Gesetzgeber schafft Übergangsregelung für (Honorar-)Lehrkräfte:

Zeitlich befristetes Moratorium für die Statusfeststellung

von Bertold Brücher* | 10. April 2025

Hoch schlugen die Wogen aufgrund der Rechtsprechung des 12. BSG-Senats zum „Herrenberg-Urteil“: Danach wurde eine auf Honorarbasis beschäftigte Musikschullehrerin als abhängig Beschäftigte eingestuft (siehe dazu hier). Müssen nun alle Lehrkräfte, die nicht mit Arbeitsvertrag oder verbeamtet tätig sind, von ihren Auftraggebern in der Sozialversicherung versichert werden? Ein neu eingeführter Paragraf im SGB IV soll nun Ruhe und Zeit für gute Lösungen schaffen.

„Übergangsregelung für Lehrtätigkeiten“ ist der neue § 127 SGB IV überschrieben. Eingebracht wurde dieser Paragraf mit einem Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU/CSU zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR und zur Änderung weiterer Vorschriften (Gesetzentwurf auf BT-Drs. 20/14744) in einer der letzten Sitzungen der 20. Wahlperiode des Bundestags. Das Gesetz wurde am 30. Januar 2025 im Bundestag und am 14. Februar 2025 im Bundesrat verabschiedet und am 28. Februar 2025 im Bundesgesetzblatt verkündet.

Der neue § 127 SGB IV ist seit dem 1. März 2025 in Kraft. Mit dieser Regelung wird ein Moratorium zur Feststellung des Erwerbsstatus bei Lehrtätigkeiten (selbstständig oder abhängig beschäftigt?) geschaffen: Unabhängig von der statusrechtlichen Bewertung der Lehrtätigkeit im Einzelfall, gilt der vereinbarte Wille der Parteien und gilt das Primat des Status der Selbstständigkeit (für die der Auftraggeber keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen hat). Das Moratorium ist zeitlich befristet vom 1. März 2025 bis zum 31. Dezember 2026.

Rechtlicher Hintergrund und Rechtsprechung

Im Kern geht es bei der Zuordnungsfrage: „Sozialversicherungspflichtig oder nicht?“ um die Auslegung des § 7 Abs. 1 SGB IV.

Der ehemalige Richter des Bundessozialgerichts (BSG) Ulrich Wenner formulierte in seinem Artikel „Sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit?“ der der Ausgabe 6/2014 der Zeitschrift Soziale Sicherheit (S. 245 ff.) die Bedeutung der Norm treffend: „ Die Ausübung einer ‚Beschäftigung‘ im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV 1, der für alle Zweige der Sozialversicherung gilt, ist die wichtigste Tür zum Eintritt in die Welt der Sozialversicherung.“

Natürlich spielt bei allen Austauschverhältnissen, in denen Arbeitsleistung gegen Geld erbracht wird, die aber nicht als Arbeitsverhältnis mittels eines Arbeitsvertrags gefasst sind, die sozialversicherungsrechtliche Zuordnung eine entscheidende Rolle. Das BSG hat sich mehrmals mit Fragen zur Auslegung des § 7 Abs. 1 SGB IV befasst.

Heruntergebrochen auf die Tätigkeit eines Lehrenden in einer Volkshochschule hatte das BSG im Urteil vom 12. Februar 2004 (B 12 KR 26/02 R) das eine abhängige Beschäftigung ablehnende Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz in der Argumentation bestätigt, dass sich eine selbstständige Tätigkeit und abhängige Beschäftigung nicht darin unterschieden, dass erstere im Gegensatz zu abhängigen Beschäftigungen frei von jeglicher Bindung wäre. Denn auch Selbstständige seien in ihren Handlungsmöglichkeiten begrenzt, allerdings nicht durch Einzelanordnungen, sondern durch Regeln oder Normen, die die Grenzen ihrer Handlungsfreiheit eher in generell-abstrakter Weise umschreiben. In diesem Fall hatte das LSG zahlreiche und gewichtige Indizien angeführt, die für eine selbstständige Tätigkeit sprachen. Dies sah das BSG genauso.

Im „Gitarrenlehrer-Urteil“ (BSG, Urteil vom 14.3.2018 – B 12 R 3/17 R) hatte das Bundessozialgericht das vertraglich Vereinbarte zwischen einer städtischen Musikschule und einem Gitarrenlehrer (sie hatten schriftlich festgehalten, kein Arbeitsverhältnis auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht begründen zu wollen) als gelebt, „nicht nur auf dem Papier stehend“ bewertet, in dem es „im Rahmen einer Gesamtwürdigung mehr gewichtigere Gesichtspunkte gegen eine abhängige Beschäftigung als dafür“ sah.

Durch solche Entscheidungen – obwohl unterschiedliche Sachverhalte betreffend – sahen nicht nur, aber auch Träger von Volkshochschulen sich darin bestätigt, dass Lehrkräfte mit Honorarvertrag (daneben gibt es auch z. B. Musikschullehrer:innen im normalen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis) „per se“ selbstständig wären. Verstärkt wurde diese Auffassung u. a. auch dadurch, dass gemäß § 2 Nr. 1 SGB VI selbstständige Lehrer:innen stets versicherungspflichtig sind, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Sie müssen dann allein – ohne Beteiligung eines Arbeit- oder Auftraggebers – für die Zahlung ihre Renten- und sonstigen Sozialbeiträge aufkommen.

Das „Herrenberg-Urteil“ und seine Folgen

Im „Herrenberg-Urteil“ (BSG vom 28.6.2022 – B 12 R 3/20 R) wurde dann insbesondere auf das Merkmal „Eingliederung der Tätigkeit in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“ abgestellt – und zugunsten einer Klavierlehrerin an der Volkshochschule in Herrenberg festgestellt, dass diese eine versicherungspflichtige Beschäftigung gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV ausgeführt hat (siehe dazu auch den Beitrag von Ingrid Bergner in diesem Thema des Monats).

Infolge des „Herrenberg-Urteils“ haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung am 4. Mai 2023 ihre versicherungsrechtlichen Beurteilungsmaßstäbe für den in Rede stehenden Personenkreis präzisiert (siehe hier, TOP 1).

Danach sind Lehrer:innen/Dozent:innen/Lehrbeauftragte an Universitäten, Hoch- und Fachhochschulen, Fachschulen, Volkshochschulen, Musikschulen sowie an sonstigen – auch privaten – Bildungseinrichtungen in den Schulbetrieb eingegliedert und stehen in einem Beschäftigungsverhältnis zu diesen Schulungseinrichtungen, wenn für die zu erbringende Arbeitsleistung so gut wie keine unternehmerische Gestaltungsmöglichkeit besteht. Die präzisierten Beurteilungsmaßstäbe für Betriebsprüfungen und Statusfeststellungsverfahren fanden – auch in laufenden Bestandsfällen – seit dem 1. Juli 2023 Anwendung.

Träger der Weiterbildung – vor allem Volkshochschulen und Musikschulen – befürchteten seitdem, dass wegen der geschärften Kriterien nach Betriebsprüfungen der Deutsche Rentenversicherung (DRV) hohe Nachzahlungsverpflichtungen von Sozialversicherungsbeiträgen auf sie zukommen könnten. Da etwa 265.000 Personen im Haupt- oder Nebenerwerb selbstständig in lehrenden und ausbildenden Berufen tätig sind, ist die Befürchtung vieler Bildungsträger, höhere Summen nachverbeitragen zu müssen, durchaus nachzuvollziehen.

Vielerorts fehlt die Orientierung, welche Kriterien beachtet werden müssen , um in diesem Tätigkeitssegment rechtssicher Selbstständigkeit oder abhängige Beschäftigung vereinbaren zu können. Deswegen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) seit Juni 2024 zu Fachgesprächen über den Erwerbsstatus von Lehrkräften eingeladen Die Ergebnisse sollen zu einem Leitfaden zusammengefasst werden, der umsetzbare vertragliche Regelungen formuliert und Kriterien auflistet, die für eine selbständige Honorartätigkeit sprechen. Ein Zwischenergebnis war, dass die DRV vom 14. Juni 2024 bis zum 15. Oktober 2024 keine weiteren Betriebsprüfungen zu diesem Sachverhaltskomplex durchgeführt hat.

Details zur Übergangsregelung im § 127 SGB IV

127 SGB IV schafft nun befristet für den Berufsbereich der Lehrkräfte ein Moratorium. Unabhängig davon, ob ein Versicherungsträger in einer Betriebsprüfung oder im Statusfeststellungsverfahren den Erwerbsstatus einer Lehrkraft als abhängige Beschäftigung festgestellt hat, tritt die Versicherungspflicht für diese Beschäftigung erst ab dem 1. Januar 2027 ein, wenn dies dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss entspricht und die lehrende Person zustimmt. Das gilt nach der Gesetzesbegründung zu § 127 Abs. 1 SGB IV auch für die Fälle, in denen keine Statusfeststellung vorliegt.

Bis zum 31. Dezember 2026 gelten für die Lehrtätigkeit die Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht für selbstständig tätige Lehrer nach dem SGB VI. Sind für die Lehrtätigkeit die Voraussetzungen des § 1 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) erfüllt, so werden die Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht nach dem KSVG bis zum 31. Dezember 2026 angewandt. Das bestimmt § 127 Abs. 2 SGB IV.

Nach Absatz 3 dieses Paragrafen gelten bereits gezahlte Pflichtbeiträge „als zu Recht entrichtet“.  Dies gilt auch, wenn gemäß § 28a SGB III ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag bestand/besteht (§ 127 Abs. 4 SGB IV.)

Im Kern wird, wenn Abs. 1 SGB IV erfüllt ist, eine sozialversicherungsrechtliche Besitzstandwahrung bis zum 31. Dezember 2026 normiert. Im Weiteren wird die Beitragsverfahrensverordnung den o. a. Regelungen angepasst.

Problematische Ausnahmeregelung

Die Moratoriumsregelung ist kritisch zu betrachten. Denn mit ihr wird, wenn auch zeitlich befristet, eine Ausnahme geschaffen. Die sozialversicherungsrechtliche Einordnung erfolgt anders als in anderen Berufsbereichen, die Kriterien zur Feststellung „selbstständig oder abhängig beschäftigt“, die ansonsten einzelfallbezogen bewertet werden, sind befristet suspendiert. Das gilt zumindest für die meisten der Lehrauftragsverhältnisse. Denn nicht jede/r Lehrbeauftragte, die/der keinen Arbeitsvertrag über diese Lehrtätigkeit hat, wird ein Statusfeststellungsverfahren einleiten.

Die Feststellung, ob ein:e Auftragnehmer:in die Tätigkeit für einen Auftraggeber im Einzelfall selbstständig oder im Rahmen eines abhängigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt, bleibt weiterhin eine Einzelfallprüfung durch die DRV. Stellt diese die Abhängigkeit fest, kommt § 127 SGB IV insoweit zu tragen, dass der/die Auftragnehmer:in entscheidet, ob das zuvor vertraglich vereinbarte („selbstständige Tätigkeit“) gelten soll oder eben nicht. In allen anderen Fällen gilt das Moratorium bis zum 31. Dezember 2026.

Andererseits darf nicht unterschätzt werden,

Von daher bringt das nun gesetzlich geschaffene Moratorium Zeit und Ruhe, um eine für alle eingebundenen Akteure verträgliche dauerhafte Regelung zu schaffen. Die finanziellen Sorgen der Weiterbildungsträger werden gesehen und der gut funktionierende Bildungsbereich mit herausragender gesamtgesellschaftlicher Bedeutung läuft ohne Erschütterung weiter.

Diskutierte Lösungswege

Der Bundesrat hat am 14. Februar 2025 eine „Entschließung des Bundesrates zur Handlungs- und  Rechtssicherheit für den Einsatz von selbständigen Lehrkräften,  Lehrbeauftragten und Dozierenden in den Einrichtungen der Weiterbildung und des Kulturbetriebs sowie an Hochschulen“ verabschiedet. Zeigt diese den Weg auf? Der Bundesrat sieht das für das Arbeits- und Sozialrecht zuständige Ministerium in der Pflicht, sich entweder für den Beginn eines Gesetzgebungsverfahrens einzusetzen oder untergesetzliches Recht zu setzen. Die genannten Einrichtungen sollen wieder Rechts- und Handlungssicherheit erlangen und ihre Lehrangebote aufrechterhalten können. Nach Vorstellung der Länderkammer sollen die praktischen Erfordernisse der Einrichtungen  auch eine freiberufliche Lehre im Rahmen einer eindeutigen Statuseinordnung ermöglichen und so den Betrieb der betroffenen Einrichtungen in ihrer bestehenden Form erhalten. Gleichzeitig soll die zukünftige soziale Absicherung der freiberuflichen Lehrkräfte, bisher in Teilen über § 2 des SGB VI geregelt, ausdrücklich mitbedacht und in einer zu findenden Lösung verankert werden.

Man wird aber nicht umhinkommen, dann ab dem 1. Januar 2027 die fälschlicherweise als „Honorartätigkeiten“ bezeichneten selbstständigen Lehrtätigkeiten (etwa Spracheingliederungskurse in Volkshochschulen oder Musikunterrichte in Musikschulen), die vollständig in den jeweiligen Schulablauf nach Weisungen eingegliedert sind, auch als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu verbeitragen. Der vom Bundesrat mit der Entschließung geforderte „Kunstgriff“ kann nicht gelingen, will man nicht gleichzeitig mit Grundprinzipien im Recht der Statusfeststellung brechen.

Sicher: Ausnahmen sind denkbar, dann aber für völlig andere Lehrtätigkeiten: die z. B. eines vollberuflich, sozialversicherungspflichtig und abhängig beschäftigten Handwerkers oder Meisters, der regelmäßig wöchentlich – fest eingebunden in ein Curriculum – nebenberuflich 90 Minuten z. B. über Arbeitssicherheit in Berufsfachschulen unterrichtet.  Denn diese Lehrkräfte sind durch ihr originäres Arbeits- (und Beschäftigungs-)verhältnis sozialversicherungsrechtlich abgesichert. Und es sollte dabei bleiben: Im Falle von Rechtsstreitigkeiten gilt stets der Grundsatz: Ob Lehrende sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig.

Bertold Brücher

Referatsleiter Sozialrecht und Beschäftigtendatenschutz

*Die im Beitrag vertretene Auffassung liegt alleine in der Verantwortung des Verfassers