Mehrere Studien zeigen: Juristenausbildung muss reformiert werden

Von Bertold Brücher | 01. August 2024

Mehrere Expertisen kommen zu dem Ergebnis: Bei der Juristenausbildung liegt einiges im Argen. Es besteht ein dringender Reformbedarf. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse einiger dieser Studien und Befragungen zusammengefasst.

DZHW-Studie zum Studienabbruch in den Jura-Studiengängen

Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hat Anfang 2015 den Studienabbruch in den Staatsexamens-Studiengängen Jura an den deutschen Universitäten analysiert. Die Studie „Ursachen des Studienabbruchs in den Studiengängen des Staatsexamens Jura“ basiert auf einer repräsentativen Befragung der Exmatrikulierten vom Sommersemester 2014. Danach betrug die Studienabbruchquote in den Staatsexamens-Studiengängen Jura für die Studienanfängerjahrgänge 2007 – 2009 immerhin 24 %. Als Studienabbruch wurde hier das endgültige Verlassen des Hochschulsystems ohne Hochschulabschluss verstanden. Studierende, die den Studiengang oder die Hochschule wechselten, wurden nicht als Studienabbrecher gewertet. Der Studienabbruchwert für das Jurastudium lag zwar unter den Abbruchquoten, die im universitären Bachelorstudium bestehen. Sie lag aber weitaus höher als in anderen Studiengängen, die mit einem Staatsexamen abschließen (z. B. Medizin bzw. Lehramt: 11 % bzw. 13 %.).

Zwar verließen mit 56 % über die Hälfte der Studienabbrecher:innen im Fach Jura die Universität in den ersten vier Semestern. 27 % beendeten aber ihr Jurastudium erst nach dem zehnten Semester ohne Abschluss. „Offensichtlich ist das Curriulum nicht so aufgebaut und organisiert, dass Studierende, deren fachliche Befähigung bzw. auch deren Studienmotivation nicht ausreichend ist für einen Studienabschluss, in der Regel entsprechende Erfahrungen, die eine Studienaufgabe nahelegen, schon in den ersten Semestern machen können“, folgerte die Studie.

Sie legte eine Reihe von Handlungsfelder nahe, um die Abbruchquote zu verringern: Etwa bessere fachliche Vorbereitung auf das Studium, mentorenbegleitete Lerngruppen, curriculare Veränderungen, verpflichtende Beratungsgespräche oder die Entwicklung einer Feedback-Kultur.

Absolventenbefragung des BRF

Der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e. V. (BRF) ist die Interessenvertretung der Jurastudierenden in Deutschland. Als Dachverband juristischer Fachschaften vertritt er die hochschulpolitischen Interessen von rund 120.000 Studierenden bundesweit – gebündelt, unabhängig und überparteilich – gegenüber regionalen und überregionalen Institutionen.

Der BRF befragt regelmäßig Absolventen des Jurastudiums. 2023 lagen die Ergebnisse der fünften Befragung vor. Vom 15. Mai 2022 bis zum 15. Oktober 2022  nahmen 1.384 Jurastudierende teil, die ihre Erste Juristische Prüfung abgeschlossen hatten, egal ob erfolgreich oder nicht, sowie Examenskandidat:innen, die bisher nur die schriftlichen Prüfungen abgelegt hatten. Nur 33,8 % der Teilnehmenden antworteten mit „Ja“ auf die Frage: „Würdest Du das Jurastudium generell weiterempfehlen?“ 43,9 % entschieden sich für ein verzagtes: „Weiß nicht“.

Nun besagt das noch nichts dazu, ob ein Studium „gut geeignet“ ist oder „sich bewährt“ hat. Das kommt ja darauf an, welches Ziel mit dem Volljurist:innenstudium bekannter Couleur verfolgt wird.

Die iur.reform-Studie

Eine noch umfassendere Befragung hat das Projekt iur.reform“ durchgeführt. Das Projekt hatte sich 2021/22 als Verein gegründet, um empirische Ergebnisse zur Jura-Ausbildung zu gewinnen und daraus fundierte Forderungen ableiten zu können. Mit einem „Fundraising“ startete die Kampagne (siehe hier).

Die Beteiligung an der Befragung war beeindruckend. Sie mündete in die größte Studie, die bislang zur Reform der juristischen Ausbildung durchgeführt worden ist. An der iur.-reform-Studie mit dem Untertitel „Es ist Zeit für eine neue juristische Ausbildung“ nahmen 11.842 Personen teil, u. a. 5.033 Studierende, 1.653 Referendar:innen, 2.089 Rechtsanwält:innen, 973 Richter:innen, 209 Staatsanwält:innen und 245 Professor:innen (Berufsangaben der Teilnehmenden).

Hohe Studienabbruchsquoten, Zweifel an der Zukunftsfähigkeit, fehlende Transparenz, veraltete Strukturen und Beharrungstendenzen – das waren nur einige der Kritikpunkte an der juristischen Ausbildung in der 860 Seiten umfassenden Studie.

52 Prozent der Befragten waren unzufrieden mit der juristischen Ausbildung in ihrer jetzigen Form. Als „Sofortprogramm“ wurde von iur.reform aufgrund der signifikanten Befragungsergebnisse in allen drei Großgruppen („in Ausbildung“, „Praktiker: innen“, „Ausbildende“) und der jeweiligen Zustimmung zu den Forderungen Folgendes vorgeschlagen:

Zustimmung zu:

„in Aus­bildung“

„Praktiker:­innen“

„Aus­bildende“

Unabhängige Zweitkorrektur der schriftlichen Examensprüfungen

90 %

86 %

52 %

Einführung des E-Examens

76 %

58 %

55 %

Neue Lerninhalte nur bei Streichung von Bestehenden

78 %

68 %

59 %

Zulassung anderer Prüfungs- und Unterrichtsformen neben Klausur und Vorlesung

69 %

68 %

61 %

Verbesserung des Betreuungsschlüssels an den Hochschulen

69 %

63 %

68 %

Regelmäßiges Monitoring des Jurastudiums im Hinblick auf etwaigen Reformbedarf

82 %

50 %

70 %

(Schaubild entwickelt nach: Kurzzusammenfassung der iur.reform-Studie)

Hamburger Protokoll der Bucerius Law School

Auch Lehrende kamen zu dem Ergebnis, dass Reformbedarfe bei der Juristenausbildung bestehen. So hat auf Initiative der Bucerius Law School am 1. Dezember 2023 eine Arbeitssitzung stattgefunden, die mit dem Titel: „Reform der ersten Prüfung – was können, sollen, müssen wir tun?“ profund das relevante Thema umriss.

Die Bucerius Law School, Hochschule für Rechtswissenschaft (Hamburg), ist eine 2000 von der Zeit-Stiftung Bucerius gegründete private Hochschule für Rechtswissenschaft. Ihrem Selbstverständnis nach möchte sie das Jurastudium erneuern „und zur Präsenz der deutschen Rechtswissenschaft im internationalen Diskurs beitragen“ sowie in offener Gemeinschaft, die von ihrer Vielfalt profitiert, „Plattform eines akademischen, beruflichen und persönlichen Austauschs, der fachliche, sprachliche und kulturelle Grenzen übersteigt“, sein. Von den Mitgliedern der Hochschule wird die Verpflichtung zu „höchster Qualität in Lehre, Forschung und Management“ erwartet und die Bereitschaft, eigene Talente zu entwickeln, „ihre Expertise in den Dienst der Gesellschaft zu stellen und Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen“ (siehe hier).

Das Studium an der Bucerius Law School ist kostenpflichtig. Interessant ist, dass die – nicht unerheblichen – Studiengebühren nach dem Prinzip des umgekehrten Generationenvertrags erst dann zu zahlen sind, wenn die Absolventen im Beruf stehen und ein „gewisses Mindesteinkommen“ beziehen (siehe hier).

Ausgangspunkt der Reformüberlegungen der Lehrenden bei der Bucerius Law School waren Auswertungen der o. a. iur.reform-Studie. Beteiligt am Diskurs waren neben Professor:innen aus 15 Jurafakultäten Vertreter: innen der Initiative iur.reform, des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e. V. sowie schließlich Teilnehmende aus der gastgebenden Einrichtung. Gegenstand und Ergebnisse der Tagung wurden im so genannten Hamburger Protokoll zusammengefasst. Mit dem Protokoll soll ein Anstoß für einen intensiven Dialog zwischen allen Interessengruppen gegeben werden –  nicht nur im Interesse der Studierenden, sondern auch einer Gesellschaft, die auf gut ausgebildete Jurist:innen angewiesen ist.

Die Kernbotschaften der Tagung wurden als „Vier Thesen für eine Reform des Jurastudiums“ formuliert:

  1. Der Pflichtfachstoff ist durch Verlagerung aus dem Examen in das Studium zu reduzieren.
  2. Es bedarf der Einführung eines integrierten Bachelor of Laws (LL.B.).
  3. Barrierefreie Ansprechstellen zur Konfliktvermeidung und -prävention in Prüfungssituationen sind erforderlich.
  4. Die mit der ersten Prüfung zu verfolgenden Ziele sind zu monitoren.

Bertold Brücher

ist Referatsleiter Sozialrecht beim DGB-Bundesvorstand