zusammengestellt von Hans Nakielski
Gesetzgebungsverfahren
Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 20/3900)
Der Gesetzentwurf wurde mit zahlreichen Änderungen (s. BT-Drs. 20/4706 – Beschlussempfehlung) am 1. Dezember 2022 vom Bundestag gebilligt.
Der Bundesrat hat das Gesetz am 16. Dezember 2022 passieren lassen.
Es wurde am 28. Dezember im Bundesgesetzblatt verkündet.
Es trat in erheblichen Teilen am 1. Januar 2023 in Kraft, andere Teile werden aber erst später (1. Juli 2023, 1. Januar 2024, 31, Dezember 2024, 1. Januar 2025, 28. Juni 2025, 1. Januar 2026 oder 1. Januar 2027) wirksam.
Stellungnahme des DGB zum Gesetzentwurf
Einige wichtige Inhalte
Mit dem Gesetz werden u. a. die technischen Vorgaben für das Melde- und Beitragsrecht im Sinne der Digitalisierung zeitgemäßer ausgestaltet. Außerdem erfolgen gesetzliche Änderungen im Vermögensanlagerecht der Sozialversicherungsträger, beim Hinzuverdienst von Rentner:innen, im Arbeitsförderungsrecht, bei der Künstlersozialversicherung sowie in anderen Rechtsbereichen.
Änderungen beim Beitrags- und Melderecht: Ein Großteil der Regelungen des Gesetzes betrifft die Umstellung von Verfahren, die bislang noch einen schriftlichen Informationsaustausch vorsahen, auf digitale elektronische Wege. Dazu gehört z. B. die Meldung von Elternzeiten durch die Arbeitgeber an die Krankenkassen. Die Pflicht zur Vorlage eines Sozialversicherungsausweises wird durch den automatisierten Abruf der Versicherungsnummer seitens des Arbeitgebers bei der Datenstelle der Rentenversicherung abgelöst. Zudem wird der Sozialversicherungsausweis durch den Versicherungsnummern-Nachweis ersetzt.
Änderungen beim Vermögensrecht der Sozialversicherung: Die Möglichkeiten der Versicherungsträger zur Vermögensanlage werden an veränderte Rahmenbedingungen angepasst und erweitert. Das Gesetz berücksichtigt insbesondere die Einschränkungen der freiwilligen Einlagensicherung, die der Bundesverband deutscher Banken zum 1. Januar 2023 beschlossen hat und verpflichtet die Versicherungsträger zu einem qualifizierten Anlage- und Risikomanagement.
Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten entfällt: Die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten entfällt ab dem 1. Januar 2023 ersatzlos. Damit kann im Bereich der Altersrenten unbeschränkt hinzuverdient werden. Regulär durften Altersfrührentner:innen bisher nur 6.300 Euro hinzuverdienen, ohne dass ihre Rente gekürzt wurde. Mit Beginn der Corona-Pandemie wurde die Hinzuverdienstgrenze aber angehoben: zuletzt auf 46.060 Euro im Jahr 2022 (siehe hier).
Jetzt wurde sie ganz abgeschafft. Mit der Neuregelung entfiel auch die Pflicht, die Rentenversicherung über die Aufnahme einer Beschäftigung zu informieren. Durch die Neuregelung wurden auch die seit Anfang 2017 geltenden Regelungen zur Kombination von Teilrente und Arbeitsverdienst hinfällig. Ab 2023 gibt es keine verdienstabhängigen Teilrenten mehr, sondern nur noch frei gewählte Teilrenten. Alle Altersrenten können nun nach Belieben als Vollrente oder als Teilrente (in Höhe von mindestens zehn Prozent der Vollrente) bezogen werden.
Hinzuverdienstgrenze bei Renten wegen Erwerbsminderung erhöht: Bei den gesetzlichen Renten wegen Erwerbsminderung (EM) wurden die Hinzuverdienstgrenzen deutlich angehoben. Bei der Rente wegen voller EM ist 2023 ein jährlicher Hinzuverdienst von 17.823,75 Euro anrechnungsfrei. Die Hinzuverdienstgrenze wurde dynamisiert und an die Entwicklung der Bezugsgröße angepasst. Die Rechenregel dabei ist: Anrechnungsfrei ist ein monatliches Bruttoentgelt bis zur Höhe von drei Achteln der 14-fachen monatlichen Bezugsgröße. Bei den EM-Renten kommt es allerdings nicht nur auf die Höhe des Hinzuverdienstes an. Denn eine Rente wegen voller EM erhält nur, wer täglich nur noch weniger als drei Stunden arbeiten kann.
Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird bei einem Restleistungsvermögen von unter sechs Stunden täglich gezahlt. Sie ist von vornherein als Kombirente – also als Ergänzung zum Arbeitseinkommen – gedacht. Entsprechend ist die Hinzuverdienstgrenze hier deutlich höher. Wer eine Rente wegen teilweiser EM erhält, darf 2023 mindestens 35.647,50 Euro hinzuverdienen, ohne dass die Rente gekürzt wird. Die Rechenregel lautet dabei: Ein Einkommen in Höhe von sechs Achteln der 14-fachen monatlichen Bezugsgröße ist anrechnungsfrei.
Daneben gilt – wie bisher – die individuelle Hinzuverdienstgrenze weiter, die sich am höchsten Verdienst der letzten 15 Jahre vor dem Eintritt der Erwerbsminderung orientiert. Die individuelle Grenze kann höher sein als die pauschale Grenze. Die Höhe der individuellen Grenze kann dem Rentenbescheid entnommen oder bei der Deutschen Rentenversicherung erfragt werden.
Neue Bemessungsgrundlage beim Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld für Grenzgänger:innen: Die Regelungen zur Bemessung des Arbeitslosengelds und Kurzarbeitergelds für Grenzgänger:innen, die deutsche Entgeltersatzleistungen beziehen, jedoch im Ausland leben, wurden geändert. Für den Fall, dass – wie es etwa in Frankreich der Fall ist – Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld direkt besteuert werden, gilt: Die deutschen Entgeltersatzleistungen werden künftig ohne Abzug einer fiktiven deutschen Lohnsteuer berechnet. Damit setzt der Gesetzgeber die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 3.11.2021, Az.: B 11 AL 6/21 R) um und vermeidet eine Doppelbesteuerung.
Vereinfachung bei den Abschlussprüfungen der Anträge auf Kurzarbeitergeld aus der Zeit von März 2020 bis Juni 2022: Ab dem 1. Januar 2023 werden die Abschlussprüfungen der Anträge auf Kurzarbeitergeld aufgrund der COVID-19-Pandemie im Zahlungszeitraum von März 2020 bis Juni 2022 vereinfacht. Die Abschlussprüfungen werden erst ab einer Gesamtauszahlungssumme von über 10.000 Euro (Kurzarbeitergeld zuzüglich etwaiger Erstattungen der Sozialversicherungsbeiträge) für den jeweiligen Arbeitsausfall durchgeführt. Im Übrigen werden Verfahren ohne Abschlussprüfung abgeschlossen. Bei Verdacht auf Missbrauch sowie auf Antrag soll eine Abschlussprüfung durchgeführt werden.
Arbeitslosengeld für überwiegend kurz befristet Beschäftigte: Die seit 2012 immer wieder erneut befristete Sonderregelung in §142 Abs. 2 SGB III für überwiegend kurz befristet Beschäftigte wurde nun dauerhaft entfristet. Nach dieser Regelung kann ein Anspruch auf Arbeitslosengeld unter erleichterten Bedingungen geltend gemacht werden. Für diesen Personenkreis (dazu zählen vor allem Kunst- und Kulturschaffende mit kurzen Beschäftigungszeiten) reichen bereits Versicherungspflichtzeiten von sechs Monaten innerhalb der letzten 30 Monate vor der Arbeitslosigkeit aus. Ansonsten müssen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld Versicherungszeiten von zwölf Monaten innerhalb des genannten Zeitraums vorliegen.
Um von der Sonderregelung profitieren zu können, müssen die Betroffenen nach wie vor zwei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllen:
- Zum einen kommt es auf die Dauer ihrer Beschäftigungsverhältnisse in den letzten beiden Jahren vor einem Antrag auf ALG an. Die Jobs müssen überwiegend auf kurze Zeit (auf nicht mehr als 14 Wochen) befristet gewesen sein.
- Das Einkommen darf in den zwölf Monaten vor der Arbeitslosigkeit das 1,5-fache der Bezugsgröße nach 18 Abs. 1 SGB IV nicht übertreffen. 2022 lag diese Grenze bei 59.220 Euro. Wer im letzten Jahr höhere Einkünfte hatte, muss Zeiten zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit durch eigene Rücklagen überbrücken.
Künstlersozialversicherung: Besserer Versicherungsschutz für Künstler:innen mit selbstständigen Nebentätigkeiten: Es gilt nun eine Verbesserung für selbstständige Künstler:innen und Publizist:innen, die auch nicht-künstlerische selbstständige Nebentätigkeiten ausüben. Bisher erlosch ihr Versicherungsschutz nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG), wenn sie bei den selbstständigen Nebentätigkeiten oberhalb der Geringfügigkeitsschwelle (seit Oktober 2022: 520 Euro) verdienten. Bei einer zusätzlichen abhängigen Beschäftigung sind die Künstler:innen und Publizist:innen dagegen so lange über das KSVG versichert, wie ihre künstlerische oder publizistische Tätigkeit als „Hauptberuf“ zu werten ist. Verglichen werden dabei die Verdiensthöhe und der Zeitaufwand beider Tätigkeiten.
Mit Beginn der Corona-Pandemie wurde aber eine Sonderregelung für die selbstständigen Nebentätigkeiten geschaffen: Bis zum 31. Dezember 2022 durften die Betroffenen bis zu 1.300 Euro im Monat mit nicht-künstlerischen Tätigkeiten verdienen, ohne dass ihr Versicherungsschutz über das KSVG gefährdet war. Doch diese Regelung ist ausgelaufen.
Stattdessen wurde seit dem 1. Januar 2023 die Möglichkeit zum dauerhaften Hinzuverdienst mit selbstständigen nicht-künstlerischen Tätigkeiten erweitert und an die Regelungen von abhängigen Nebenjobs angeglichen. Nun ist beim Zusammentreffen von selbstständigen künstlerischen bzw. publizistischen Tätigkeiten und selbstständigen anderen Tätigkeiten maßgebend, welche der Tätigkeiten als „Haupttätigkeit“ überwiegt.
Änderungen des Sozialgerichtsgesetzes: Bei Klagen gegen Entscheidungen von Schiedsstellen und sonstigen Schiedsgremien, die auf Bundesebene Inhalte festlegen, oder bei Klagen, die die Mitwirkungen an Richtlinien des Medizinischen Dienstes betreffen, wird die Eingangsinstanz von örtlich zuständigen Sozialgerichten auf die Landessozialgerichte verschoben.