Kleine Zahlen – große Folgerungen

Fragwürdiger Bericht zur Juristenausbildung vom Ausschuss der Justizminister:innenkonferenz

Von Armin Höland | 01. August 2024

Der im Frühjahr 2024 erschienene Bericht des „Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung“ zum Thema „Juristin und Jurist der Zukunft“ ist zwar lesenswert. Der auf insgesamt 90 Interviews gestützte Bericht, der den Justizminister:innen Anhaltspunkte für die künftige Juristenausbildung geben soll, ist aber methodisch äußerst fragwürdig und nicht im Ansatz repräsentativ.

Der Bericht liefert auf 226 Seiten ein an Originaltönen reiches Potpourri aus dem Inneren des Studienbetriebs an Juristischen Fakultäten in Deutschland, aus dem Ausbildungsbetrieb im Vorbereitungsdienst und aus der juristischen Berufswelt, in die all die Ausbildung münden soll. Fraglich ist aber, ob die auf insgesamt 90 Interviews  basierende Erhebung in zehn von 16 Bundesländern Verlässliches zur Zukunft von Jurist:innen aussagen kann. Bedenken erweckt weniger die Auswahl von zehn von 16 Bundesländern (unter denen sich immerhin zwei ostdeutsche befinden), auch wenn sie nicht erläutert wird. Bedenklich ist vielmehr die Gewinnung weitreichender Aussagen und Empfehlungen aus einer sehr kleinen Zahl von interviewten Personen.

Für eine qualitative Erkundung von Erwartungen und Erfahrungen kommt es zwar auf große Zahlen nicht notwendig an. Interessantes lässt sich auch mit n = wenig entdecken und untersuchen. Eine in gewisser Hinsicht systemrelevante Untersuchung zur Zukunft der Juristenausbildung in Deutschland, die Verallgemeinerbarkeit suggeriert, erfordert jedoch wesentlich mehr Belastbarkeit und Differenziertheit und damit eine auf erheblich größere Zahlen gestützte Methode, kurzum mehr Quantität und Transparenz.

Anlage der Untersuchung und methodisches Vorgehen

Konzipiert, durchgeführt und ausgewertet hat die vorliegende Untersuchung eine Arbeitsgruppe des erwähnten „Ausschusses zur Koordinierung der Juristenausbildung“, der nach eigenem Bekunden seit langem im Auftrag der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister Gutachten und Berichte zur Frage der Juristenausbildung erstattet. Im vorliegenden Fall hatte es der Koordinierungsausschuss Juristenausbildung als sinnvoll erachtet, „sich ohne konkreten Auftrag und ohne Frist der Frage nach der Zukunft der Juristenausbildung zuzuwenden“. Die zu diesem Zwecke gegründete Arbeitsgruppe sollte drei Themen untersuchen:

Gemessen an diesem weiten Horizont von Erkenntnisinteressen erweist sich die empirische Grundlage, aus der die Auskünfte für die Auffüllung der drei Themen gewonnen werden sollten, als fragwürdig schmal. Zu dem mengenmäßigen Einwand (viel zu wenige) kommt das Fehlen genauerer Informationen zu den für die Interviews ausgewählten Personen (wer?) und zur Art und Weise ihrer Gewinnung für die Interviews (wie?).

Die Arbeitsgruppe entschloss sich, wie der Bericht in seiner Einleitung mitteilt, sich den genannten drei Themen durch intensive – strukturierte – Interviews „zu nähern“ und drei Gruppen zu befragen: Lernende, Lehrende und Berufsträgerinnen und Berufsträger im Feld von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. Zustande gekommen sind insgesamt 90 Interviews, die sich, grob gesagt, in drei Drittel aufteilen lassen. Mit der Gruppe der Lernenden führte die Arbeitsgruppe 31 Interviews, mit den Lehrenden 27 Interviews und mit den Berufsträger:innen 32 Interviews.

Fragwürdige Geschlechterverteilung

Die sozialstatistische Charakterisierung der drei Interview-Gruppen ist flacher kaum möglich. In Bezug auf die Geschlechterverteilung waren (Bericht S. 3) 40 % der Befragten weiblich, 60 % männlich. Das ist die Gesamtverteilung des Merkmals Geschlecht über alle 90 interviewten Personen hinweg. Auf die drei Gruppen bezogene Anteile werden nicht mitgeteilt. Die großzügige Festlegung erscheint völlig losgelöst von der tatsächlichen Spreizung der Geschlechterverteilung im Untersuchungsfeld.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (siehe hier) lag der Frauenanteil bei den knapp 117.000 Studierenden der Rechtswissenschaft im Jahr 2022 bei gut 58 % (zu den „Lernenden“ in der Untersuchung gehören auch die Referendar:innen im Juristischen Vorbereitungsdienst, deren Geschlechterverhältnis nicht bekannt ist). Bei den Richter:innen  im Landesdienst beträgt der Frauenanteil gegenwärtig insgesamt gut 49 % (gemessen in Arbeitskraftanteilen, siehe die Richterstatistik 2022 des Bundesamtes für Justiz, Stand 2. April 2024), bei den Staatsanwält:innen  etwas über 52 %, bei den im Jahr 2024 im Bundesgebiet zugelassenen Rechtsanwält:innen  (einschließlich Syndikusrechtsanwälten) bei 37 %. Bei den Professuren einschließlich Juniorprofessuren an den Juristischen Fakultäten lag der Anteil von Frauen im Jahr 2017 bei knapp 18 %, wie Ute Sackofsky und Carolin Six in ihrem Artikel „Was lange währt und immer noch nicht gut ist“ 2018 in der Kritischen Justiz (S. 467) festgestellt haben.

Über diese erheblich unterschiedlichen Geschlechterverhältnisse in den Gebieten von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis legt der Bericht des Koordinierungsausschusses ein (wie begründetes?) Gesamtverhältnis von 40 zu 60. Das mag pragmatische Gründe haben, die zu beurteilen aber nicht möglich sind, wenn die Erwägungen der Forscher:innen  in der Arbeitsgruppe nicht erläutert werden.

Man mag einwenden, dass es kleinlich sei, bei einer Studie, die in Siebenmeilenstiefeln durch ein Forschungsfeld geht, mit dem Millimetermaß nachzumessen. Da die Studie aber aus ihren 90 Interviews weitreichende Folgerungen und Empfehlungen zur Zukunft für Jurist:innen gewinnt und damit möglicherweise nachhaltig auf die Entschlussbildung der Justizministeri:nnen  Einfluss nimmt (siehe dazu den Beitrag „Justizminister:innen sehen keinen Reformbedarf bei der Juristenausbildung“ in diesem Thema des Monats), erscheinen zweifelnde Nachfragen und methodische Bedenken gerechtfertigt.

Fragwürdige Altersverteilung

Die Altersverteilung der interviewten Personen macht den Eindruck des Zufälligen oder allenfalls grob Geschätzten. Jedenfalls wird den Leser:innen des Berichts nicht, wie wissenschaftsüblich, mitgeteilt, auf Grund welcher Anhaltspunkte jeweils ca. ein Viertel der Interviewten unter 30 Jahre oder zwischen 30 und 45 Jahre alt, 40 % zwischen 46 und 60 Jahre alt und „weniger als 10 % der Befragten“ älter als 60 Jahre waren (wo bleibt die Differenz?). Bei einer auf die Zukunft bezogenen Untersuchung erscheint uns die altersmäßige Kalibrierung der Personen, mit denen die Interviews geführt wurden, von Bedeutung zu sein.

Intransparente Auswahl der Interviewpartner:innen

Auch zur Auswahl der Personen verrät der Forschungsbericht nichts. Einen kleinen Hinweis gibt die Einleitung auf Seite 3. Danach wurden „im Laufe des Jahres 2019 zahlreiche Personen angesprochen, deren Auffassung vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrungen wertvoll und variantenreich erschienen“. Wie und wo wurde von wem angesprochen? Wie viele Personen wurden angesprochen („zahlreiche“)? Fand danach eine Auswahl aus den insgesamt Angesprochenen statt? Aufgrund welcher Merkmale oder Annahmen erschienen die Auffassungen der angesprochenen Personen „vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrungen wertvoll und variantenreich“? Wie wurde der Hintergrund erfasst? Wonach bestimmen sich die persönlichen Erfahrungen?

Zum Unerklärten gehört schließlich die Auswahl der zehn in die Untersuchung einbezogenen Bundesländer. Warum zehn? Warum diese zehn? Auf das Bundesgebiet bezogene Untersuchungen zum Studium und zur Praxis des Rechts müssen keineswegs in allen Bundesländern durchgeführt werden. Eine Auswahl ist erlaubt und häufig forschungspraktisch aus Zeit- und Kostengründen nicht zu vermeiden. Aber die Auswahl sollte nachvollziehbar gemacht, auf mögliche Verzerrungen (zu viel Fläche? zu viel Stadtstaat? zu viel West?) sollte hingewiesen werden.

Nicht im Ansatz repräsentativ

Im Hinblick auf die Verallgemeinerbarkeit der gefundenen Ergebnisse, die für die Konferenz der Justizminister:innen  von einiger Bedeutung sein muss, wechselt der Bericht in den Konjunktiv der Hoffnung (S. 3): „Auch wenn die Auswahl der Befragten nicht im strengen Sinne repräsentativ war, dürfte eine so große Bandbreite erzielt worden sein, dass daraus gut verwertbare Ansichten und Einschätzungen abgeleitet werden können“.

Hierzu ist festzustellen, dass bei 90 Interviews für ein Ausbildungs- und Berufsfeld von mehreren hunderttausend Menschen von einer repräsentativen Auswahl auch nicht im Ansatz die Rede sein kann, weder im strengen noch im nicht so strengen Sinne. Und die Erwartung einer ausreichend großen Bandbreite für die Ableitbarkeit gut vertretbarer Ansichten und Einschätzungen bleibt ohne methodische Substanz – was ist in diesem Sinne eine Bandbreite? Wonach bestimmt sie sich? Was begründet die Hoffnung auf eine für die angenommene Ableitbarkeit ausreichend große Bandbreite?

Ein Letztes: Die Untersuchung wurde im Jahr 2019 durchgeführt, dem letzten Jahr vor der Covid-19-Pandemie. Angesichts der massiven Auswirkungen der Pandemie auf alle Lebens- und Berufsbereiche (auch) in Deutschland, wäre verwunderlich, wenn diese große Zäsur keine Spuren im Denken und Handeln der im Jahr davor interviewten Personen hinterlassen hätte. An der Tatsache, dass die Interviews vor der Pandemie durchgeführt wurden, lässt sich selbstverständlich nichts ändern, strukturgleiche Erhebungen nach der Pandemie stehen nicht zur Verfügung. Dennoch sollten zumindest denkbare Auswirkungen der Pandemie auf die Ergebnisse aus den Interviews angeboten werden.

Die Autor:innen  des Berichts tun das (auf S. 3) unter einem einzigen Blickwinkel, dem der Digitalisierung. Die Aussage hierzu ist von ambivalenter Offenheit. Angesichts der Erfahrungen aus der Pandemiezeit, schreiben sie, dürften „bei einer heutigen Befragung lediglich die schon vor der Pandemie deutlich geäußerten Erwartungen an eine Stärkung der Digitalkompetenz der Juristinnen und Juristen von morgen nochmals steigen, anderseits aber auch schon zu einem Teil als verbessert angesehen werden“. Das ist sehr vage, aber immerhin ein Gedanke, über den sich reden lässt. Dabei ist die Digitalkompetenz nur die subjektive Seite eines durch die Pandemie gerade in der Justiz und an den Universitäten offengelegten Mangels an Infrastruktur, Übung und Kompetenz.

Anmerkungen zu den  Interviews der drei Gruppen

Interviews mit Lernenden

Das Drittel der 31 leitfadengeführten Interviews mit „Lernenden“ drittelt sich seinerseits in elf Interviews mit Student:innen , zehn mit Rechtsreferendar:innen und zehn mit Absolvent:innen. Die kleinen Gruppen schränken vor dem Hintergrund von über 116.000 Studierenden der Rechtswissenschaft die ohnehin hochproblematische Frage der Verallgemeinerbarkeit der Aussagen weiter ein.

Das ändert, wie eingangs bemerkt, nichts daran, dass die jeweils auszugsweise dokumentierten Auszüge aus den Interviews, die mit 133 Seiten den größten Teil des Berichts ausmachen, als individuelle Erfahrungen und Bewertungen lesenswert sind. Sie ändern nur nichts an dem methodischen Grundproblem einer unklar bemessenen und für die weitreichenden Schlussfolgerungen viel zu kleinen empirischen Grundlage.

In inhaltlicher Hinsicht erweisen sich die Antworten als eine große Ansammlung von Gedanken, Erfahrungen und Wünschen hinsichtlich Studium und Vorbereitungsdienst, teilweise sich widersprechend oder sich aufhebend, Das ist interessant zu lesen, verhilft nur zu keinen gewichteten oder gerichteten Erkenntnissen zur Berichtsfrage „Juristin und Jurist der Zukunft“. Was sollen die Justizminister:innen  aus dem Interviewbericht an Erkenntnissen zum Änderungsbedarf oder zu dessen Fehlen gewinnen können?

Quantifizierende Kennzeichnungen im Berichtstext wie „Nahezu alle Befragten betonen“, „Nicht wenige der Befragten“, „Viele der Befragten sind der Meinung“ oder „Eher wenige Befragte“ suggerieren Mengen, die angesichts von n = 31 nicht vorhanden sein können. Treffender, aber zugleich die Unmöglichkeit der Verallgemeinerbarkeit von zitierten Stellungnahmen aufzeigend ist die Zuordnung bestimmter Aussagen zu Einzelnen, wie zum Beispiel „Eine Referendarin wünscht sich“, „Ein Student fordert darüber hinaus konkret“, „Ein Absolvent zeigt sich zufrieden mit“, „Eine Stimme wünscht sich“.

Interviews mit Lehrenden

Von den insgesamt 27 Interviews, die im Jahr 2019 mit Lehrenden geführt wurden, entfielen 17 auf Hochschullehrer:innen und zehn auf Ausbilder:innen im juristischen Vorbereitungsdienst. Der Begriff der „Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer“ umfasst nach § 42 Hochschulrahmengesetz „Professorinnen und Professoren, Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren“. Über die statusmäßige Zuordnung der interviewten Personen erfährt man in dem Bericht der Arbeitsgruppe nichts, obgleich die Zuordnung für die Abschätzung des Erfahrungshintergrundes von Belang wäre. Das gilt in ähnlicher Weise für die zehn interviewten Ausbilder:innen im Vorbereitungsdienst, die aus allen Stationen des Referendariats kommen können und damit einen richterlichen, staatsanwaltlichen, verwaltungsbezogenen oder anwaltlichen Erfahrungshintergrund haben können.

Auch in dieser Gruppe von interviewten Personen können Häufigkeitsangaben wie „nach Einschätzung vieler“, „wird von vielen Befragten für möglich gehalten“ oder „Auch darüber hinaus besteht große Einigkeit“ nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um insgesamt 27 bzw. um 17 und zehn Interviews handelt, also kleine Gruppen, deren Äußerungen interessant zu lesen sind, aber über die einzelne Aussage hinaus nichts zu ihrem Gewicht verraten können.

Interviews mit Berufsträger:innen

Etwas differenzierter sind die Angaben zum berufspraktischen Hintergrund der insgesamt 32 Berufsträger:innen  aus zehn Bundesländern, die sich im Jahr 2019 in 28 Interviews äußerten. Von ihnen gehörten 15 der Gruppe „Rechtsanwältin/Rechtsanwalt/Notarin/Notar“ an, vier der Gruppe „Richterin/Richter/Staatsanwältin/Staatsanwalt“, zehn der Gruppe „Personaler“/„Headhunter“ und drei sonstigen Berufen. Bei 28 der Befragten handelte es sich um Volljurist:innen mit der Befähigung zum Richteramt, vier der Befragten haben keine juristische Staatsprüfung abgelegt (alle Angaben auf S. 36). Doch auch hier kann die methodische Selbsteinschätzung nur verwundern, wenn die Arbeitsgruppe die Berufsträgerbefragung „in möglichst großer Varianz“ ankündigt (S. 2), „d. h. Vertreterinnen und Vertreter der Justiz, insbesondere aus der Richterschaft und Staatsanwaltschaft, Vertreterinnen und Vertreter der Anwaltschaft bei Abbildung möglichst unterschiedlicher Kanzleigrößen und Tätigkeitsfelder, der Wirtschaft – hier insbesondere von Personalabteilungen, wobei deren Angehörige nicht selbst Jura studiert haben mussten –, der Verwaltung u. a.“. Zur Erinnerung: Die möglichst große Varianz muss sich bei den Befragten aus der Richterschaft und der Staatsanwaltschaft aus insgesamt vier Personen heraus entfalten…

Auch in diesem Abschnitt und in den dazu gehörenden Interviewauszügen auf den Seiten 204 bis 226 finden wir eine Fülle von Gedanken und Beobachtungen protokolliert, die Anregung und Information im Einzelnen bieten, aber kaum eine zuverlässige Grundlage für Entscheidungen hinsichtlich der Entwicklung der Juristenausbildung sein können.

Erstaunlich selbstsicheres Ergebnis des Berichts

Was folgt aus den 90 Interviews für die Meinungsbildung der Justizminister:innen unter dem Blickwinkel „Juristin und Jurist der Zukunft“? Offensichtlich nichts zum Handeln Drängendes, eigentlich überhaupt nichts zu Änderndes, ein aus ministerieller Sicht vermutlich erleichternder Befund. In der abschließenden Zusammenstellung der Ergebnisse ist nach Ansicht der Autor:innen, die im Übrigen auch nicht namentlich erwähnt werden, auf Seite 72 „bei aller Kritik in Detailfragen“ „eindeutig festzustellen“, dass die deutsche Juristenausbildung für attraktiv (im Bericht im Fettdruck) erachtet werde. Breites Einvernehmen bestehe hinsichtlich der „Grundfesten“ der deutschen Juristenausbildung – dem Prinzip der sog. Einheitsjuristin bzw. des Einheitsjuristen, der Zweigliedrigkeit der Ausbildung und den juristischen Staatsprüfungen sowie der Feststellung, dass die Ausbildung einen breiten Überblick über das Recht sowie die hierauf aufbauende Fähigkeit vermittelt, sich schnell in unterschiedliche und unbekannte Sachverhalte und Rechtsgebiete einzuarbeiten.

Kaum getrübt wird der Befund des Bewährten und zu Bewahrenden durch 13 Zeilen Kritik (S. 74 f.). Sie beschränkt sich auf die, gewiss nicht gering zu veranschlagenden, subjektiven Wirkungen des Jurastudiums im Hinblick auf „Belastung und Psyche“ der Studierenden bzw. Rechtsreferendar:innen.

Ansonsten aber lautet der Tenor der vorliegenden Untersuchung aus dem Jahr 2019: „Grundlegender Reformbedarf besteht nicht“ (S. 83). In Anbetracht von 90 irgendwie eingesammelten Stimmen ist das ein bemerkenswert selbstsicheres Ergebnis. Es steht in deutlichem Unterschied zu der in der ersten Jahreshälfte 2022 durchgeführten großmaßstäblichen Online-Abstimmung über 44 Thesen des „Bündnisses zur Reform der juristischen Ausbildung e. V.“ mit knapp 12.000 teilnehmenden Personen mit einem Bezug zur juristischen Ausbildung (siehe hier) sowie zu anderen Studien zur Juristenausbildung (siehe dazu auch den Beitrag „Mehrere Studien zeigen: Juristenausbildung muss reformiert werden“  in diesem Thema des Monats).

Zum Schluss

Jeder konzeptionell und methodisch angeleitete Versuch, Rechtswirklichkeit in das Recht und die Rechtsausbildung einzubringen, verdient Unterstützung. Der Untersuchungsansatz mag qualitativ oder quantitativ sein, von kleinem oder großem Umfang, theoriegeleitet oder explorativ. Entscheidend ist, dass die Erkenntnisse und Ergebnisse sich der jeweiligen Reichweite ihrer empirischen Ausgangslage bewusst bleiben und die Auswertung sich hiervon nicht entfernt. Allein hierin, in der Diskrepanz zwischen Umfang der Erhebung und Reichweite der Schlussfolgerungen und Empfehlungen, liegt der Grund, warum die Untersuchung der Arbeitsgruppe des Koordinierungsausschusses nicht überzeugen kann.

Prof. Dr. Armin Höland

ist Professor i. R. an der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg