Wer arbeitet ehrenamtlich als Sozialrichter:in?

von Hans Nakielski | Februar 2022

Während es zur Herkunft der über 1.900 Berufsrichter:innen in der Sozialgerichtsbarkeit keine Daten gibt, ist zumindest ein wenig über die sozialen Hintergründe eines Teils der über 14.000 ehrenamtlichen Richter:innen („Ehris“) an den Sozialgerichten bekannt. Zu verdanken ist dies einer Studie des Zentrums für Sozialforschung Halle (ZSH). Im Folgenden werden die Ergebnisse dazu zusammengefasst. Doch zunächst geht es erst einmal darum, wer überhaupt in welchen Senaten der Sozialgerichtsbarkeit als „Ehri“ tätig sein kann.           

Die ehrenamtlichen Richter:innen

In allen drei Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit wirken ehrenamtliche Richter:innen mit. Die Rechtsfindung liegt also nicht allein in den Händen der Berufsrichter:innen mit juristischer Ausbildung. Damit soll die Verbindung zwischen Rechtsprechung und gesellschaftlicher Wirklichkeit gefördert werden. Die ehrenamtliche Richter:innen sollen als „Lebensweltvermittler:innen“ wirken und ihre Erfahrungen und Werte in die Meinungs- und Entscheidungsbildung der Senate in der Sozialgerichtsbarkeit einbringen. Deshalb dürfte es sicherlich sinnvoll sein, wenn sich die sozialen Bezüge der „Ehris“ von denen der Berufsrichter:innen unterscheiden.

Die ehrenamtlichen Richter:innen sind keine „Richter:innen zweiter Klasse“. Sie haben dieselben Rechte und Pflichten wie die hauptamtlichen Berufsrichter:innen. Sie sind ebenfalls unabhängig und frei von Weisungen. Bei der Abstimmung unter den Richter:innen haben sie das gleiche Stimmrecht wie die Berufsrichter:innen.

Rein zahlenmäßig haben die „Ehris“ in der ersten Instanz (Sozialgerichte) mit 2 zu 1 gegenüber dem oder der vorsitzenden Berufsrichter:in sogar die Mehrheit. In den Senaten des Landessozialgerichts und des Bundessozialgerichts hingegen sind die Ehrenamtlichen gegenüber den Berufsrichter:innen mit einem Zahlenverhältnis von jeweils 2 zu 3 rechnerisch in der Minderheit.

Die ehrenamtlichen Sozialrichter:innen werden für die Dauer von fünf Jahren berufen. Danach ist eine erneute Berufung möglich. Die Berufung erfolgt aufgrund von Vorschlagslisten. Diese Listen werden von Vereinigungen aufgestellt, die jeweils einen Bezug zu dem Gebiet des jeweiligen Sozialrechts haben, auf dem die ehrenamtlichen Richter:innen tätig werden sollen. Das hängt wiederum vom jeweiligen Zuständigkeitsbereich des Senats ab.

Berufung der Ehrenamtlichen nach Zuständigkeitsbereichen

§ 10 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gibt sechs fachliche Zuordnungen fest vor. Danach müssen bei den Sozialgerichten Kammern eingerichtet werden für Angelegenheiten

Zu diesen sechs zwingend einzurichtenden Fachgebieten kommt noch eine mögliche fachliche Zuweisung: Für Angelegenheiten der Knappschaftsversicherung einschließlich der Unfallversicherung für den Bergbau können eigene Kammern gebildet werden.

Das Fachkammerprinzip gibt auch die Regelungen zur Besetzung mit ehrenamtlichen Richter:innen vor. Demnach müssen in den Kammern für Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Arbeitsförderung je ein/e ehrenamtliche/r Richter:in dem Kreis der Versicherten und dem Kreis der Arbeitgeber angehören. Das bestimmt § 12 Abs. 2 SGG. Hier kommt das Prinzip der paritätischen sozialen Selbstverwaltung zum Ausdruck. Zum Kreis der Versicherten zählen ausdrücklich auch Arbeitslose und Rentner:innen und zum Kreis der Arbeitgeber zählen auch Personen, die vorübergehend oder an gewissen Zeiten des Jahres keine Arbeitnehmer:innen beschäftigen (§ 16 Abs. 3 SGG). Außerdem können auch geschäftsführende und leitende Mitarbeiter:innen sowie in staatlichen Behörden tätige Führungskräfte ab einer bestimmten Hierarchiestufe für die Arbeitgeber auf der Richterbank tätig werden.

In den Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts wirken nach § 12 Abs. 3 Satz 1 SGG „je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Vertragsärzte,Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten mit“. In Angelegenheiten der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten werden nach § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG als ehrenamtliche Richter:innen nur „Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten tätig.

Als ehrenamtliche Mitwirkende in den Kammern für Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts sieht § 12 Abs. 4 SGG je eine/n ehrenamtliche/n Richter:in aus dem Kreis der mit dem sozialen Entschädigungsrecht oder dem Recht der Teilhabe behinderter Menschen vertrauten Personen vor.

Schließlich wirken in den Kammern für Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes ehrenamtliche Richter:innen aus den Vorschlagslisten der Kreise und der kreisfreien Städte mit. Die ehrenamtlichen Richter:innen dieser Gruppe werden nicht als Fachleute, sondern als Staatsbürger mit entsprechender allgemeiner fachlicher Eignung für das richterliche Ehrenamt ausgewählt.

Der Weg ins ehrenamtliche Richteramt am Sozialgericht führt wegen dieser gesetzlichen Vorgaben zwingend über die Aufnahme in die Vorschlagslisten von

So erfolgt eine Vorgabe dazu, wer ehrenamtlich als Sozialrichter:in arbeiten kann. Eine weitere Vorgabe wird durch § 16 Abs. 1 SGG verlangt: Das Amt kann danach nur ausüben, wer Deutscher ist und das 25. Lebensjahr vollendet hat. Für ehrenamtliche Sozialrichter:innen am Landessozialgericht beträgt das Mindestalter 30 Jahre und für diejenigen am Bundessozialgericht 35 Jahre.

Sozialstatistische Ergebnisse der Befragung von „Ehris“

Um mehr zu den Personen, Erfahrungen und Wirkungen des richterlichen Ehrenamtes zu erfahren, hatte das Zentrum für Sozialforschung Halle (ZSH) von Mitte Januar bis Anfang April 2018 eine Befragung bei ehrenamtlichen Richter:innen der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg, Berlin und Sachsen-Anhalt durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in einem Forschungsbericht des ZSH vorgestellt (siehe hier).

Die Sozialforscher:innen werteten dabei u. a. die Ergebnisse aus 1.304 Fragebögen von ehrenamtlichen Richter:inen bei Sozial- und Landessozialgerichten in den drei Bundesländern aus. Etwas mehr als die Hälfte (56 %) der 2.338 angeschriebenen „Ehris“ hatten einen auswertbaren Fragebogen zurückgeschickt. Der Rücklauf war damit recht hoch. Hier die wichtigsten ermittelten sozialstatischen Daten zu den ehrenamtlichen Richter:innen:

Geschlecht: Es hatten nahezu doppelt so viele Männer (65 %) wie Frauen (35 %) an der Befragung teilgenommen. Zu beobachten war ein wachsender Frauenanteil mit jüngerem Amtsbeginn, während deutlich mehr Männer als Frauen mit längerer Amtsdauer zu verzeichnen waren.

Alter: Das Mindestalter für die Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit am Sozialgericht beträgt 25 Jahre und am Landessozialgericht 30 Jahre. Insgesamt waren 70 % der befragten Ehrenamtlichen zwischen 46 und 65 Jahre alt. Etwa jeder Fünfte war älter als 65 Jahre und jeder Zehnte bis 45 Jahre alt, wobei der Anteil der unter 35-Jährigen sehr gering ausfiel. Weibliche Laienrichterinnen waren tendenziell etwas jünger als männliche Ehrenamtliche, dafür überwog der Anteil der Männer, die älter als 65 Jahre waren.

Amtsdauer: Insgesamt hatten an der Untersuchung mehr amtsjüngere als amtsältere „Ehris“ teilgenommen. Mit 36 % waren die meisten Befragten in ihrer ersten Amtsperiode tätig, d. h. in den ersten fünf Jahren ihrer Tätigkeit am Sozialgericht. Knapp ein Drittel (32 %) war in der zweiten Amtsperiode (zwischen 5 und 10 Jahren am Gericht) und 18 % in der dritten Amtsperiode tätig. Zwischen 15 und 20 Jahren waren 7 % tätig und schon mehr als 20 Jahre 6 % der Ehrenamtlichen in der Sozialgerichtsbarkeit, die geantwortet haben. Die geschlechtsspezifische Differenzierung zeigt, dass in der ersten Amtsperiode anteilig mehr Frauen als Männer tätig waren, während Personen ab 15 Jahren Tätigkeit häufiger Männer waren.

Schulabschluss: 43 % der befragten „Ehris“ hatte die Schulausbildung mit der allgemeinen Hochschulreife (Abitur) verlassen. Dieser Wert lag erheblich über dem entsprechenden Anteil in der Wohnbevölkerung ab 15 Jahren in Deutschland für das Jahr 2016. Danach hatten nur 30,8 % Abitur (und 3,6 % waren noch in schulischer Ausbildung), wie der Bericht Bildung in Deutschland 2018 (Tabelle B5-3web, S. 55) ausweist.  Des Weiteren hatte jeweils etwa jede(r) Fünfte „Ehri“ die Fachschul- oder Fachhochschulreife (21 %) bzw. einen Realschulabschluss (20 %) erlangt. Mit einem Volksschul- oder Hauptschulabschluss hatten 12 % der Befragten die Schule verlassen (in der  Wohnbevölkerung ab 15 Jahren waren es 2016 insgesamt 31,4 %) und weitere 4 % hatten in einer Polytechnischen Oberschule (POS) die 10. Klasse (DDR) abgeschlossen. Nur ganz vereinzelt war kein Schulabschluss zu verzeichnen. Es zeigte sich somit: Das Bildungsniveau der ehrenamtlichen Richter:innen war erheblich höher als in der Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter.

Beruflicher Bildungsabschluss: Fast alle befragten ehrenamtlichen Richter:innen in der Sozialgerichtsbarkeit hatten einen beruflichen Bildungsabschluss. Lediglich 2 % konnten diesen nicht aufweisen. Auch das ist ein starker Unterschied zu den Daten des Nationalen Bildungsberichts: Der Anteil der Personen in der Bevölkerung Deutschlands ab 25 Jahren ohne beruflichen Bildungsabschluss betrug im Jahr 2016 immerhin gut 18 %. Mit 30 % aller Befragten hatten die meisten „Ehris“ einen Fachhochschulabschluss, gefolgt von 27 % der Laienrichter, die einen Hochschul- bzw. Universitätsabschluss hatten. Knapp ein Viertel (24 %) hatte eine Lehre bzw. Facharbeiterausbildung absolviert, 11 % besaßen einen Abschluss als Meister oder Techniker und 6 % hatten eine Fachschule abgeschlossen.

Auch hier zeigte sich bei einem Vergleich mit der Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter nach dem Bericht Bildung in Deutschland 2018 (Tabellen B5-2Aweb und B5-4web), dass die ehrenamtlich tätigen Richter:innen im Schnitt erheblich höhere berufliche Bildungsabschlüsse erreichten. Vergleicht man die Daten der Arbeitgeber- und Versichertenvertreter:innen, dann zeigte sich: Unter den ehrenamtlichen Arbeitgebervertreter:innen vor den Sozialgerichten gab es höhere Anteile mit Fachhochschul- und Universitätsabschluss und unter den Versichertenvertreter:innen höhere Anteile von Facharbeiter:innen. Generell galt: Wie schon bei der Schulausbildung, so ließ ich auch für den beruflichen Abschluss feststellen: Bei den Amtsjüngeren waren höhere Ausbildungsabschlüsse vorhanden.

Stellung im Erwerbsleben: Knapp ein Drittel (32 %) der ehrenamtlichen Richter:innen in der Sozialgerichtsbarkeit, die geantwortet hatten, waren als Arbeitnehmer:innen beschäftigt. Der Anteil von Rentner:innen lag bei 22 %. Weitere 18 % der Laienrichter waren Beamte. Ihr Anteil war mit fast einem Drittel besonders hoch bei den Arbeitgebervertreter:innen. Der Anteil von Geschäftsführer:innen und Personalleiter:innen betrug jeweils 7 %. 9 % der Laienrichter, die antworteten, waren selbstständig (die meisten davon mit Beschäftigten) und 4 % hatten eine andere Stellung im Arbeitsleben, z. B. als Abteilungsleiter:in, Betriebsrat, Vorruheständler:in oder Hausfrau/Hausmann. Nur ganz vereinzelt gab es Arbeitsloslose unter den „Ehris“, die einen Fragebogen ausgefüllt hatten.

Beschäftigungsbereiche: Die meisten ehrenamtlichen Richter:innen waren hauptberuflich im öffentlichen Dienst tätig. Dies betraf immerhin 45 % derjenigen, die geantwortet haben. Zum Vergleich: Mitte 2018 waren von allen Erwerbstätigen lediglich 11 % im öffentlichen Dienst beschäftigt, wie das Statistische Bundesamt mitteilte (siehe hier).

Auf Platz zwei der hauptberuflichen Beschäftigungsbereiche von „Ehris“ folgte (mit 18 %) eine Tätigkeit in der Industrie. Danach folgten die Beschäftigungsbereiche Bau/Handwerk (7 %), Gesundheit (7 %), Gewerkschaft (4 %), Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (3 %), unternehmensbezogene Dienstleistungen (3 %) und Wohlfahrtsverband/Gemeinnützige Organisation (3 %). Unter den ehrenamtlichen Richter:innen in der Arbeitsgerichtsbarkeit zeigte sich übrigens ein anderes Bild: Hier lagen für die im Ehrenamt tätigen Richter:innen die Schwerpunkte der Tätigkeit mit 39 % in der Industrie und (nur) mit einem knappen Viertel (22 %) im öffentlichen Dienst.

Mitgliedschaften: Fragt man nach den Mitgliedschaften der „Ehris“, so wird – wenig überraschend – deutlich, über welche Wege die Ehrenamtler benannt werden. So war immerhin ein reichliches Viertel (26 %) der befragten Laienrichter:innen zum Befragungszeitpunkt aktuell in einem Betriebs- oder Personalrat tätig. Und: In der Vergangenheit war sogar ein Drittel der Befragten Betriebsrats- oder Personalratsmitglied oder Ersatzmitglied. 44 % der aktuellen Mitglieder eines Betriebs- oder Personalrats waren für diese Tätigkeit vom Arbeitgeber freigestellt.

Knapp die Hälfte (46 %) der befragten ehrenamtlichen Richter:innen an den untersuchten Sozialgerichten waren Mitglied einer Gewerkschaft. Am größten war die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder – wenig überraschend – unter den Versichertenvertreter:innen. Fast neun von zehn Versichertenvertreter:innen waren in der Gewerkschaft. Laienrichter:innen in der ersten Amtsperiode waren seltener Mitglieder in einer Gewerkschaft als Amtsältere. Nur sehr wenige Befragte (3 %) waren Mitglieder einer sonstigen selbstständigen Vereinigung von Arbeitnehmern. Knapp zwei Drittel (65 %) der Arbeitgebervertreter:innen waren Mitglied in einem Arbeitgeberverband.

Als ehrenamtlicher Richter:innen in einer noch einer anderen Gerichtsbarkeit (z.B. bei Arbeitsgerichten) wirkten insgesamt 8 % der Befragten mit. Das traf vor allem auf Arbeitgebervertreter:innen und Laienrichter:innen in der 4. Amtsperiode zu. Nur sehr wenige Befragte waren in einem Organ der sozialen Selbstverwaltung in der Sozialversicherung tätig (2 %, dies betraf überwiegend Vertragsärzte).

Fazit

Durch die ehrenamtlchen Richter:innen kommt zu den hauptberuflichen Jurist:innen auf der Richterbank der Sozialgerichte eine Gruppe von Laienrichter:innen hinzu. Diese setzt sich aus unterschiedlichen Personen- und Berufsgruppen mit unterschiedlichen Qualifizierungen und unterschiedlichem sozialen Status zusammen. Weil die „Ehris“ von vorschlagsberechtigten Organisationen (insbesondere der Versicherten und der Arbeitgeber) benannt werden müssen, dominieren unter ihnen Gewerkschafter:innen und Arbeitgebervertreter:innen. Zwar bilden die „Ehris“ in den Sozialgerichten einen gewissen sozialen Gegenpol zu den verbeamteten Berufsrichter:innen. Doch die durchschnittliche Wohnbevölkerung repräsentieren sie nicht. So ist ihr (berufliches) Bildungsniveau erheblich höher, ihre Stellung im Arbeitsleben eher  herausgehoben und ein übergroßer Teil von ihnen ist im öffentlichen Dienst tätig.

Hans Nakielski

Fachjournalist für Arbeit und Soziales in Köln