Kaum Konkretes zur Pflegeversicherung im Koalitionsvertrag

von Hans Nakielski | 13. Juni 2025

Neben der Kranken- gehört auch die Pflegeversicherung zu dem Bereich der Sozialversicherung, in dem der größte und dringendste politische Handlungsbedarf besteht. Was die neue Bundesregierung hier konkret tun will, steht aber nicht einmal in Ansätzen im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD.

Dabei sind die gravierenden Probleme des jüngsten Zweiges im deutschen Sozialversicherungssystem lange bekannt:

Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll große Pflegereform erarbeiten

Das sind nur die wichtigsten Punkte, bei denen dringender Handlungsbedarf besteht. Bei allen dringenden Problemen der Pflegversicherung verwundert es sehr, dass der 144-seitige Koalitionsvertrag von Union und SPD dem Thema „Pflegeversicherung“ noch nicht einmal auf eine volle Seite – konkret 27 Zeilen zwischen den Zeilen 3464 und 3490 – widmet. Der Abschnitt „Pflegereform und Bund-Länder-Kommission“ ist damit kürzer als der Abschnitt „Bürokratieabbau im Gesundheitswesen“.

Was in diesen 27 Zeilen steht, ist für diejenigen, die sich Ideen und Impulse für die künftige Pflegepolitik von der neuen Bundesregierung erhoffen, äußerst enttäuschend.

„Die Bewältigung der stetig wachsenden Herausforderungen in der Pflege und für die Pflegeversicherung ist eine Generationenaufgabe.“ Dieser Herausforderung will die neue Bundesregierung „mit einem Mix aus kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen begegnen“, heißt es zwar am Beginn des Abschnitts, in dem dann eine „große Pflegereform“ angekündigt wird. Damit soll „die nachhaltige Finanzierung und Finanzierbarkeit“ [wo ist der Unterschied?] der Pflegeversicherung sichergestellt werden „sowie eine Stärkung der ambulanten und häuslichen Pflege“ erreicht werden. Und natürlich ganz wichtig für auf die auf Bürokratieabbau und Digitalisierung fixierte neue Regierung (siehe dazu auch den Beitrag von Bertold Brücher in diesem Thema des Monats). Es soll gewährleistet werden, „dass Leistungen der Pflegeversicherung von den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen einfach und bürokratiearm in Anspruch genommen werden können.“

Prüfaufträge an die Kommission

Wie dies alles geschehen soll, verrät der Koalitionsvertrag allerdings nicht einmal in Ansätzen. „Die Grundlagen der Reform“ soll schließlich auch nicht die (eigentlich dafür gewählte) neue Bundesregierung erarbeiten, sondern „eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände.“ Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD benennt lediglich Arbeits- und Prüfaufträge an diese Bund-Länder-Kommission.

Sie soll zum Beispiel den Leistungsumfang, Möglichkeiten zur Stärkung der pflegenden Angehörigen, Angebote für pflegerische Akutsituationen und die Stärkung sektorübergreifender pflegerischer Versorgung, Anreize für eigenverantwortliche Vorsorge, die Verortung versicherungsfremder Leistungen und die Begrenzung der pflegebedingten Eigenanteile überprüfen.

Noch in diesem Jahr soll die Kommission, die nach Aussage der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) in der letzten Bundestags-Sitzungswoche vor der Sommerpause ihre Arbeit aufnehmen soll, ihre Ergebnisse vorlegen.

Ob nun in relativ kurzer Zeit einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe das gelingt, was die neue Bundesregierung erst gar nicht anpacken will und die Vorgänger-Bundesregierungen nicht geschafft haben (auch da war auch immer wieder von einer „großen Pflegereform“ die Rede), ist höchst zweifelhaft. Auch der Sinn der vielen Prüfaufträge erschließt sich Expert:innen aus Sozialpolitik und Pflege nicht. Für die „Handlungsnotwendigkeiten“ in der Pflegepolitik bestehe „kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsdefizit“, meint etwa Kai Senf, Geschäftsführer Politik und Unternehmensentwicklung im AOK-Bundesverband – stellvertretend für viele aus der Branche (siehe hier).

Schon lange liegen detaillierte Vorschläge für eine umfassende (Finanz-)Reform im Pflegebereich vor:

Die Bundesregierung könnte bei der anstehenden Reform auf  viele bereits ausgearbeiteten Vorschläge zurückgreifen. Sie müsste sich dann nur mal endlich entscheiden und festlegen – und die Probleme nicht immer weiter vor sich herschieben und die Lösung auf externe Arbeitskreise abwälzen.

So recht scheint allerdings auch die neue Gesundheitsministerin nicht daran zu glauben, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ihr bei der Lösung des Desasters schnell helfen wird. Jedenfalls hat sie angedeutet, dass die Pflegeversicherung möglicherweise kurzfristig mit einem Zuschuss aus der Bundeskasse rechnen kann, um sie vor einem drohenden Kollaps und Milliardendefizit zu bewahren (siehe hier). Neu-Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) gibt ihr dafür Rückendeckung.

Sinnvolle kleinere Vorhaben

Anders als zur „großen Reform“ bei der Pflegeversicherung benennt der Koalitionsvertrag wenigstens zu drei kleineren Vorhaben im Bereich der Pflege Konkretes: So sollen die bereits von der Ampelkoalition angestoßenen Gesetze zur Stärkung der Pflegekompetenz sowie zur Ausbildung von Pflegeassistenzpersonen und zur Einführung von „Advanced Practic Nurse“ auf den Weg gebracht werden.

Außerdem wird im Familien-Kapitel des Koalitionsvertrages angekündigt: „Wir streben an, das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz zusammenzuführen, die Freistellungsansprüche flexibler zu machen und den Kreis der Angehörigen zu erweitern.“ Das sind sehr sinnvolle Absichten. Genauso wie die Ankündigung: „Wir prüfen, wie perspektivisch ein Familienpflegegeld eingeführt werden kann.“ Ein Pflegegeld als Lohnersatz für pflegende Angehörige – analog zum Elterngeld für Mütter und Väter, die ihre kleinen Kinder betreuen – wird von Wohlfahrts- und Sozialverbänden schon lange gefordert.

Hans Nakielski

ist Dipl.-Volkswirt und Fachjournalist für Arbeit und Soziales