Videoverhandlungen:

Von der Vorbereitung bis zur Urteilsverkündung – Erfahrungen eines Sozialrichters

von Davor Šušnjar | 01.08.2023

In der Sozialgerichtsbarkeit besteht insbesondere im Krankenhausvergütungsrecht seitens der Beteiligten ein hohes Interesse an Videoverhandlungen. Aber auch bei Verfahren zu anderen Streitigkeiten (etwa Verfahren nach dem SGB II) gibt es gelegentlich bereits Videoverhandlungen,  insbesondere wenn überregional tätige Rechtsanwaltskanzleien bevollmächtigt sind. Aus richterlicher Sicht lösen Videoverhandlungen zunächst Vorbehalte oder sogar Ängste aus. Ob und inwieweit sie berechtigt sind, wird im Folgenden analysiert. 

1. Warum Videoverhandlungen?

Der erste Anstoß zu Videoverhandlungen kommt in der Regel von den Beteiligten durch ihren Antrag nach § 110a Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung nicht im Gerichtssaal, sondern an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Für die Beteiligten liegen die Vorteile einer Videoverhandlung auf der Hand: Sie vermeiden Fahrtkosten und Fahrzeiten. Außerdem können Rechtsanwälte direkt nach dem Termin zum Diktiergerät greifen und mit dem unmittelbaren Eindruck aus der mündlichen Verhandlung das Anschreiben an ihre Mandantschaft erledigen. Im Zug oder im Auto ist dies nicht so ohne weiteres möglich.

Aus richterlicher Sicht ergeben sich zunächst keine offensichtlichen Vorteile, überwiegen doch zunächst die Vorbehalte (dazu unten mehr). Aber auch aus richterlicher Sicht bringen  Videoverhandlungen Vorteile: Da die Beteiligten Fahrzeiten sparen, können Termine leichter koordiniert und damit Verlegungsanträge vermieden werden. Unwetter, Bahnstreiks oder Staus fallen als Hindernisse für die Durchführung von Verhandlungsterminen weg – zumindest soweit es die Beteiligten und ihre Bevollmächtigten betrifft. Außerdem können grundsätzlich auch unkomplizierte Erörterungstermine vom Richterschreibtisch oder aus dem Homeoffice heraus erfolgen.

2. Vorbehalte

Auch der Verfasser hatte zunächst Vorbehalte und musste diese überwinden: Videokonferenzen auf unterschiedlichen Plattformen hat während der Pandemie jeder kennengelernt, sei es im Zusammenhang mit Vereinsarbeit, der Schule oder einfach nur privat. Eine Videoverhandlung ist jedoch etwas komplizierter:

All diese Vorbehalte sind nachvollziehbar und sollten auch nicht als bloße Fortschrittsfeindlichkeit abgetan werden. Sie sind aber alle lösbar, wenn Richter:innen, Gerichtsverwaltungen, Serviceeinheiten und Beteiligte Hand in Hand arbeiten.

3. Die technischen Rahmenbedingungen

Der Verfasser hat am Sozialgericht (SG) Hannover und am SG Kassel Videoverhandlungen durchgeführt. Die Ausstattung ist jeweils ähnlich: An beiden Gerichten wird Skype for Business (R) als Konferenzsoftware verwendet. Die Software ist so lizensiert, dass sie auch von den Richter:innen für Besprechungen untereinander verwendet werden kann. Das hat den Vorteil, dass die Konferenzsoftware zunächst einmal vertraut ist. Außerdem können Richter:innen selbst Einladungslinks erstellen und die Verbindungen testen. Ob das im Hinblick auf die Aufgabenverteilung zwischen Richter:innen und Verwaltung ein Vorteil oder ein Nachteil ist, soll zunächst offenbleiben.

In Hannover ist die Richterbank mit drei Monitoren ausgestattet. Außerdem gibt es für die Beteiligten bzw. die Öffentlichkeit jeweils einen großen Bildschirm. Die Kameras sind direkt vor der Richterbank aufgebaut und decken einerseits die Richterbank und andererseits die Tische für die Beteiligten ab. Als Mikros werden sogenannte Spinnen verwendet. Die Kamera lässt sich auf den Vorsitzenden bzw. die Vorsitzende oder die gesamte Richterbank zoomen.

In Kassel ist die Richterbank ebenfalls mit drei Monitoren ausgestattet. Die Kameras sind in den oberen Ecken des Sitzungssaals angebracht und decken die Richterbank bzw. die Beteiligten ab. Von Vorteil ist, dass die Kameras im „normalen“ Sitzungsbetrieb nicht stören. Dagegen besteht der Nachteil, dass man sich als Sprecher:in sehr zwingen muss, statt in die vor einem stehenden Monitore in die seitlich/oben angebrachte Kamera zu schauen. Dies klappt bislang nach zwei Videoverhandlungstagen in Kassel nicht so gut. Es gibt bis auf eine wichtige Ausnahme an jedem Platz ein Mikro, welches von den Kameras erkannt wird und diese bei Benutzung auf den Sprecher bzw. die Sprecherin umschwenken lässt. Leider wurde beim Einkauf der Anlage nicht bedacht, dass die ehrenamtlichen Richter:innen in der Sozialgerichtsbarkeit in der ersten Instanz eine hohe Bedeutung haben. Deswegen verfügen sie nicht über Mikrofone. Wegen der automatischen Kamerasteuerung werden sie beim Sprechen nicht gesehen, sondern im Bild ist immer nur der oder die Vorsitzende.

Die Konferenzanlagen werden mit eigenen Computern, die über ein Touchdisplay bedient werden, gesteuert. Dies erfordert eine Einweisung und auch danach etwas Übung.

4. Die Vorbereitung

4.1 Der Startschuss

Anfangs geben in der Regel die Beteiligten den Startschuss zu einer Videoverhandlung. Mittlerweile gestattet der Verfasser Videoverhandlungen von Amts wegen mit der Ladung zu Krankenhausvergütungsstreitigkeiten. Für den Anfang empfiehlt es sich zunächst nur eine Sache  (idealerweise die letzte am Sitzungstag) oder einen Block mit gleichen Prozessbeteiligten als Videoverhandlung durchzuführen, ggf. auch nur als Erörterungstermin. Denn durch Videoverhandlungen kann es auch bei viel Erfahrung immer zu Verzögerungen kommen.

4.2 Der Sitzungslink

Für die Teilnahme an der Sitzung muss ein Link erstellt und den Beteiligten und den Vorsitzenden übermittelt werden. Idealerweise sollte er auch aktenkundig gemacht werden. Hier entsteht der erste Abstimmungsbedarf zwischen Richter:innen, Gerichtsverwaltungen und Serviceeinheiten: Wer erstellt die Links? Wer übermittelt sie an die Beteiligten? Welcher Übermittlungsweg wird dafür gewählt (E-Mail oder der elektronische Rechtsverkehr/ERV)? Die Beantwortung der ersten Fragen hängt vom Übermittlungsweg ab.

4.3 Der Übermittlungsweg – am besten per ERV

Zunächst ist es naheliegend, die Links per E-Mail zu versenden, weil die Besprechungslinks aus Microsoft Outlook heraus erstellt werden und die E-Mail-Adressen der Teilnehmer:innen direkt eingetragen werden können. Dieses Vorgehen bringt jedoch einige praktische und auch prozessuale Probleme mit sich:

Als praktikabler und ohne weiteres vereinbar mit dem Prozessrecht hat es sich erwiesen, den Einladungslink in die Terminsmitteilung zu kopieren. Auf diese Weise ist der Zugang sichergestellt. Außerdem wird die Mehrarbeit für die Serviceeinheiten minimiert. Wichtig ist nur, den Link (auch) als Url zu übersenden, also in der Form „https://meet.…/ABCDE1234“. Dadurch ist gewährleistet, dass der Link zur Not kopiert oder abgetippt werden kann. Denkbar ist es auch, den Link in den Beschluss nach § 110a SGG einzubetten. Zwingend erforderlich ist dies jedoch nicht und dürfte den Arbeitsablauf nur unnötig komplizieren.

Jedenfalls sollte der Link dem oder der Vorsitzenden zur Verfügung stehen. Idealerweise sollte er unabhängig vom Übermittlungsweg aktenkundig sein. Es kann nämlich sein, dass während oder vor der Konferenz eine Einwahl über den Dienstcomputer des oder der Vorsitzenden erforderlich ist (s. unten).

Außerdem sollte die Terminsmitteilung den Hinweis auf eine Einwahl per Telefon enthalten. Zwar entspricht die Teilnahme auf diesem Weg nicht § 110a SGG. Zur Klärung von Schwierigkeiten ist dieser Weg aber sinnvoll und praktikabel und hat schon so mache Videoverhandlung gerettet.

4.4 Zuständigkeiten

Ein Großteil der Zuständigkeitsfragen ist durch das Verteilen der Einladungslinks im Wege des  elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) geklärt. Bleibt noch die Frage, wer den Link erstellt: Dies hängt maßgeblich von der Konferenzsoftware und der Lizenzgestaltung ab. Bisher konnte der Verfasser die Links selbst aus Outlook erstellen und hat von dieser Möglichkeit gerne Gebrauch gemacht. Der Link ist schnell erstellt und in die Ladungsverfügung kopiert, welche die Vorsitzenden ohnehin ausfüllen müssen.

Im Fall von Skype hat die Erstellung durch die Vorsitzenden den Nachteil, dass ihre Vornamen im Einladungslink auftauchen. Dies mag abschreckend sein, wenn man an die Diskussion zur qualifizierten elektronischen Signatur denkt, bei welcher ebenfalls der volle Name erkennbar ist. Da spätestens mit Zustellung eines qualifiziert signierten Urteils der volle Name des Richters bzw. der Richterin kein Geheimnis mehr ist, dürfte dieser Umstand zu vernachlässigen sein. Denkbar wäre es, den Link vom Konferenzrechner aus zu erstellen. Dann würde sein „Name“, z. B. „Videokonferenz.SitzungssaalX“, im Einladungslink auftauchen. Dies hat aber den Nachteil, dass die Links nicht im laufenden Sitzungsbetrieb erstellt und an die Serviceeinheiten übergeben werden können. Auch Änderungen der Termindauer oder des Termindatums wären so nur umständlich umsetzbar. Denkbar wäre weiterhin, den Link durch die Serviceeinheit oder die Verwaltung erstellen zu lassen. Dann werden aber ggf. die Vornamen anderer Beschäftigter publik gemacht.

4.5 Ein Sitzungstag – ein Link?

Bleibt noch die Frage, ob für jedes zu verhandelnde Verfahren ein eigener Link bereitgestellt wird oder ob für den ganzen Sitzungstag ein Link übermittelt wird. Letztere Lösung ist bedeutend einfacher und flexibler. Im Fall von Umladungen muss nur ein Besprechungstermin geändert und Verfahren können unproblematisch nachgeladen werden, ohne dass – ggf. erst über die Gerichtsverwaltung – ein neuer Link erstellt werden muss.

Gegner dieser Vorgehensweise berufen sich auf den Datenschutz. Die Datenschutzbedenken haben den Verfasser nicht zu überzeugen vermocht. Denn Teilnehmer:innen können nur nach Erlaubnis des oder der Vorsitzenden aus dem Wartebereich in den Konferenzbereich gelangen. Schon in tatsächlicher Hinsicht erschließt sich das Datenschutzproblem deswegen nicht.

Demgegenüber entstehen praktische Probleme im Sitzungsalltag. Denn wer acht Verfahren auf dem Zettel hat, muss entsprechend aufpassen, den richtigen Konferenzlink zu erwischen.  Das gilt auch für die Beteiligten, wenn sie mehrere Verfahren an einem Tag verhandeln. Ggf. können auch beim Erstellen und Versenden des Links Verfahren durcheinandergeraten. Das Chaos wird komplett, wenn es zu Umladungen kommt oder zuvor Testtermine stattgefunden haben.

4.6 Die Formalien

Dies ist nicht der rechte Ort, um erschöpfend die Anforderungen an die Form einer Gestattung nach § 110a SGG zu diskutieren. Überwiegend wird vertreten, dass die Gestattung in Beschlussform als Entscheidung des Gerichts zu ergehen hat und nicht nur als formlose Verfügung des oder der Vorsitzenden. Dies erhöht den Arbeitsaufwand erheblich und zwar mehr als die Erstellung eines Besprechungslinks. Denn die Beschlüsse müssen in jedem Verfahren erstellt, unterschrieben/signiert und zugestellt werden. Die Ladung eines Sitzungstages im Krankenhausvergütungsrecht gestaltet sich dadurch recht aufwändig. Will der Gesetzgeber Videoverhandlungen attraktiver für Richter:innen machen, sollte er unterschriebene/signierte Verfügungen der Vorsitzenden genügen lassen. Zwar kann man auch einen Minimalbeschluss mit Kurzrubrum und Tenor mit der Ladungsverfügung kombinieren. Aber dann muss am Ende die Serviceeinheit die Beschlüsse ausfertigen, sodass insgesamt eine erhebliche Arbeitskraft des Gerichts gebunden wird.

4.7 Testtermine

Es ist in jedem Fall zu empfehlen, sich mit der Konferenzanlage vor dem eigentlichen Termin vertraut zu machen. Die Beteiligten müssen dafür nicht testweise anwesend sein. Es genügt, wenn sich ein Mitglied des Kollegiums (Beschäftigte der Serviceeinheiten eingeschlossen) einwählt. Im Grunde ist auch dies nicht zwingend erforderlich, da die Bildqualität über die Bildschirme im Gericht überprüft werden kann. Die Tonqualität kann über einen Testanruf festgestellt werden.

Dies beseitigt im Grunde auch die Notwendigkeit eines Testtermins für Beteiligte, die sich auf die gleiche Weise von der Qualität der Video- und Tonverbindung überzeugen können. Zumindest für die Beteiligten, mit denen noch nicht erfolgreich verhandelt wurde, sollte trotzdem ein Testtermin stattfinden. Dies kann auch ohne die Technik im Sitzungssaal erfolgen, weil die Saaltechnik für den Test der Verbindung zwischen Beteiligten und Gericht keinen Unterschied macht. Insbesondere die Erkennung der Kamera bereitet vereinzelt Schwierigkeiten. Teilweise ist die Sprachqualität nicht akzeptabel, hier verschafft ein Headset sichere Abhilfe.

Wünschenswert wäre es, wenn langfristig für diese Termine geschultes Personal durch die Verwaltung des Gerichts bereitgestellt würde, soweit dies nicht schon der Fall ist. Denn eine Fehlersuche bei den Beteiligten setzt Kenntnis von der Clientsoftware voraus, die – wie im Fall von Skype for Business – nicht identisch mit der Software im Gericht sein muss. Außerdem sind Richter:innen typischerweise Nachfrager nach IT-Support und verfügen für diese Arbeit in der Regel schlicht nicht über die notwendige Qualifikation und die Zeit. Allerdings erübrigt sich mit der Zeit die Notwendigkeit, Testtermine durchzuführen.

5. Was am Sitzungstag beachtet werden muss

Am Sitzungstag sollte etwa eine halbe Stunde vor Beginn der Sitzung die Konferenzanlage hochgefahren und in die Videokonferenz eingewählt werden. In der Zeit kann die Funktion von Bildschirmen, Kameras und Mikros getestet werden. Idealerweise sollte diese Arbeit von geschulten nichtrichterlichen Kolleg:innen erledigt werden. Das Einwählen in die Konferenz kann mitunter schwierig sein. Zwar besteht die Möglichkeit, den Konferenzrechner schon mit Erstellung des Links einzuladen. Die für ihn anstehenden Videokonferenzen müssten dann eigentlich in einer Liste auswählbar sein. Dies funktioniert erfahrungsgemäß nicht, insbesondere wenn der Konferenzrechner beim Einladen offline ist. In dem Fall muss der eingeschaltete Konferenzrechner von einem anderen Teilnehmer eingeladen werden. Gegenwärtig erledigt dies der Verfasser mit seinem Dienstrechner, wofür die Kenntnis des Einladungslinks erforderlich ist.

Zu Beginn der Sitzung müssen die Beteiligten aus dem Wartebereich in die eigentliche Konferenz geholt werden.

Anschließend wird wie bei einer „normalen“ Verhandlung die Anwesenheit festgestellt. Für das Protokoll könnte so formuliert werden: „…nehmen nach Aufruf der Sache den Termin wahr: Für die Klägerin Rechtsanwältin …. entsprechend der durch Beschluss vom … von Amts wegen ausgesprochenen Gestattung im Wege der störungsfrei funktionierenden Bild- und Tonübertragung in das Sitzungszimmer; für den die Beklagte Frau … im Wege physischer Anwesenheit im Sitzungssaal “.

In Schwitzen gerät man, wenn die Einwahl nicht klappt bzw. Beteiligte nicht anwesend sind. Beteiligte sollten sich in dem Fall per Telefon einwählen, damit die weitere Vorgehensweise geklärt werden kann.

Eine Sorge aus richterlicher Sicht ist, dass während der Sitzung neben der Sitzungsleitung, dem Rechtsgespräch und der Protokollführung auch die Arbeiten von Kameraleuten/Regisseuren erledigt werden müssen. Bisher waren beim Autor Eingriffe in die Kamerasteuerung während der Sitzung so gut wie nie erforderlich. Besonders von Vorteil erweist sich eine mikrofongesteuerte Kameraführung. Sie gewährleistet auch, dass Mimik und Gestik beim Sprechen wahrgenommen werden. Bei der Beobachtung von anderen Videoverhandlungen fiel auf, dass der automatische Kameraschwenk nicht immer funktioniert. In solchen Fällen kann der oder die Vorsitzende mit Kameraeinstellungen aufgehalten werden. Die damit verbundene Arbeit kann aber durch sinnvolle Voreinstellungen über Vorbelegungstasten minimiert werden.

Will man mit Beteiligten Teile der Akte besprechen oder Berechnungen erläutern, ist es am einfachsten, sich mit seinem Dienstrechner in die Konferenz einzuwählen und die entsprechende Anwendung bzw. das Anwendungsfenster zu präsentieren. Dazu sollten jedoch Mikro und Lautsprecher des Dienstrechners ausgeschaltet sein, um Rückkopplungen und Störgeräusche zu unterbinden.

Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung sollten die Beteiligten bis zur Urteilsverkündung in der Konferenz eingewählt bleiben. Die Personen auf der Richterbank verlassen wie gewohnt den Sitzungssaal und begeben sich ins Beratungszimmer. Aus Sicherheitsgründen sollte der Konferenzrechner dann gesperrt werden, damit in Abwesenheit der Richter:innen keine unautorisierten Zugriffe erfolgen. Ein Entsperren des Konferenzrechners ist zur Urteilsverkündung nicht nötig bzw. nur, soweit die Kameraeinstellungen angepasst werden müssen.

Der Verfasser lässt auch bei einer Videoverhandlung die Beteiligten zur Urteilsverkündung aufstehen. Dies sollte vorher kommuniziert werden, am besten schon beim Testtermin, damit die Beteiligten ihren Kamerawinkel entsprechend anpassen können.

6. Schattenseiten

Die Videoverhandlung bringt gewisse Nachteile mit sich. Denn die Technik kann nicht eine Verhandlungsatmosphäre ersetzen, die dadurch entsteht, dass Beteiligte sich zum Gericht begeben, sich in einem Saal gegenübersitzen und dort vor Ort unmittelbar die Mimik und Gestik der Beteiligten verfolgen können. Sind nur professionelle Beteiligte – Behörden und Rechtsanwälte – betroffen, mag dieser Aspekt oft nicht so gravierend sein. Für Versicherte kann es im Einzelfall aber durchaus wichtig sein, in der mündlichen Verhandlung die Chance zu nutzen, Mitarbeitenden des Versicherungsträgers ganz direkt ihre Argumente vorzutragen. Ein Erscheinen der Behörde nur per Video kann von Versicherten so verstanden werden, als sei deren Anliegen nicht wichtig genug, um die persönliche Anwesenheit eines Sitzungsvertreters oder einer Vertreterin zu rechtfertigen.

Außerdem lässt sich beobachten, dass – vereinzelt – die Umgangsformen nachlassen. So lassen sich in Einzelfällen beispielsweise Beteiligte beobachten, die während des Vortrages von Beteiligten oder Richter:innen Getränke zu sich nehmen oder Rechtsanwälte nehmen ohne Robe und nur im T-Shirt an Sitzungen teil.

7. Fazit

Schon die Länge der oben aufgeführten Abschnitte dieses Texts zeigt: Nicht das Verhandeln in einer Videoverhandlung ist schwierig, aufwändig oder kompliziert, sondern deren Vorbereitung. Auch dabei wiederum geht es nicht so sehr um die einzelnen Arbeitsschritte. Probleme entstehen, wenn nicht klar ist oder nicht akzeptiert wird, wer welche Arbeit zu erledigen hat. Hier sind viel Kommunikation, Experimentierfreude, gegenseitiges Entgegenkommen und Geduld erforderlich. Außerdem ist etwas Aufmerksamkeit notwendig, um eine Kultur zu etablieren, die trotz Onlineteilnahme die Würde der mündlichen Verhandlung bewahrt.

Nach mittlerweile unzähligen Videoverhandlungen kann gesagt werden: Videoverhandlungen funktionieren sehr gut, wenn sie gut vorbereitet werden.

Dr. Davor Šušnjar

Richter am Sozialgericht, z. Zt. SG Kassel