zusammengestellt von Hans Nakielski
Gesetzgebungsverfahren
Der Bundesrat hatte in seiner Sitzung am 15. Mai 2020 zahlreiche Korrekturen gefordert (BR-Drs. 86/20 – Beschluss).
Am 2. Juli 2020 vom Bundestag mit Änderungen beschlossen (BT-Drs. 19/20720 – Beschlussempfehlung)
Vom Bundesrat am 18. September 2020 gebilligt. In einer begleitenden Entschließung stellt der Bundesrat aber fest, dass trotz der vom Bundestag vorgenommenen Änderungen die Bedenken vieler betroffener Menschen, ihre Rechte auf Selbstbestimmung – insbesondere ihres Wohnortes – könnten eingeschränkt werden, nicht vollständig ausgeräumt werden konnten. Nach der UN-Behindertenrechtskonvention gelte es jedoch sicherzustellen, dass „Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben“. Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung, den Vollzug und die Auswirkungen des Gesetzes eng zu begleiten und bei Bedarf gesetzgeberisch zu handeln.
Am 28. Oktober 2020 im Bundesgesetzblatt verkündet.
Das Gesetz trat – bis auf kleine Teile – am 29. Oktober 2020 in Kraft.
Stellungnahme des DGB zum Gesetzentwurf
Einige wichtige Inhalte
- Im neuen § 37c Sozialgesetzbuch (SGB) V wird ein neuer Leistungsanspruch auf „außerklinische Intensivpflege“ für Menschen mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege (z.B. Beatmungspatienten) in das Gesetz aufgenommen. Damit will der Gesetzgeber insbesondere Missstände bei Beatmungspatienten angehen, die oft viel länger als notwendig beatmet werden, weil dies sich für die Leistungsanbieter – unter ihnen finden sich auch dubiose Pflegedienste – besonders lohnt.
- Nur besonders qualifizierte Ärzte dürfen außerklinische Intensivpflege verordnen.
- Außerklinische Intensivpflege kann in Pflegeeinrichtungen, in Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen, in Intensivpflege-Wohneinheiten, in der eigenen Häuslichkeit sowie in „geeigneten Orten“, wie z. B. betreuten Wohnformen, Schulen, Kindergärten und Werkstätten erbracht werden. Die Kassen haben einen Beratungsauftrag – insbesondere zur Auswahl des geeigneten Leistungsortes.
- Die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) müssen im Auftrag der Krankenkassen im Rahmen einer persönlichen Begutachtung am Leistungsort jährlich insbesondere prüfen, ob die medizinische und pflegerische Versorgung sichergestellt werden kann. Wenn die Überprüfung zu Hause nicht möglich ist oder nicht genehmigt wird, kann die Intensivpflege dort versagt werden. Die Überprüfungen bei Leistungserbringern der außerklinischen Intensivpflege in Pflegeeinrichtungen und speziellen Wohneinheiten für Intensiv-Pflegebedürftige sollen künftig „grundsätzlich unangemeldet“ erfolgen.
- Damit die Unterbringung in einer stationären Einrichtung nicht aus finanziellen Gründen scheitert, werden die von Intensiv-Pflegebedürftigen zu zahlenden Eigenanteile in stationären Pflegeeinrichtungen erheblich reduziert.
- Die Kostenübernahme gilt für sechs Monate auch dann weiter, wenn sich der Gesundheitszustand der versicherten Person bessert und außerklinische Intensivpflege nicht mehr nötig ist. Die Krankenkassen können die Leistungsdauer in ihrer Satzung noch verlängern.
- Bei allen Patienten, bei denen eine Entwöhnung von der Beatmung möglich erscheint, soll vor der Entlassung aus dem Krankenhaus ein Entwöhnungsversuch erfolgen. Dafür werden Anreize gesetzt und es wird eine zusätzliche Vergütung gezahlt. Wird ein Entwöhnungsversuch nicht veranlasst, drohen den Kliniken Vergütungsabschläge.
- Nur qualitätsgeprüfte Pflegedienste dürfen außerklinische Intensivpflege erbringen. Kann die Krankenkasse keine qualifizierte Pflegefachkraft für die außerklinische Intensivpflege stellen, sind dem Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Pflegefachkraft in angemessener Höhe zu erstatten.
- Die geriatrische Rehabilitation (Reha) zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit soll gestärkt werden. Ärzte dürfen künftig auch ohne vorherige Prüfung der medizinischen Notwendigkeit durch die Krankenkasse eine geriatrische Rehabilitation verordnen. Die Krankenkassen sind dann daran gebunden. Bei anderen Indikationen kann die Krankenkasse von der Verordnung nur nach Überprüfung und einer gutachterlichen Stellungnahme durch den MDK abweichen.
- Die Regeldauer der geriatrischen Reha wird auf 20 Behandlungstage (ambulant) bzw. drei Wochen (stationär) festgelegt.
- Der Mehrkostenanteil, den Versicherte tragen müssen, wenn sie eine andere als die von der Krankenkasse zugewiesene Reha-Einrichtung wählen, wird halbiert. Die bisherige Mindestwartezeit für eine erneute Reha von Kindern und Jugendlichen wird gestrichen.
- Damit Reha-Einrichtungen ihren Pflegekräften angemessene Gehälter zahlen können, wird die Grundlohnsummenbindung für Vergütungsverhandlungen aufgehoben. Wenn Gehälter bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen bezahlt werden, darf dies von den Reha-Trägern (Krankenkassen) nicht mehr als „unwirtschaftlich“ abgelehnt werden. Auf Verlangen der Träger sind die tarifvertraglichen Vergütungen nachzuweisen. Auf Bundesebene werden Rahmenempfehlungen geschlossen, um einheitliche Vorgaben für Versorgungs- und Vergütungsverträge zu schaffen.
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