„Sozialrecht ist keinesfalls eingleisig“

Die Rentenversicherungs-Justitiarin Silke Mecke schätzt die Vielfalt in ihrem Tätigkeitsbereich

November 2021

Portraitfoto Silke Mecke

Silke Mecke, Justitiarin bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland

Silke Mecke (52) hatte zunächst das Sozialrecht als Tätigkeitsfeld nicht im Blick. Dann wurde sie aber in einem Anwaltsbüro mit sozialrechtlichen Fragen konfrontiert. Mittlerweile arbeitet sie als Justitiarin bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland und schätzt die Verknüpfungen zwischen dem Sozialrecht und anderen Rechtsgebieten.

 

Netzwerk Sozialrecht: Wie sind Sie zum Jurastudium gekommen?

Mecke: Ich hatte den Wunsch, als Rechtsanwältin zu arbeiten, was ich zunächst für circa 3 ½ Jahre auch getan habe.

Netzwerk Sozialrecht: Was veranlasste Sie, sich – gegebenenfalls schon im Studium oder Referendariat – dem Sozialrecht zuzuwenden?

Mecke: Ich hatte zunächst, nachdem ich ein Semester lang eine Vorlesung im Sozialrecht (gesetzliche Unfallversicherung) gehört hatte, das Sozialrecht als Tätigkeitsgebiet nicht im Blick. In der Anwaltskanzlei, in der ich als angestellte Rechtsanwältin tätig war, habe ich das Fachgebiet dann – neben Verkehrsrecht und Strafrecht – von meiner Vorgängerin übernommen. Damals habe ich im Wesentlichen Fälle aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung bearbeitet, zum Beispiel nach dem damals geltendem Recht Klagen auf Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, aber auch Fälle aus dem Recht der Arbeitslosenversicherung, vor allem Klagen gegen Sperrfristen.

Netzwerk Sozialrecht: Gab oder gibt es für Sie inhaltliche Präferenzen beim Sozialrecht?

Mecke: Während meiner Anwaltstätigkeit fand ich die Verfahren aus dem Bereich der Erwerbsminderungsrenten besonders spannend wegen der medizinischen Komponente. Es ist erstaunlich, wie viel medizinisches Wissen man sich auf Dauer aneignen kann durch die Lektüre medizinischer Gutachten und des „Pschyrembel“. Das ist ein medizinisches Nachschlagewerk, das die wichtigsten und gebräuchlichsten Begriffe der Medizin erklärt.

Mittlerweile bin ich vor allem im Bereich des SGB IV tätig. Da geht es um das Selbstverwaltungs- und Aufsichtsrecht einschließlich der alle sechs Jahre stattfindenden Sozialwahlen. Das ist für mich das spannendste Gebiet, auch, weil es weit in die Querschnittsbereiche in der Tätigkeit eines Sozialversicherungsträgers hineinreicht, zum Beispiel im Rahmen der Beteiligung an privatrechtlichen Gesellschaften, etwa den Berufsförderungswerken.

Netzwerk Sozialrecht: Was genau arbeiten Sie heute und wie kamen Sie dorthin?

Mecke: Ich bin Justitiarin in der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland. Nachdem ich gemerkt hatte, dass der Anwaltsberuf nicht das Richtige für mich ist, habe ich unter anderen an die damalige Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt eine Initiativbewerbung geschickt und habe daraufhin dort als Elternzeitvertretung in der Personalabteilung angefangen. Dann habe ich mich auf die Stelle des Selbstverwaltungsreferenten beworben, die ich bis zur Fusion mit den Landesversicherungsanstalten Sachsen und Thüringen innehatte. So bin ich zum Selbstverwaltungsrecht gekommen. Aus diesem Grund bin ich auch jetzt als Justitiarin für dieses Gebiet zuständig.

Netzwerk Sozialrecht: Was reizt Sie an Ihrer Tätigkeit?

Mecke: Sie ist sehr vielfältig; auch gibt es viele Verknüpfungen und Wechselwirkungen mit anderen Rechtsgebieten. Ich bin zum Beispiel auch für das Strafrecht in unserem Haus zuständig. Wenn ich zum Beispiel prüfen muss, ob Versicherte oder Rentner Leistungen aufgrund eines Betrugs erhalten haben, muss ich natürlich die Voraussetzungen für die Leistungen im SGB VI kennen und prüfen, aber auch die Mitwirkungspflichten aus dem SGB I. Sozialrecht ist also keinesfalls eingleisig.

Netzwerk Sozialrecht: Was nervt eher oder macht keinen Spaß? Gibt es Themen im Sozialrecht, die Sie nicht so sehr interessieren?

Mecke: Auf diese Frage fällt mir leider keine Antwort ein.

Netzwerk Sozialrecht: Können Sie ihre jetzige Tätigkeit im Sozialrecht mit Erfahrungen in anderen Rechtsgebieten oder in einem anderen beruflichen Kontext vergleichen?

Mecke: Am ehesten fällt mir dazu die Erwartungshaltung der Menschen ein, die davon betroffen sind, also die Versicherten und Rentner*innen. Das liegt sicher daran, dass sich die Verfahren oft unmittelbar auf die Existenz der Betroffenen auswirken. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das Unverständnis von Menschen, deren Anträge abgelehnt werden, besonders groß ist und die Akzeptanz für die Begründung der Ablehnung besonders schwerfällt. Das ist vor allem der Fall, wenn ich Briefe oder E-Mails von Versicherten auf ihre strafrechtliche Relevanz prüfen muss, weil Beleidigungen oder Bedrohungen im Raum stehen. Solche Reaktionen habe ich im Rahmen von Zivilrechtsstreitigkeiten nicht erlebt.

Netzwerk Sozialrecht: Wie sind die Verdienstmöglichkeiten?

Mecke: Bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung werden die Angestellten nach einem Tarifvertrag bezahlt, der sich in der Regel an dem für den Öffentlichen Dienst orientiert. Die Stellen für Juristen liegen in der Regel im Bereich der Entgeltgruppe 13 oder höher.

Netzwerk Sozialrecht: Wie sieht es mit Aufstieg oder Qualifizierungen aus?

Mecke: Der Aufstieg hängt natürlich davon ab, dass entsprechende Stellen frei sind. Aber Ausschreibungen, vor allem für Leitungspositionen, werden vielfach auch trägerübergreifend durchgeführt. Die Qualifizierungsmöglichkeiten sind gut. Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung wird sehr viel Wert auf Fort- und Weiterbildung gelegt. Es gibt Bildungszentren, zum Beispiel in Erkner und Reinfeld, und es wird jährlich ein Weiterbildungsprogramm aufgelegt. Dies betrifft nicht nur die fachliche Weiterbildung, sondern es werden auch zusätzliche Kompetenzen vermittelt, etwa Umgang mit emotional aufgeladenen Situationen, verschiedene Arbeitstechniken und natürlich gibt es viele Angebote für Führungskräfte.

Netzwerk Sozialrecht: Wie sind die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Mecke: In unserem Haus gibt es seit Langem ein flexibles Arbeitszeitmodell mit Arbeitszeitkonto. Auch Telearbeit oder alternierende Telearbeit werden angeboten. Teilzeitbeschäftigung ist ebenfalls möglich. Im Rahmen der Pandemie wurden die Chancen zur Arbeit im Homeoffice zudem erheblich erweitert. Die fortschreitende Digitalisierung, nicht nur im Bereich der Aktenbearbeitung, sondern auch bei der Kommunikation (zum Beispiel durch Videokonferenzen anstelle von Dienstberatungen in Präsenz) schafft hier weitere Möglichkeiten.

Netzwerk Sozialrecht: Was würden Sie jungen Menschen zur beruflichen Entwicklung raten?

Mecke: Man sollte sich nicht zu früh auf ein Gebiet fokussieren, sondern offenbleiben und über den Tellerrand schauen. Als Jurist lernt man, sich in unbekannte Rechtsgebiete einzuarbeiten. Man sollte also keine Scheu haben, sich mit Sozialrecht zu befassen, auch wenn es kein Bestandteil der Ausbildung war.

Das Interview führte Helga Nielebock.
Sie ist ehemalige Leiterin der Abteilung Recht beim DGB-Bundesvorstand und ehrenamtliche Richterin am Bundesarbeitsgericht.