Statement des Netzwerkes Sozialrecht zur Fortentwicklung des juristischen Studiums
Netzwerk Sozialrecht | Mai 2020
Bereits auf der Herbstkonferenz 2016 hat die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) einen Bericht zur Fortentwicklung des juristischen Studiums abgegeben. Daraus ergaben sich weitere Prüfaufgaben an den Ausschuss zur Koordinierung der Juristenausbildung. Die Teilergebnisse führten bereits auf der Herbstkonferenz 2017 zu einem Beschluss, der eine Vereinheitlichung und Begrenzung des Pflichtstoffs sowie eine Begrenzung des Umfangs des Schwerpunktbereichsstudiums und Angleichung der diesbezüglichen Prüfungsleistungen beinhaltet.
Bereits dieser Prozess wurde mit Blick auf das Sozialrecht u. a. von der Sozialgerichtsbarkeit, den Verbänden, der Wissenschaft und der Anwaltschaft kritisch begleitet. Der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. und der DGB z. B. haben diesen Beschluss kritisiert und darauf hingewiesen, dass die vorgesehenen Änderungen im Schwerpunktbereich gravierende Verschlechterung der sozialrechtlichen Ausbildung zur Folge haben werden und der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des Sozialrechts nicht gerecht werden. Auf die Bedeutung des Schwerpunktstudiums für die allzeit notwendige Fortentwicklung des Sozialrechts zur Beantwortung der sozialrechtlichen Fragen zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft wurde hingewiesen. Ebenso auf die damit schon immer verbundene Ausstrahlung des Sozialrechts in alle anderen Fachgebiete des Rechts. Prozessvertreterinnen und Prozessvertreter, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Sozialgerichtsbarkeit und Leistungsträger müssen immer auch die sozialrechtlichen Folgen der Gestaltungen im Wirtschaft-, Steuer-, Arbeits- oder Familienrecht, im Blick haben.
Das Sozialrecht gehört in den Pflichtstoffkatalog
Im weiteren Prozess hat die JuMiKo den Koordinierungsausschuss mit weiteren Evaluierungen und Erarbeitung von Empfehlungen beauftragt. Über die Ergebnisse sollte auf der 90. Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 7. November 2019 beraten werden.
Das Netzwerk Sozialrecht unterstützt die zwischenzeitlich dazu vom Deutschen Sozialrechtsverband e. V. und Deutschen Sozialgerichtstag e. V. erhobene Forderung, das Sozialrecht in der juristischen Ausbildung entsprechend seiner Bedeutung für unsere Gesellschaft zu stärken und das Sozialrecht und Sozialverwaltungsverfahrensrecht in den Pflichtstoffkatalog für die Erste juristische Prüfung aufzunehmen sowie das Sozialrecht im Schwerpunktbereich nachhaltig zu stärken. Hierzu wurde u. a. vorgeschlagen, dies grundsätzlich durch eine Änderung von § 5a Abs 2 Satz 3 Deutsches Richtergesetz (DRiG) zu regeln und die relevanten Rechtsgebiete des Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts als Kernbereiche der Pflichtfächer einzufügen. Bisher gehören nach dem DRiG nur das Bürgerliche Recht, das Strafrecht, das Öffentliche Recht und das Verfahrensrecht zu den Pflichtfächern.
Unterstützung von der Gesundheitsministerkonferenz
Die Forderung des Netzwerkes Sozialrecht wird unterstützt durch den einstimmig gefassten Beschluss der 92. Gesundheitsministerkonferenz vom 5. und 6. Juni 2019. Darin heißt es:
„Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder bitten die JUMIKO, die Möglichkeit der Aufnahme von Grundzügen des Sozialrechts und Sozialverwaltungsverfahrensrechts in den Pflichtstoffkatalog der juristischen Ausbildung sowie weitere Maßnahmen zur Stärkung des Sozialrechts im universitären Schwerpunktbereich zu prüfen.“
Ebenso haben die Präsidentinnen und Präsidenten der Landessozialgerichte daher zutreffend darauf hingewiesen, dass es unerlässlich ist, den Stellenwert des Sozialrechts in der juristischen Ausbildung zu stärken, um der überragenden gesellschaftlichen und ökonomischen Bedeutung des Sozialrechts gerecht zu werden.
Gesellschaftlich sind die Menschen in Deutschland jederzeit mit dem Sozialrecht und seinen Schnittstellen zu den einzelnen Fachgebieten untereinander sowie zu anderen Rechtsgebieten konfrontiert. Für Eltern beginnt dies für ihre Kinder bereits vorgeburtlich und für Hinterbliebene gilt dies noch nach dem Ableben von Familienangehörigen. Daraus resultiert eine Vielgestaltigkeit und Komplexität des Sozialrechts, die für die Menschen einen professionellen Bedarf an Beratung und Vertretung zur Durchsetzung ihrer Ansprüche erfordert und zur Lösung der damit verbundenen Fragen ausreichend besetzte Gerichte und Lehrstühle. Dies bedingt eine hohe Nachfrage von im Sozialrecht gut ausgebildeten Juristinnen und Juristen in den verschiedensten Professionen. Deren Rekrutierung wird aufgrund der derzeitigen Bedingungen der juristischen Ausbildung immer schwieriger.
Noch deutlicher lässt sich die Bedeutung des Sozialrechts in Deutschland ökonomisch illustrieren. Das Sozialbudget entspricht ca. einer Billion Euro und damit etwa einem Drittel des Bruttonationaleinkommens. Im Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird der Bereich Soziales überdeutlich dominiert. Das Gesundheits- und Sozialwesen bietet 5,2 Millionen Menschen Arbeitsplätze, also etwa 11,5 % der Erwerbstätigen, nicht eingerechnet die mehrere zehntausend Beschäftigten der Sozialversicherungsträger und öffentlichen Verwaltung.
Fragwürdige Ablehnungsbegründung
Soweit der Koordinierungsausschuss Reformüberlegungen ablehnt, das Sozialrecht in den Pflichtfachkanon aufzunehmen, kann der Begründung nicht annähernd gefolgt werden. Nach dieser sei das Sozialrecht ungeeignet, das Ziel der juristischen Ausbildung zu erreichen. Dieses Ziel bestehe u. a. darin, Methodik und Systematik der juristischen Denkweise zu vermitteln, die es den angehenden Juristinnen und Juristen ermögliche, sich in jedes Rechtsgebiet einzuarbeiten und es zu durchdringen. Das Sozialrecht sei – so weiter – nicht geeignet, in besonderer Weise zum exemplarischen und /oder methodischen Lehren und Lernen beizutragen.
Dem ist entgegenzuhalten, dass gerade aus rechtswissenschaftlichen und berufspraktischen Gründen in gleicher Weise dem Sozialrecht Prüfungsrelevanz zuzusprechen ist. Besonders an den Schnittstellen verschiedener Rechtsgebiete und innerhalb der Fachgebiete des Sozialrechts müssen sich dogmatische methodische Erkenntnisse bewähren. Als besonderem Teil des Verwaltungsrechts und damit Teil des öffentlichen Rechts bietet das Sozialrecht mit seinen Verbindungen zum Privatrecht, insbesondere dem Haftungs-, Familien- und Arbeitsrecht, zahlreiche ausbildungs- und prüfungsgeeignete Lebenssachverhalte. Von der klassischerweise im Mittelpunkt der Ausbildung stehenden Eingriffsverwaltung unterscheidet sich das Sozialrecht mit seiner Normstruktur für die Leistungsverwaltung zudem exemplarisch und sehr deutlich. Auf diesen Aspekt hat der im Wesentlichen rechtswissenschaftlich geprägte Deutsche Sozialrechtsverband e. V. ausdrücklich hingewiesen.
Das zweite bekannte Argument des Koordinierungsausschusses, es sei im Rahmen des Schwerpunktbereichsstudiums ohne weiteres möglich, sich im Sozialrecht durch die dortige kritische und wissenschaftliche Vertiefung zu qualifizieren und diese Profilbildung im juristischen Vorbereitungsdienst fortzusetzen, steht im Widerspruch zu dem bereits gefassten und kritisierten Beschluss. Danach soll die im Schwerpunktbereich erreichte Note nur noch mit 20 % statt – wie bisher – 30 % in die Gesamtnote einfließen. Aufgrund dessen sollen die vorgesehenen Semesterwochenstunden im Schwerpunktbereich von derzeit 16 auf 10 bis 14 herabgesetzt werden. Eine Förderung des Sozialrechts wird damit gerade nicht erreicht. In der Praxis ist daher von den Anbietern des juristischen Vorbereitungsdienstes festzustellen, dass Studierende angebotene Referendariate nicht nachfragen.
An dieser Stelle möchte das Netzwerk Sozialrecht deutlich machen, dass die Kritik an der Reduzierung der Wochenstunden im Schwerpunktstudium ebenso von dem mit dem Arbeitsrecht Verbundenen geübt wird. Exemplarisch wird dazu nur auf die Äußerungen der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte und den Deutschen Arbeitsgerichtsverband e. V. verwiesen.
Das Netzwerk Sozialrecht fordert daher eine der gesellschaftlichen und ökonomischen Bedeutung entsprechende Berücksichtigung des Sozialrechts in der juristischen Ausbildung und eine zukunftsgerechte Reform dieser Ausbildung.