„Gute Sozialrechtlerinnen und Sozialrechtler werden überall gebraucht“

Wie Felix Welti Professor für Sozialrecht wurde

November 2021

Portraitfoto Felix Welti

Prof. Dr. Felix Welti, Professor für Sozial- und Gesundheitsrecht

Für Prof. Dr. Felix Welti (54) war es während seines Rechtsreferendariats gar nicht einfach, dem Sozialrecht verbunden zu bleiben. Das Arbeitsrecht stand bei seiner Ausbildung im Vordergrund. Trotzdem vertiefte er seine sozialrechtlichen Kenntnisse. Mit Erfolg. Er begann eine wissenschaftliche Laufbahn. Heute ist er Professor für Sozial- und Gesundheitsrecht, Recht der Rehabilitation und Behinderung

 

Netzwerk Sozialrecht: Wie sind Sie zum Jurastudium gekommen?

Welti: Das reformierte Jurastudium in Hamburg (Fachbereich „Jura II“) mit seiner Integration von Sozialwissenschaften in das Curriculum und kritischen Professorinnen und Professoren hat mich angesprochen. Außerdem hat mir an Jura die Kombination von gesellschaftlicher Relevanz und Berufsperspektiven gefallen.

Netzwerk Sozialrecht: Was bewog Sie, sich – vielleicht schon im Studium oder Referendariat – dem Sozialrecht zuzuwenden?

Welti: Ich habe mich im Studium für den Schwerpunkt „Arbeits- und Sozialrecht“ entschieden, weil er meinen sozialpolitischen Interessen am nächsten lag. Im Referendariat war es gar nicht einfach, dabei zu bleiben, weil das Sozialrecht hier noch weniger examensrelevant war. Eine Wahlpflichtstation beim Sozialgericht habe ich trotzdem gemacht. Das Sozialrecht stand in diesem Schwerpunkt eher an zweiter Stelle nach dem Arbeitsrecht. Dass ich das Sozialrecht nach dem ersten Staatsexamen vertieft habe, war Zufall: Es war gerade eine Promotionsstelle im Sozialrecht bei Prof. Gerhard Igl frei.

Netzwerk Sozialrecht: Gab/Gibt es inhaltliche Präferenzen beim Sozialrecht? Und wenn ja welche und warum?

Welti: Durch die Arbeit an der Universität kam ich vor allem zu den gesundheitlichen Themen: Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Rehabilitation und Teilhabe. Außerdem forschen wir interdisziplinär zur Sozialgerichtsbarkeit. Das ist alles interessant und es gibt immer genug zu tun. In den anderen Bereichen des Sozialrechts wäre es genauso, die Präferenzen sind im Grunde auch Zufall.

Netzwerk Sozialrecht: Was genau machen Sie heute und wie kamen Sie dorthin?

Welti: Ich leite als Professor das Fachgebiet Sozial- und Gesundheitsrecht, Recht der Rehabilitation und Behinderung am Institut für Sozialwesen der Universität Kassel. Der Weg dahin führte über die Promotion in Hamburg, Habilitation in Kiel und erste Berufung in Neubrandenburg. Ich arbeite in der Lehre für den Bachelorstudiengang Soziale Arbeit und den Masterstudiengang Sozialrecht und Sozialwirtschaft, forsche an den genannten Themen, auch interdisziplinär und hochschulübergreifend. Mit der Hochschule Fulda haben wir einen Forschungsverbund Sozialrecht und Sozialpolitik. Ehrenamtlich bin ich Richter am Bundessozialgericht.

Netzwerk Sozialrecht: Was schätzen Sie am Sozialrecht?

Welti: Das Sozialrecht hat große Bedeutung für das Leben vieler Menschen. Die meisten Menschen, die am Sozialrecht arbeiten, tun dies aus einem inhaltlichen Interesse und Engagement heraus, weswegen man sie gerne trifft.

Netzwerk Sozialrecht: Was nervt eher oder macht keinen Spaß?

Welti: Das Sozialrecht hat in der Rechtswissenschaft nicht die Bedeutung, die es haben sollte. Ich arbeite aber eigentlich gerne an vernachlässigten Themen und muss nicht machen, was alle anderen wichtig finden.

Netzwerk Sozialrecht: Können Sie ihre jetzige Tätigkeit im Sozialrecht mit Erfahrungen in anderen Rechtsgebieten oder in einem anderen beruflichen Kontext vergleichen?

Welti: Es gibt Unterschiede zwischen rechtswissenschaftlichen Fachbereichen und eher interdisziplinären Fachbereichen wie meinem jetzigen. Beides hat Vor- und Nachteile. An meinem jetzigen Institut bekomme ich mehr aus anderen Wissenschaften mit und bin weniger in Gefahr, die Welt nur durch die juristische Brille zu sehen.

Netzwerk Sozialrecht: Wie sind die Verdienstmöglichkeiten?

Welti: Ich bekomme die Besoldung nach W 3. Darüber kann man sich nicht beschweren. Wer noch große Nebenverdienste will, sollte ein anderes Rechtsgebiet wählen.

Netzwerk Sozialrecht: Wie sieht es mit Aufstieg oder Qualifizierungen aus?

Welti: Wer eine W3-Professur hat, hat in der Wissenschaft keine formelle Aufstiegsmöglichkeit mehr, höchstens eine Ausstiegsmöglichkeit. Weiter qualifizieren sollte man sich jeden Tag.

Netzwerk Sozialrecht: Wie sind die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Welti: In der Wissenschaft haben wir das Übel befristeter Stellen und ungewisser beruflicher Perspektiven, solange man nicht auf einer Professur ist. Sehr allmählich bemerken die Universitäten, dass sie jungen Menschen auch etwas bieten müssen und Sicherheitsbedürfnisse oder der Wunsch, nicht umziehen zu müssen, nicht verachtenswert sind.

Netzwerk Sozialrecht: Was würden Sie jungen Menschen zur guten beruflichen Entwicklung raten?

Welti: Wer sich für eine wissenschaftliche Laufbahn im Sozialrecht interessiert, sollte zur eigenen Beruhigung einen Plan B haben. Das ist aber nicht so schwer, denn gute Sozialrechtlerinnen und Sozialrechtler werden überall gebraucht.

Das Interview führte Helga Nielebock.
Sie ist ehemalige Leiterin der Abteilung Recht beim DGB-Bundesvorstand und ehrenamtliche Richterin am Bundesarbeitsgericht.