zusammengestellt von Hans Nakielski
Gesetzgebungsverfahren
Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 19/26822)
Der Bundesrat hat am 12. Februar 2021 in seiner Stellungnahme (BR-Drs. 12/21 – Beschluss) zahlreiche Änderungen eingefordert.
Dazu hat die Bundesregierung am 3. März 2021 in ihrer Gegenäußerung (BT-Drs. 19/27214) Stellung genommen.
Das Gesetz wurde am 11. Juni 2021 mit zahlreichen Änderungen und Ergänzungen (BT-Drs. 19/30550 – Beschlussempfehlung) vom Bundestag verabschiedet.
Der Bundesrat hat das Gesetz am 25. Juni 2021 gebilligt. In einer begleitenden Entschließung (BR-Drs. 511/21 – Beschluss) hat er aber weitere Reformschritte – insbesondere auch zur spürbaren Entlastung für die häusliche Pflege – angemahnt.
Das Gesetz wurde am 19. Juli 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet.
Es trat bzw. tritt zu verschiedenen Zeitpunkten in Kraft. Überwiegend gilt es seit dem 20. Juli 2021. Teile des Gesetzes (wie etwa die Begrenzung der pflegebedingten Eigenanteile für Heimbewohner) gelten aber erst am 1. Januar 2022, andere Teile (wie die Entlohnungs-Anforderungen an Pflegekräfte) gelten erst ab dem 1. September 2022. Auch am 1. März 2022 sowie am 1. Januar 2026 und – rückwirkend – am 1. Januar 2020, 1. Januar 2021, 1. April 2021 und 1. Juli 2021 treten bzw. traten Teile des Gesetzes in Kraft.
Stellungnahme von ver.di zum Gesetzentwurf
Stellungnahme des DGB zu den Änderungsanträgen
Einige wichtige Inhalte
Das GVWG regelt als Sammelgesetz zahlreiche Vorhaben im Gesundheitsbereich, die durch die Corona-Krise liegen geblieben sind. Es umfasst Änderungen bei 21 Gesetzen und Verordnungen. Die meisten betreffen das SGB V. Kurzfristig wurde aber auch noch eine kleine Reform der sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) mit dem Gesetz verabschiedet.
Einige wesentliche Änderungen zur Krankenversicherung:
- Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten 2022 einen zusätzlichen Bundeszuschuss in Höhe von 7 Milliarden Euro. Dieser soll dazu beitragen, dass der Zusatzbeitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung auch 2022 stabil bei 1,3 Prozent bleibt. Die Bundesregierung hatte im Rahmen der „Sozialgarantie“ versprochen, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag auch 2022 unter 40 Prozent zu halten.
- Es gibt einen neuen Anspruch auf eine Übergangspflege von maximal zehn Tagen im Krankenhaus (§ 39e SGB V). Voraussetzung ist, dass nach einer Krankenhausbehandlung erforderliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege, Kurzzeitpflege, medizinischen Rehabilitation oder weitere Pflegeleistungen nur unter erheblichem Aufwand sichergestellt werden können.
- Qualitätsverträge werden gestärkt: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wird verpflichtet, bis Ende des Jahres 2023 vier weitere Leistungen oder Leistungsbereiche festzulegen, bei denen die Qualitätsverträge erprobt werden.
- Die Festlegung und Durchsetzung von Mindestmengen in der Krankenhausversorgung wird durch weitere Verfahrensvorgaben unterstützt.
- Es wird die Veröffentlichung einrichtungsbezogener Vergleiche hinsichtlich der Erfüllung von Qualitätskriterien ermöglicht.
- Der Anspruch auf Einholung einer Zweitmeinung wird für weitere planbare Eingriffe, die der G-BA festzulegen hat, vorgesehen.
- Zur Förderung der Transparenz über den Pflegepersonaleinsatz in den Krankenhäusern werden die Pflegepersonalquotienten künftig auf der Internetseite des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) veröffentlicht.
- Der Anteil der gesetzlichen Krankenversicherung (und anteilig der privaten Krankenversicherung) an der Finanzierung von ambulanten Krebsberatungsstellen wird verdoppelt, von einem Gesamtbetrag von derzeit bis zu 21 Millionen Euro auf bis zu 42 Millionen Euro jährlich.
- Der in der privaten Krankenversicherung (PKV) bereits im Basistarif bestehende Direktanspruch der Leistungserbringer gegenüber dem Versicherer auf Leistungserstattung wird auch für den Notlagentarif der PKV eingeführt. Es ist dem Versicherer künftig sowohl im Notlagen- als auch im Basistarif untersagt, Prämienforderungen gegen Forderungen des Versicherungsnehmers aufzurechnen.
- Die Regelungen zu ambulanten Notfallstrukturen und Terminservicestellen werden – insbesondere durch ein standardisiertes und bundesweit einheitliches Ersteinschätzungsverfahren bei ambulanten ärztlichen Notfallleistungen in Krankenhäusern – weiterentwickelt.
- Es wird ein Modellvorhaben zur umfassenden Diagnostik und Therapiefindung sowohl bei seltenen als auch bei onkologischen Erkrankungen implementiert.
- Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen beteiligen sich an der Finanzierung der Koordination von Aktivitäten in regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerken.
- Erhebungen zu Gesundheitsausgaben und ihrer Finanzierung, zu Krankheitskosten und zum Personal im Gesundheitswesen sowie zu einem regionalen Gesundheitspersonalmonitoring werden als zentrale Bundesstatistiken angeordnet.
- Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) beteiligt sich an den Kosten der medizinischen Behandlungspflege (z.B. Wundversorgung, Verbandwechsel, Medikamentengabe oder Blutdruck- und Blutzuckermessung) in vollstationären Pflegeeinrichtungen mit einem jährlichen Pauschalbetrag in Höhe von 640 Millionen Euro, der an den Ausgleichsfonds der sozialen Pflegeversicherung zu leisten ist. Anders als bei zu Hause lebenden Pflegebedürftigen werden die Kosten für die medizinische Behandlungspflege in Heimen bisher zu einem erheblichen Teil von den Versicherten getragen. Das wird voraussichtlich auch bei dem Fixkostenzuschuss der GKV so bleiben, allerdings reduziert sich dann der Anteil für die Heimbewohner*innen.
- Es sollen Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten, bei denen es sich um selbstständige Ausübung von Heilkunde handelt, auf Pflegefachkräfte durchgeführt werden.
Einige wesentliche Änderungen zur Pflegeversicherung:
- Tarifbindung: Ab dem 1. September 2022 sollen nur noch Pflegeeinrichtungen zur Versorgung zugelassen werden, die ihre Pflege- und Betreuungskräfte nach Tarif oder kirchenarbeitsrechtlichen Regelungen bezahlen oder mindestens in Höhe eines Tarifvertrags oder einer kirchenarbeitsrechtlichen Regelung entlohnen. Dabei reicht es allerdings aus, irgendeinen im jeweiligen Bundesland existierenden (Haus-)Tarifvertrag anzuwenden – unabhängig von dem dort vereinbarten Entlohnungsniveau. Die Bezahlung nach Tarif wird vollständig refinanziert. Für Einrichtungen, die nicht tarifgebunden sind, wird eine Refinanzierung bis zur Höhe von 10 Prozent über dem Durchschnitt der regional geltenden Tariflöhne gewährleistet.
- Zuschuss zu pflegebedingten Eigenanteilen im Heim: Der von den Bewohner*innen zu zahlende Eigenanteil für die Pflege im Heim wird ab 2022 für Pflegebedürftige in den Pflegegraden 2 bis 5 bezuschusst. Der Zuschuss hängt von der Verweildauer im Heim ab: Im ersten Jahr trägt die Pflegekasse 5 % des pflegebedingten Eigenanteils, im zweiten Jahr 25 %, im dritten Jahr 45 % und danach 70 %. Am 1. Juli 2021 lag der Eigenanteil für die Pflege im Heim im Bundesdurchschnitt bei 873 Euro im Monat (siehe hier). Wer bis zu einem Jahr in einer stationären Einrichtung lebt, hätte demnach im Schnitt eine um 43,65 Euro geringe monatliche Belastung durch die reinen Pflegekosten. Bei Bewohner*innen, die bereits drei Jahre im Heim leben, läge die Ersparnis bei 392,85 Euro. Eine Deckelung des Eigenanteils für die Pflege (angedacht waren 700 Euro) ist nicht zustande gekommen.
- Anpassung der Pflegesachleistungen: Nach § 30 SGB XI muss die Bundesregierung alle drei Jahre die „Notwendigkeit und Höhe einer Anpassung der Leistungen der Pflegeversicherung“ prüfen. Erneut war dies 2020 fällig. Am 9. Dezember 2020 legte die Bundesregierung dazu einen gerade 15 Zeilen umfassenden Bericht (BR-Drs. 750/20) vor. Darin wird festgestellt, dass angesichts der Preisentwicklung in den Jahren 2017 bis 2019 und der Entwicklung der Bruttolohn- und -gehaltssumme „ein Anstieg der Leistungsbeträge um 5 Prozent angemessen“ erscheine. Doch diese Vorgabe wurde nicht eingehalten. Die Sätze für das Pflegegeld, die Verhinderungs- und Tagespflege bleiben auch nach der jetzigen Mini-Reform unverändert. Lediglich die Pflegesachleistungen für zu Hause lebende Pflegebedürftige werden ab 2022 um 5 % erhöht. In Pflegegrad 2 steigt der Satz von 689 auf 724 Euro, in Pflegegrad 3 gibt es künftig 1.363 Euro, in Grad 4 maximal 1.693 Euro und in Grad 5 höchstens 2.095 Euro für Pflegesachleistungen. Begründet wird die Anhebung nicht mit der notwendigen Dynamisierung der Leistungen. Vielmehr soll die vorgesehene Anhebung „zum Ausgleich des sich aus der vorgesehenen Anbindung der Löhne an Tarife ergebenden Kostenanstiegs“ dienen.
- Mehr Geld für Kurzzeitpflege: Der Leistungsbetrag für die Kurzzeitpflege wird ab 2022 um 10 % angehoben. Pro Kalenderjahr gibt es dann 1.774 Euro dafür. Falls Mittel der Verhinderungspflege nicht verbraucht sind, kann dieser Betrag auf bis zu 3.386 Euro erhöht werden.
- Kostenerstattungsanspruch über den Tod hinaus: Eine Reihe von Leistungen der Pflegeversicherung können nur im Wege der Kostenerstattung in Anspruch genommen werden. Die Pflegebedürftigen treten danach zunächst in Vorleistung und lassen sich dann eingereichte Rechnungen erstatten. Bisher erlosch der Anspruch auf Leistungen aber stets mit dem Ende der Mitgliedschaft. Nun wurde klargestellt: „Endet die Mitgliedschaft durch Tod, erlöschen Ansprüche auf Kostenerstattung […] nicht, wenn sie innerhalb von zwölf Monaten nach dem Tod des Berechtigten geltend gemacht werden.“ Angehörige von Pflegebedürftigen können die Rechnungen folglich nun auch noch nach dem Tod der Betroffenen einreichen.
- Personalbemessungsverfahren: In Pflegeheimen wird künftig ein bundeseinheitlicher Personalschlüssel gelten: Mit einem neuen Personalbemessungsverfahren wird anhand der jeweiligen Bewohnerstruktur für jedes Heim der Personalbedarf berechnet. Bereits seit dem 1. Januar 2021 können die Pflegeheime vor diesem Hintergrund 20.000 zusätzliche Pflegehilfskräfte einstellen. Ab 1. Juli 2023 werden bundeseinheitliche Personalanhaltszahlen vorgegeben, die die Einstellung von weiterem Personal ermöglichen.
- Mehr Kompetenzen für Pflegefachkräfte: Sie erhalten künftig mehr Entscheidungsbefugnisse bei der Auswahl des richtigen Hilfsmittels und Pflegehilfsmittels im Sinne der Pflegebedürftigen. Außerdem sollen die Fachkräfte auch eigenständige Entscheidungen in der häuslichen Krankenpflege treffen dürfen.
- Finanzierung: Zur Finanzierung der Pflegeversicherung wird ab dem Jahr 2022 ein Bundeszuschuss in Höhe von 1 Mrd. Euro pro Jahr einführt. Zudem steigt der Beitragszuschlag für Kinderlose um 0,1 Prozentpunkte. Statt bisher 3,3 % müssen kinderlose Versicherte daher ab 2022 einen monatlichen Beitrag von 3,4 % bezahlen.
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