsetzbarkeit geachtet wird, hilft der Digitalcheck, ineffiziente Verwaltungsverfahren zu vermeiden und nutzerfreundliche Prozesse zu fördern. So werden doppelte Dateneingaben, analoge Nachweise und aufwendige Antragsverfahren reduziert, was Bürokratie abbaut und die Verwaltungsmodernisierung unterstützt (siehe dazu hier).
2.2 „Once-Only-Prinzip“
Andere Maßnahmen setzen auf der operationalen Ebene an. Ein Prinzip, dass die Lasten für Bürgerinnen und Bürger beim Behördenkontakt reduzieren soll, ist das Once-Only-Prinzip. Damit wird die Notwendigkeit verringert, gleiche Angaben mehrfach bei unterschiedlichen Behörden machen zu müssen. Wurden Daten oder Dokumente einmal von der Verwaltung erfasst, werden diese gespeichert und können von unterschiedlichen Behörden über Registerabfragen für weitere Verfahren genutzt werden.
Ein Beispiel für die Umsetzung dieses Once-Only-Prinzips ist die teilweise Automatisierung des Kindergeldantrags. Wenn Eltern die Geburt eines Kindes beim Standesamt anzeigen, wird die Geburtsurkunde von dort an die Familienkasse übermittelt. Die Eltern erhalten dann von der Familienkasse automatisch ein Schreiben mit einem Link zum teilweise bereits vorausgefüllten Online-Antrag auf Kindergeld. Dieses kann dann ohne weitere Nachweise beantragt werden, wodurch der bürokratische Aufwand für Eltern erheblich sinkt (siehe dazu hier).
2.3 „One-Stop-Shop“
Ein weiterer Ansatz zur Reduzierung bürokratischer Hürden für Bürgerinnen und Bürger ist der sogenannte One-Stop-Shop. Ziel ist es, eine zentrale digitale Anlaufstelle zu schaffen, von der aus alle notwendigen Schritte für ein bestimmtes Anliegen gebündelt adressiert werden können. Auf diese Wiese sollen der Zugang zu Leistungen und Angeboten erleichtert und bürokratische Hürden abgebaut werden. Verfahren werden so beschleunigt und zugleich nutzerfreundlicher.
Im Sozialrecht würde dies zum Beispiel bedeuten, dass Familien alle relevanten Informationen zu möglichen Leistungen auf einer zentralen Webseite finden und diese dort unmittelbar digital beantragen können. Welche Behörde die Leistung letztlich bearbeitet, wäre dann unerheblich, da die Daten verwaltungsintern weitergeleitet würden. Einen ersten Vorstoß in Richtung einer solchen zentralen Anlaufstelle stellt das Projekt „Sozialplattform“ dar. Diese bundesweite Onlineplattform, die von Bund und Ländern betrieben wird, bietet Informationen und Unterstützung zu verschiedenen Sozialleistungen – von der Identifikation passender Leistungen über deren Beantragung bis hin zur Suche nach Beratungsstellen für besondere Lebenslagen. Teilweise können Anträge bereits direkt über die Plattform gestellt werden, andernfalls erfolgt eine Weiterleitung zur zuständigen Behörde.
2.4 „No-Stop-Shop“
Während beim One-Stop-Shop noch ein Aktivwerden der Bürgerinnen und Bürger erforderlich ist, bietet der No-Stop-Shop einen vollständig automatischen Service. Nach diesem Prinzip werden Leistungen unmittelbar durch die Verwaltung erbracht, ohne dass dafür gesondert Anträge gestellt werden müssen. Ausschlaggebend ist der Eintritt eines relevanten Ereignisses bzw. das Vorliegen bestimmter Daten. In Österreich beispielsweise setzt bereits seit 2015 die Auszahlung des Kindergeldes (sog. Familienbeihilfe) unmittelbar nach der Geburt eines Kindes ein, ohne dass dafür ein separater Antrage gestellt werden muss (siehe dazu hier).
Diese Art der Leistungserbringung verringert die bürokratischen Belastungen für Bürgerinnen und Bürger, verkürzt Wartezeiten und erleichtert auch die Bearbeitung in den Behörden, die keine Anträge mehr verwalten müssen.
Damit diese digitalen Lösungen erfolgreich umgesetzt werden können, sind jedoch die notwendigen technischen Voraussetzungen erforderlich. Die oben angesprochenen Hürden in der Datenübermittlung und Kommunikation zwischen Behörden müssen zunächst abgebaut werden. Ein wichtiges Schlagwort in diesem Zusammenhang ist die semantische Interoperabilität. Sie bedeutet, dass Daten sowohl vom Sender als auch vom Empfänger gleichermaßen verstanden und verarbeitet werden können. Dies betrifft nicht nur die technische Komponente der Datenverarbeitung, sondern auch deren Inhalte. So ist zum Beispiel auch ein übereinstimmendes Verständnis von Rechtsbegriffen notwendig, um einen reibungslosen Datenaustausch zwischen Behörden und Leistungssystemen zu gewährleisten (siehe dazu auch hier den Vortrag zum Thema „Semantische Interoperabilität“).
2.5 Bürokratieentlastungsgesetz IV
Schon mehrere Gesetze hatten das Ziel, bürokratische Belastungen zu reduzieren. Jüngstes Beispiel ist das Vierte Gesetz zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie (kurz: Bürokratieentlastungsgesetz (BEG) IV) vom Oktober 2024. Auch zahlreiche sozialrechtliche Regelungen sind von diesem Gesetz betroffen. Die tatsächlichen Auswirkungen auf die Sozialverwaltung sind jedoch nur geringfügig. Wichtige Änderungen betreffen insbesondere die Ersetzung der Schriftform durch Textform in verschiedenen Leistungsbereichen. Während bei der Schriftform das Dokument mit einer eigenhändigen Unterschrift des Ausstellenden versehen werden muss (§ 126 BGB), reicht es bei der Textform, dass die Erklärung ohne Unterschrift, aber lesbar auf einem dauerhaften Datenträger (zum Beispiel per E-Mail, SMS oder als WhatsApp-Nachricht) abgegeben wird (§ 126b BGB).
In bestimmten Fällen ist es damit jetzt grundsätzlich möglich, Anträge bzw. Dokumente digital einzureichen. Dies betrifft zum Beispiel die Möglichkeit, Pflege- oder Familienpflegezeiten, das Elterngeld oder die Elternzeit für ab Mai 2025 geborene Kinder unterschriftslos per E-Mail zu beantragen. Für ältere Kinder bleibt jedoch parallel das bisherige Schriftformerfordernis bestehen.
Einige der Änderungen durch das BEG IV treten zudem erst in den kommenden Jahren (die letzten zum 1. Januar 2030) in Kraft. Hinzu kommt, dass nicht alle Änderungen, die zur Bürokratieentlastung führen sollen, uneingeschränkt begrüßt werden. So hält es der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beispielsweise für erforderlich, dass Arbeitnehmende weiterhin einen Nachweis in Schriftform über ihre wesentlichen Arbeitsbedingungen erhalten. Auch die neue Möglichkeit des Jugendamts, Unterhaltsvorschusszahlungen ohne Bescheid vorläufig einstellen zu können, stößt auf Kritik (zur Stellungnahme des DGB siehe hier, S. 3 ff.; weitere Stellungnahmen zum BEG IV finden Sie hier).
Die mit dem Gesetz initiierten Reformen sind daher vor allem als ein kleiner erster Schritt in Richtung eines Bürokratieabbaus im Sozialrecht zu sehen.
3. Fazit
Ein bürgerfreundlicher und bürokratiearmer Sozialstaat ist demnach an zahlreiche Voraussetzungen geknüpft – von der Entstehung eines Gesetzes bis hin zu dessen konkreter praktischer Umsetzung. Einerseits sind legistische Kompetenzen in der Gesetzgebung gefragt, um von vornherein bürokratiearme und digitaltaugliche Regelungen zu schaffen. Andererseits braucht es Verwaltungsstrukturen, die einen bürgerfreundlichen Service ermöglichen und zugleich die technischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung aufweisen. Der digitale Wandel erfordert zudem ein offenes Mindset und Veränderungsbereitschaft in der Verwaltung, um neue Technologien effektiv umzusetzen und belastende Bürokratie nachhaltig abzubauen.