Fragen und Antworten zu sozialrechtlichen Berufsfeldern
zusammengestellt von Hans Nakielski | November 2021
„World of Sozialrecht“. So nannte sich eine Runde, bei der Expert*innen aus unterschiedlichen Bereichen des Sozialrechts einem kleinen Kreis von Teilnehmer*innen der „Blackbox“-Tagung jeweils für 20 Minuten für weiterführende Informationen sowie Fragen und Antworten zur Verfügung standen.
In jeweils zwei Runden konnten die Teilnehmer*innen auswählen, von welchen der sieben Expert*innen sie mehr wissen wollten. Zur Auswahl standen die sieben Themenbereiche:
- richterliche Tätigkeit
- Tätigkeit eines Jungrichters
- Tätigkeit als Prozessvertretung beim DGB-Rechtsschutz
- anwaltliche Tätigkeit
- Tätigkeit als Justiziarin bei der Deutschen Rentenversicherung
- Tätigkeit als Justiziar beim GKV-Spitzenverband
- wissenschaftliche Tätigkeit
Das Format kam sehr gut an. Unter den Teilnehmer*innen, die die „Blackbox“-Veranstaltung im Nachhinein bewertet haben, schnitt dieser Programmpunkt am besten ab. Auf einer Skala von 1 (geringe Zustimmung) bis 10 (volle Zustimmung) erhielt der Informationsblock zu den verschiedenen sozialrechtlichen Berufsfeldern einen durchschnittlichen Zustimmungswert von 7,45.
Im Folgenden werden – in gestraffter und kurzer Form – einige Fragen aus dem Kreis der Teilnehmer*innen und Antworten der Sozialrechts-Expert*innen wiedergegeben.
Fragen und Antworten zur richterlichen Tätigkeit
Frage: Muss man als Richter häufig gegen eigenes Rechtsempfinden entscheiden?
Antwort: Es kommt vor, dass man Regelungen anwenden muss, die man selbst nicht befürwortet. Aber man muss keine Entscheidungen treffen, die gegen eigene Grundwerte verstoßen.
Frage: Kann man als Sozialrichter*in zwischen den Bundesländern wechseln?
Antwort: Ja. Ein Wechsel wird auch häufig praktiziert. Hohe Hürden bestehen allerdings für einen Wechsel nach Bayern. Ein Wechsel nach Hessen aus anderen Bundesländern ist dann schwierig, wenn das für das Richteramt in Hessen erforderliche Notenquorum nicht erreicht wird. Denn man muss das Notenquorum für Hessen erfüllt haben. Das sind derzeit mindestens 16 Punkte aus der ersten und zweiten Staatsprüfung. Das gilt auch für diejenigen, die in anderen Bundesländern schon jahrelang ein Richteramt ausgeübt haben.
Frage: Ist die wissenschaftliche Tätigkeit mit der Tätigkeit eines Richters vereinbar?
Antwort: Es besteht die Möglichkeit, nebenher wissenschaftlich zu arbeiten – auch als Lehrbeauftragte*r. Die Bundesrichter sind fast alle nebenher noch wissenschaftlich tätig – auch in einem breiten Aufgabentableau. Als Berufsanfänger*in ist so eine Nebenbei-Tätigkeit aber natürlich eine Herausforderung.
Fragen und Antworten zur Tätigkeit eines Jungrichters
Frage: Welche Möglichkeiten gibt es mit dem ersten Staatsexamen am Sozialgericht?
Antwort: Am Sozialgericht werden eher Volljurist*innen gesucht. In anderen Berufsbereichen – etwa bei Berufsverbänden oder im Ministerialbereich – sind die Berufsmöglichkeiten für Absolventen mit nur dem ersten Staatsexamen besser.
Frage: Wird sich das Notenquorum für die Einstellung von Richter*innen ändern?
Antwort: In einigen Bundesländern wurde das Notenquorum schon herabgesetzt – auch aufgrund der Personalsuche und des Generationenwechsels. Es ist aber nicht gut, nur auf die Noten zu schauen. Auch die persönliche Bewertung der Bewerber*innen ist wichtig. Am Konzept des Notenquorums wird sich aber wohl kaum etwas ändern. Denn es geht hier um Massenverfahren.
Frage: Gibt es für Jungrichter*innen eine Einarbeitungszeit?
Antwort: Es gibt eine dreimonatige Einarbeitung. Dabei sind weniger Akten als gewöhnlich zu bearbeiten. Zwei erfahrene richterliche Kolleginnen/Kollegen – so genannte Mentor*innen – begleiten die Jungrichter*innen nach ihrer Einstellung. Außerdem gibt es zumeist ein spezielles Fortbildungsangebot für Proberichter*innen. Dabei erhalten sie bei mehreren ein- und zweitägigen Fortbildungen eine Einführung zu den wichtigsten fachspezifischen Fragen und auch zu allgemeinen Themen.
Fragen und Antworten zur anwaltlichen Tätigkeit
Frage: Mit welchen Fällen haben Fachanwält*innen für Sozialrecht am meisten zu tun?
Antwort: Häufige Fälle sind Bescheide der Rentenversicherung zu Erwerbsminderungsrenten, Hartz-IV-Bescheide, aber auch Streitigkeiten mit Krankenversicherungen zur Genehmigung oder Erstattung von Hilfsmitteln. Nach der Prüfung der Bescheide folgt gegebenenfalls ein Widerspruch und das Aktenstudium. Erst mit dem Widerspruchsbescheid kann es ja zum Sozialgericht gehen.
Frage: Gelangen viele Klagen zu den obersten Sozialgerichten?
Antwort: Nein. Zum Landessozialgericht (LSG) und folgend zum Bundessozialgericht (BSG) gelangen nur wenige Fälle aus der Vorinstanz. Beim LSG ist zumeist Schluss. In der ersten Instanz kann es bis zu einer Entscheidung auch eineinhalb bis zwei Jahre dauern. Das liegt auch an der oft notwendigen Erstellung von Gutachten.
Frage: Wie erfolgt die Vergütung als Anwalt?
Antwort: Der Verdienst richtet sich nach dem Streitwert. Viele unserer Mandant*innen bekommen Prozesskostenhilfe. Davon kann man als Anwalt leben, aber nicht unbedingt überragend. Bei Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren liegt die bei der Prozesskostenhilfe vorgesehene Gebühr für den Anwalt bei rund 400 Euro für das gesamte Verfahren. Es kommt deshalb darauf an, eine Masse solcher Verfahren zu bearbeiten. Im Sozialrecht ist es ganz selten, dass es gesonderte Vereinbarungen über die Höhe der Anwaltsgebühren gibt. Die meisten Kanzleien sind aber nicht allein auf das Sozialrecht ausgerichtet, sondern decken auch noch weitere Fachgebiete ab.
Fragen und Antworten zur Prozessvertretung beim DGB-Rechtsschutz
Frage: Kann man auch beim DGB-Rechtsschutz einen Teil seines Referendariats absolvieren?
Antwort: Ja. Nähere Infos zur DGB-Rechtsschutz GmbH und auch Hinweise zur Möglichkeit, dort ein Praktikum oder die Wahlstation im Rechtsreferendariat zu machen, gibt es auf der Homepage (https://www.dgbrechtsschutz.de/wir/karriere/). Zum Einstieg sind keine besonderen Vorkenntnisse in den Bereichen Arbeits- und Sozialpolitik notwendig. Fast alle Mitarbeiter*innen beim DGB-Rechtsschutz sind Volljurist*innen.
Frage: Wie funktioniert die Aufteilung zwischen Arbeits- und Sozialrecht beim DGB-Rechtsschutz?
Antwort: Anwälte beim DGB-Rechtsschutz machen sowohl Arbeits- als auch Sozialrecht. Das Verhältnis liegt etwa bei 50 : 50. Beide Bereiche hängen zusammen und müssen zusammen betrachtet werden. Im Arbeitsrecht muss immer auch auf die sozialrechtlichen Konsequenzen geachtet werden. In Beratungsgesprächen mit den Mandant*innen wird auch die soziale Absicherung berücksichtigt.
Frage: Wie unterscheidet sich die Tätigkeit beim DGB-Rechtsschutz von der klassischen Anwaltstätigkeit?
Antwort: Bis auf die Tatsache, dass die Mandant*innen über die Gewerkschaften kommen und der Rechtsschutz über deren Mitgliedsbeiträge finanziert wird, gibt es keine großen Unterschiede. Eine Besonderheit ist allerdings die bundesweite Vernetzung des DGB-Rechtsschutzes an vielen verschiedenen Standorten.
Fragen und Antworten zur juristischen Tätigkeit bei der Rentenversicherung
Frage: Muss man Volljurist*in sein, um als Justiziar*in bei der Deutschen Rentenversicherung zu arbeiten?
Antwort: Für die Tätigkeit als Justiziar*in sind beide Staatsexamen notwendig, da zum Beispiel auch Prozessvertretungen zum Aufgabenbereich gehören. Vor den Sozialgerichten können aber auch Beschäftigte aus dem gehobenen Dienst – also etwa Dip.-Verwaltungswirte – auftreten.
Frage: Womit beschäftigen sich Jurist*innen bei der Rentenversicherung noch?
Antwort: Mit dem Zusammenspiel vieler Rechtsgebiete. Neben dem Rentenrecht zum Beispiel auch mit dem Selbstverwaltungs- und Aufsichtsrecht. Aber auch mit dem Strafrecht, zum Beispiel wenn es um Rentenbetrug geht. Aber auch das Gesellschaftsrecht spielt eine Rolle. Die Rentenversicherungsträger sind ja an Berufsförderungswerken beteiligt, die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbringen. Auch mit der Erarbeitung rechtlicher Arbeitsanweisungen sind Jurist*innen beschäftigt.
Fragen und Antworten zur juristischen Tätigkeit beim GKV-Spitzenverband
Frage: Welche Aufgaben kommen auf Juristen beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung zu?
Antwort: Der GKV-Spitzenverband handelt beispielsweise Rahmenverträge und Vergütungsvereinbarungen für die stationäre, ambulante und zahnärztliche Versorgung aus. Er legt Richtlinien für die gesundheitliche und pflegerische Versorgung und Festbeträge für Arznei- und Hilfsmittel fest und verhandelt mit Arzneimittelherstellern über die Erstattungspreise für neue Medikamente. Hier ist überall juristischer Sachverstand gefragt. Das gilt auch für die Beratung von Parlamenten und Ministerien im Rahmen von aktuellen Gesetzgebungsverfahren.
Frage: Wo sind Vorteile bei der Arbeit in einem Verband gegenüber der Arbeit in einer Anwaltskanzlei?
Antwort: Die Tätigkeit im Verband bietet einen hohen gestalterischen Anteil. Im Vergleich zu Anwaltskanzleien herrscht weniger Umsatzdruck. Das Abrechnen von Stunden steht bei uns nicht im Vordergrund und unser Haustarifvertrag sieht flexible Arbeitszeiten sowie mobiles Arbeiten vor.
Frage: Gibt es die Möglichkeit, Praktika und Referendariate beim GKV-Spitzenverband zu machen.
Antwort: Ja. Praktika sind nicht nur in der Rechtsabteilung möglich. Auch sozial- und naturwissenschaftliche und ökonomische Bereiche im Haus bieten Praktika an. Referendariate können ebenfalls gern im GKV-Spitzenverband absolviert werden.
Fragen und Antworten zur wissenschaftlichen Tätigkeit
Frage: Wie sind denn die Berufsaussichten für Sozialrechtler*innen in der Wissenschaft?
Antwort: Generell gibt es ja einen Fachkräftemangel im sozialrechtlichen Bereich. Auch die Aussichten auf Stellen in der Wissenschaft sind gut. Allerdings sind die Stellen in der Wissenschaft regelmäßig befristet. Es ist daher immer hilfreich, einen „Plan B“ zu haben, falls es mit einer wissenschaftlichen Laufbahn nicht klappt.
Frage: Gibt es Möglichkeiten für ein Praktikum in der Wissenschaft?
Antwort: Je nach Fakultät sind diese Möglichkeiten unterschiedlich. Für ein Praktikum bieten sich aber auch Forschungsinstitutionen an – wie etwa das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) in Frankfurt/Main – oder auch Institutionen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), die die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen fördert und Wissen über Reha und Teilhabe vermittelt.
Frage: Was sollten Sozialrechtler*innen beachten, die eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen?
Antwort: Ganz wichtig ist es, Kontakt mit der Praxis zu halten. Denn in zahlreichen Forschungsprojekten geht es nicht nur um Rechtsfragen, sondern auch darum, wie die Rechtswirklichkeit aussieht – wie also Recht gelebt wird. Entsprechend wird die Praxis mit in die Forschung eingebunden. Auch ist die Interdisziplinarität in der sozialrechtlichen Forschung sehr wichtig. Besonders relevant ist dies bei Gesetzesevaluationen. Die Schnittstelle zu den Sozialwissenschaften wird vor allem in der empirischen Arbeit innerhalb von Forschungsprojekten deutlich. Ein Beispiel dafür ist etwa das Forschungsprojekt zu den Arbeits- und Sozialgerichten und der Sozialverwaltung in der Pandemie (siehe hier).