„Ich achte darauf, dass die Interessen der Kläger*innen nicht zu kurz kommen“

Warum Helmfried Hauch als ehrenamtlicher Richter am Landessozialgericht tätig ist

Helmfried Hauch im Interview | März 2021

Portraitfoto Helmfried Hauch

Helmfried Hauch

Helmfried Hauch (67) ist gelernter Industriekaufmann. 39 Jahre arbeitete er bei den Berliner Stadtreinigungsbetrieben. Dort war er in zahlreichen Funktionen als Arbeitnehmerinteressenvertreter tätig. Mittlerweile ist er Rentner. Doch auch jetzt übt er noch mehrere ehrenamtliche Tätigkeiten aus – zum Beispiel als ehrenamtlicher Richter am Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg. Dort sitzt er zusammen mit einem weiteren ehrenamtlichen Richter, der von der Arbeitgeberseite benannt wurde, und drei Berufsrichtern in einem Senat auf der Richterbank.

 

Netzwerk Sozialrecht: Wie kommt es, dass Sie ehrenamtliche Richter in der Sozialgerichtsbarkeit geworden sind?

Hauch: Ich wurde von einem Kollegen meiner Gewerkschaft – damals war es die ÖTV, heute ist es ver.di – angesprochen, nachdem ich schon über fünf Jahre Schwerbehindertenvertreter bei den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR) und auch ehrenamtlich in der ÖTV tätig war. Von 1989 bis 1995 war ich zunächst als ehrenamtlicher beim Sozialgericht Berlin tätig. Seitdem übe ich dieses Ehrenamt beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg aus. Von 1994 bis 2005 war ich auch ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht in Berlin und danach ehrenamtlicher Richter am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg – bis Ende März 2020.

Netzwerk Sozialrecht: Sind Sie beim Landessozialgericht in einem Senat mit klareren Sachthemen oder wechseln Sie auch den Senat?

Hauch: Ich bin ständig im Senat für Rentenversicherung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, schon seit 1995.

Netzwerk Sozialrecht: Was werden dort für Fragen behandelt?

Hauch: Es geht um alles, was zum Thema Rentenrecht gehört – zum Beispiel Gewährung von Erwerbsminderungsrenten, Ghettorenten für frühere Zwangsarbeiter*innen und deren Angehörige oder „Intelligenzrenten“, die es früher in der DDR für bestimmte Berufsgruppen gab. Außerdem geht es um Überprüfungen der Rentenberechnung, Rückforderungen von zu viel gezahlter Renten und anderes.

Netzwerk Sozialrecht: Warum machen Sie das? Es ist ja ein Ehrenamt und niemand kann Sie dazu zwingen.

Hauch: Zum einen, weil ich selbst jedes Mal dazulerne und zum anderen hauptsächlich, um als Gewerkschafter darauf zu achten, dass der gesunde Menschenverstand und die Interessen der Kläger*innen nicht zu kurz kommen.

Netzwerk Sozialrecht: Macht Ihnen das Freude?

Hauch: Ja, man lernt auch immer noch dazu.

Netzwerk Sozialrecht: Was ist Ihnen wichtig bei der Zusammenarbeit mit den drei hauptamtlichen Richter*innen, die es im Senat beim LSG gibt?

Hauch: Gegenseitige Achtung, gute Informationen und auch sachliche Diskussionen.

Netzwerk Sozialrecht: Werden Sie vor der Verhandlung von den hauptamtlichen Richter*innen über den Fall unterrichtet?

Hauch: Ja.

Netzwerk Sozialrecht: Gibt es dafür ausreichend Zeit?

Hauch: Das ist unterschiedlich. Meistens ist die Zeit ausreichend. Wenn nicht, dann dauert die Urteilsfindung öfter mal länger.

Netzwerk Sozialrecht: Bekommen Sie schon vor der Verhandlung Informationen zu den Fällen?

Hauch: Ja, am Tag der Verhandlung. Akteneinsicht ist möglich bzw. bei der Urteilsfindung, also während der Beratung.

Netzwerk Sozialrecht: Können Sie die Akten schon am Tag vor der Verhandlung einsehen?

Hauch: Nein, erst am Tage der Verhandlung.

Netzwerk Sozialrecht: Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit den hauptamtlichen Richter*innen?

Hauch: Überwiegend sehr gut. Aber wenn die drei hauptamtlichen Richter*innen sich schon auf eine bestimmte Meinung geeinigt haben, ist es manchmal schwierig, andere Argumente einfließen zu lassen und eventuell eine Meinungsänderung herbeizuführen.

Netzwerk Sozialrecht: Meinen Sie Ihre Äußerungen als ehrenamtlicher Richter bringt die Entscheidungsfindung voran oder sind das Fragen und Diskussionen, die wenig Ertrag haben?

Hauch: Ja, meine Äußerungen können die Entscheidungsfindung voranbringen, wenn sich die drei Hauptamtlichen aber einig sind, ist das sehr schwierig.

 

„Ich bringe auch meine Lebenserfahrung ein“

Netzwerk Sozialrecht: Haben Sie Erfahrungen in der betrieblichen Praxis oder Erfahrungen mit Sachverhalten des Sozialrechts? Können Sie davon etwas einbringen?

Hauch: Ja, durch meine über 30-jährige ehrenamtliche Funktion als Schwerbehindertenvertreter im Betrieb und ehrenamtlicher Versichertenberater der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund sowie durch meine Mitgliedschaft in verschiedenen Widerspruchsausschüssen – unter anderem bei der DRV-Bund – sowie verschiedenen gewerkschaftlichen Funktionen.

Netzwerk Sozialrecht: Was können Sie konkret einbringen?

Hauch: Zum einen meine Erfahrungen im Schwerbehindertenrecht, wie zum Beispiel die Einschätzung gesundheitlicher Einschränkungen, und zum anderen meine Erfahrungen aus Rentenberatungen. Dort geht es zum Beispiel auch um die Anspruchsvoraussetzungen oder rechtlichen Grundlagen. Ich bringe auch meine Lebenserfahrung und soziale Gesichtspunkte in die Beratungen ein. Das betrifft etwa die Beurteilung von Gutachten bei Erwerbsminderungsrenten.

Netzwerk Sozialrecht: Werden Sie als ehrenamtlicher Richter in die Erarbeitung eines Vergleichsvorschlages einbezogen? Zieht sich also die Kammer zurück und berät dann gemeinsam einen Vorschlag, auf den man sich dann einigt?

Hauch: Ja, so wird verfahren.

Netzwerk Sozialrecht: Stellen Sie als ehrenamtlicher Richter in den Verhandlungen beim Landessozialgericht auch Fragen?

Hauch: Manchmal.

Netzwerk Sozialrecht: Wird so lange beraten, bis sich alle einig sind, auch wenn sich der Terminplan dann verschiebt? Oder gibt es Mehrheitsentscheidungen?

Hauch: Ja, manchmal gibt es auch Mehrheitsentscheidungen

Netzwerk Sozialrecht: An wen wenden Sie sich als ehrenamtlicher Richter, wenn Sie ein Problem beim Gericht oder Probleme mit einem Richter haben, in dessen Senat Sie fest zugeordnet sind?

Hauch: Im Zweifelsfall an den Präsidenten oder die Präsidentin bzw. im letzten Fall an den Richterwahlausschuss. Das kam bei mir aber nur einmal vor, als ich beim Arbeitsgericht ehrenamtlicher Richter war.

Netzwerk Sozialrecht: Hatten Sie zu Beginn Ihrer Tätigkeit ein Angebot bekommen, an einer Einführung für erstmals ernannte ehrenamtliche Richter teilzunehmen?

Hauch: Ja, ich habe an Angeboten des DGB-Rechtsschutzes sowie Veranstaltungen des Bezirks DGB Berlin-Brandenburg in Zusammenarbeit mit der Berliner Senatsverwaltung Integration, Arbeit und Soziales sowie dem Ministerium für Soziales Brandenburg teilgenommen.

Netzwerk Sozialrecht: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Helga Nielebock.
Sie ist ehemalige Leiterin der Abteilung Recht beim DGB-Bundesvorstand und ehrenamtliche Richterin am Bundesarbeitsgericht.