von Hans Nakielski | Mai 2020
Bundestag und Bundesrat haben am 14. bzw. 15. Mai ein zweites Sozialschutz-Paket verabschiedet. Das Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II) wird am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in überwiegenden Teilen in Kraft treten. Hier ein Überblick über die wichtigsten Änderungen:
Erhöhung des Kurzarbeitergeldes:
Für die Monate mit Kurzarbeit ab März 2020, in denen der Entgeltausfall mindestens 50 Prozent beträgt, wird das Kurzarbeitergeld (Kug) vorübergehend bis zum 31. Dezember 2020 in zwei Schritten erhöht: Ab dem 4. Monat Kug gibt es statt der regulären 60 Prozent (bzw. mit kindergeldberechtigtem Kind: 67 Prozent) des ausgefallenen pauschalierten Nettoarbeitsentgelts dann 10 Prozentpunkte mehr, also 70 bzw. 77 Prozent. Ab dem 7. Bezugsmonat des KuG gibt es eine weitere Erhöhung um zehn Prozentpunkte auf 80 bzw. 87 Prozent. Geregelt wird diese vorübergehende Sonderbestimmung im neuen Abs. 2 des § 421c SGB III. Da für die Berechnung des höheren Kug erst die Monate mit Kurzarbeit ab März 2020 zählen, wird es die Erhöhung auf 70 bzw. 77 Prozent frühestens im Juni geben. Die Erhöhung auf 80 bzw. 87 Prozent wird frühestens im September 2020 wirksam. Ende dieses Jahres wird die Anhebung des Kug wieder entfallen.
Höhere Hinzuverdienstgrenze bei Kurzarbeit:
Befristet bis zum Jahresende 2020 wird die Hinzuverdienstgrenze für Kurzarbeiter erhöht. Bisher galt: Wer Kug bezieht, darf zwar prinzipiell einen Nebenjob ausüben. Die Einkünfte daraus wurden dann aber angerechnet und reduzierten so das Kug. Neu ist nun: Wenn Kurzarbeiter ab Mai eine Nebenbeschäftigung aufnehmen, wird das Entgelt daraus nicht vollständig angerechnet. Sie dürfen insgesamt (also mit dem KuG) so viel verdienen, wie sie vorher in ihrem regulären Beschäftigungsverhältnis gehabt haben – ohne dass ihr KuG gekürzt wird. Durch das Sozialschutz-Paket I gilt eine solche Regelung – allerdings nur befristet bis Ende Oktober 2020 – ab April schon für diejenigen, die einen Nebenjob in „systemrelevanten Branchen und Berufen“ aufnehmen. Nun gilt diese höhere Hinzuverdienstgrenze – bis zum Jahresende – für alle Kurzarbeitenden mit Nebenbeschäftigungen gelten. Dies wird im neuen Abs. 1 von § 421c SGB III geregelt.
Verlängertes Arbeitslosengeld:
Für die Bezieher von Arbeitslosengeld, deren Anspruch zwischen dem 1. Mai und dem 31. Dezember 2020 endet, verlängert sich die Anspruchsdauer auf die Versicherungsleistung um drei Monate. Geregelt wird dies im neuen § 421d SGB III. Damit soll berücksichtigt werden, dass derzeit die Vermittlungsmöglichkeiten von Arbeitslosen sehr eingeschränkt sind.
Mittagsessen für bedürftige Kinder: Schüler und Kita-Kinder aus finanziell bedürftigen Familien, die wegen der Corona-Pandemie nicht mehr in der Schule oder Tageseinrichtung mittags gratis verpflegt werden, sollen das Mittagessen nach Hause oder an eine andere Abholstelle geliefert bekommen. Die Kosten dafür (einschließlich möglicher Mehrkosten für die Belieferung nach Hause bzw. an eine Abholstelle oder die pandemiebedingte Zubereitung weniger Essen) werden (rückwirkend) vom 1. März bis zum 31. Juli 2020 von den jeweiligen Ämtern übernommen. Dies betrifft Kinder von Eltern, die Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kinderzuschlag, Sozialhilfe, Wohngeld oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben. Es gilt entsprechend auch für Leistungsberechtigte in Werkstätten für behinderte Menschen und bei vergleichbaren Angeboten. Wohlfahrtsverbände und Elternvertreter haben aber erhebliche Zweifel, ob die (häusliche) Lieferung kostenloser Mittagessen an die Betroffenen tatsächlich klappt. Statt Essenslieferungen könnten Essensgutscheine zur Verfügung gestellt werden. Der DGB, Wohlfahrts- und Sozialverbände, Verbraucherschutzorganisationen, der Deutsche Kinderschutzbund und das Deutsche Kinderhilfswerk fordern außerdem zur Abdeckung des Mehrbedarfs in der Corona-Krise 100 Euro mehr sofort für alle Menschen, die existenzsichernde Sozialleistungen wie Hartz IV oder Altersgrundsicherung beziehen.
Weiterzahlung von Waisenrenten:
Mit Sonderregelungen im SGB VI und SGB VII sowie im Gesetz über die Alterssicherung für Landwirte wird sichergestellt, dass Waisenrenten auch dann (weiter-)gezahlt werden, wenn wegen der Corona-Pandemie Ausbildungen oder Freiwilligendienste später als üblich beginnen.
Änderungen zu den Verfahren vor Sozialgerichten:
Das Sozialschutz-Paket II sieht auch erweiterte Möglichkeiten zu Videoverhandlungen bei den Sozial- und Arbeitsgerichten vor. Für die Sozialgerichte werden diese durch einen neuen § 211 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelt. Er sieht folgende vorübergehende Änderungen zu den Verfahren vor den Sozialgerichten vor, die „bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ – wie sie derzeit besteht – gelten:
- Das Sozialgericht kann einem ehrenamtlichen Richter von Amts wegen gestatten, an der mündlichen Verhandlung „von einem anderen Ort aus“ teilzunehmen, wenn es für ihn aufgrund der epidemischen Lage unzumutbar ist, persönlich beim Gericht zu erscheinen. Die Verhandlung wird dann zeitgleich in Bild und Ton an den anderen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Die Übertragung darf nicht aufgezeichnet werden.
- Auch bei Beratungen und Abstimmungen sowie Entscheidungen ohne mündliche Verhandlungen können sich die ehrenamtlichen Richter „an einem anderen Ort“ aufhalten. Die an der Beratung und Abstimmung Teilnehmenden haben dann „durch geeignete Maßnahmen“ die Wahrung des Beratungsgeheimnisses sicherzustellen.
- Auch den am Verfahren Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen soll das Gericht von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Das gilt auch für die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen.
Der DGB, Sozialverbände und etliche (ehrenamtliche) Sozialrichter sehen diese Änderung kritisch – zumal bei vielen Gerichten die notwendigen technischen Möglichkeiten für Videoverhandlungen gar nicht vorhanden sind. Mehr zu dieser Änderung des SGG bringt das Netzwerk Sozialrecht im nächsten „Thema des Monats“. Der Bundesrat betonte u.a., es sei Sache der Länder, im Rahmen ihrer technischen und finanziellen Möglichkeiten über Videoverhandlungen zu entscheiden und die Umsetzung der neuen Regelungen noch während der Corona-Pandemie werde in den meisten Ländern nicht möglich sein.
Auf die Forderungen des DGB und seiner Mitgliedergewerkschaften zu coronabedingt notwendigen Fristenanpassungen geht verabschiedete Sozialschutz-Paket II nicht ein.