zusammengestellt von Hans Nakielski
Gesetzgebungsverfahren
Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 20/1680)
Der Entwurf wurde mit einer Änderung (siehe BT-Drs. 20/2074 – Beschlussempfehlung) am 3. Juni 2022 vom Bundestag beschlossen.
Der Bundesrat hat das Gesetz am 10. Juni 2022 gebilligt.
Es wurde am 30. Juni 2022 im Bundesgesetzblatt verkündet.
Es trat in seinen wesentlichen Teilen am 1. Juli 2022 in Kraft.
Stellungnahme des DGB zum Referentenentwurf
Einige wichtige Inhalte
Mit dem Gesetz erfolgen u. a. Änderungen bei den Regelungen zur Rentenanpassung, es wird die Rentenanpassung für das Jahr 2022 festgelegt und es gibt Zuschläge für Erwerbsminderungsrenten, die vor 2019 begannen, und die Künstlersozialkasse erhält erneut einen Stabilisierungszuschuss.
Änderungen bei den Rentenanpassungsregeln
- Vorzeitige Wiedereinführung des Ausgleichfaktors: Der Ausgleichsfaktor (umgangssprachlich: Nachholfaktor) regelt, dass eine rechnerische Kürzung der Renten, die wegen der Schutzklausel nach § 68a Abs. 1 SGB VI (Rentengarantie) nicht möglich ist, bei späteren Rentenanpassungen ausgeglichen (nachgeholt) wird. Wegen der Einführung der doppelten Haltelinien (Beitragssatz nicht über 20 %, Rentenniveau nicht unter 48 %) wurde der Nachholfaktor 2018 für die Zeit vom 1. Juli 2018 bis zum 30. Juni 2026 ausgesetzt. Denn der Ausgleichsfaktor steht im Zielkonflikt mit der Haltelinie beim Rentenniveau. Es könnte sich dadurch ein Ausgleichsbedarf aufbauen, der das Rentenniveau unter die Haltelinie senkt. Eine gleichzeitige Anwendung des Ausgleichfaktors und des Mindestsicherungsniveaus ist nur mit sehr komplexen Regelungen möglich. Nun hat der Gesetzgeber trotzdem den Ausgleichsfaktor vorzeitig reaktiviert. Er wird nach § 255g SGB VI ab Juli 2021 mit 0,9883 festgelegt. Das entspricht einer Rentenkürzung um 1,17 %. Dabei sind die maßgebenden Löhne bei der Anpassung 2021 aber nur um 0,26 % gesunken. Da aber auch die dämpfenden Wirkungen des Nachhaltigkeitsfaktors nachgeholt werden, bleiben die Renten 2022 hinter der Lohnentwicklung zurück (siehe auch hier).
Ein Unterschreiten des Mindestsicherungsniveaus von 48 % durch die reaktivierte Anwendung des Nachholfaktors ist aber nach dem neuen § 255i SGB VI bis zum Ablauf des 1. Juli 2025 ausgeschlossen.
- Korrektur eines verzerrenden Statistikeffektes: Seit 2019 werden in der Versicherungsstatistik auch Löhne von Beschäftigten einbezogen, die jenseits der Regelaltersgrenze noch erwerbstätig sind. Da die neu erfasste Personengruppe hauptsächlich aus Minijobber:innen besteht, fiel das auf dieser Grundlage für die Rentenanpassung 2021 ermittelte beitragspflichtige Entgelt niedriger aus, als es tatsächlich war. 2021 hatte dies jedoch zunächst noch keine Wirkung auf die Rentenanpassung, weil sich ohnehin rechnerisch eine Rentenkürzung ergeben hätte und es wegen der Rentengarantie eine Nullrunde gab. Jetzt wurde dieser verzerrende Statistikeffekt korrigiert.
- Geglättete Berechnung des Nachhaltigkeitsfaktors: Mit dem Nachhaltigkeitsfaktor wird die Veränderung der Relation zwischen Beitragszahler:innen und Rentner:innen auf die Rentenanpassung übertragen. Die Berechnung ist komplex. Dabei wird auf so genannte Äquivalenzrentner bzw. Äquivalenzbeitragszahler abgestellt, die aus den insgesamt gezahlten Renten bzw. Beiträgen ermittelt werden. Das Gesetz stellt nun in § 68 Abs. 4 SGB VI bei der Berechnung nicht mehr auf das vorläufige Durchschnittsentgelt ab, sondern verwendet die zum Zeitpunkt der Rentenanpassung bekannte Lohnentwicklung des Vorjahres. So kommt es künftig bei Krisen nicht mehr zu sprunghaften Kürzungen und anschließenden Erhöhungen der Rentenanpassungen. Die zukünftigen Rentenanpassungen werden geglättet, wobei die Gesamtwirkung gleich bleibt.
- Rentenanpassung nach Mindestsicherungsniveau: Wenn der aktuelle Rentenwert das Mindestsicherungsniveau durch die bislang geltende Rentenanpassung erreicht hat, erfolgt die Rentenanpassung in den Jahren danach bis zum Ende des Geltens der Haltelinie für das Rentenniveau im Juli 2025 nach dem Mindestsicherungsniveau. Das bedeutet, dass die Rentenanpassung in dieser Zeit so erfolgt, dass mit dem Rentenwert das Mindestsicherungsniveau von 48 % genau getroffen wird. Damit folgt die Rentenanpassung dann nur noch der Lohnentwicklung, Dämpfungsfaktoren (wie etwa der Nachhaltigkeitsfaktor) werden dann nicht mehr berücksichtigt.
Rentenanpassung 2022
Durch die neuen Anpassungsregeln steigt der aktuelle Rentenwert zum 1. Juli 2022 im Westen um 5,35 % auf 36,02 Euro und im Osten um 6,12 % auf 35,52 Euro. Geregelt ist das im Artikel 3 des Gesetzes. Die Verordnungsermächtigung zur Bestimmung des aktuellen Rentenwertes nach § 69 SGB VI kam so diesmal nicht zur Anwendung.
Zuschlag für Erwerbsminderungsrenten, die vor 2019 begannen
Ab Juli 2024 wird für Erwerbsminderungsrenten (EM-Renten) ein Zuschlag gezahlt, wenn diese nach dem 31. Dezember 2000 und vor dem 1. Januar 2019 begonnen haben. Diese EM-Rente muss dann bis zum 30. Juni 2024 ununterbrochen bezogen worden sein. Der Zuschlag wird auch bei Altersrenten und Hinterbliebenenrenten gezahlt, wenn diese unmittelbar an Renten wegen Erwerbsminderung folg(t)en – bei Hinterbliebenenrenten auch, wenn diese zunächst einer Altersrente folg(t)en, die im Anschluss an eine EM-Rente gezahlt wurde. Der Zuschlag beträgt 7,5 % der jeweiligen Rente im Juli 2024, wenn die EM-Rente vor dem 1. Juli 2014 begonnen hat und 4,5 %, wenn sie nach dem 30. Juni 2014 vor dem 1. Januar 2019 begonnen hat. Geregelt wird das im neuen § 307i SGB VI, der zum 1. Juli 2024 in Kraft tritt.
Hintergrund der Zuschlags für EM-Renten im Bestand sind Verbesserungen bei den Zurechnungszeiten bei den EM-Renten in den Jahren 2014 und 2019, von denen aber nur die damaligen Neurentner:innen profitierten. Ab 2024 sollen auch die EM-Bestandsrentner:innen von den Verbesserungen begünstigt werden.
Zuschuss zur Künstlersozialversicherung
Die Künstlersozialversicherung erhält nochmals einen staatlichen Stabilisierungszuschuss. Er beträgt diesmal knapp 59 Mio. Euro, um die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern und eine Steigerung der Künstlersozialabgabe zu dämpfen. Geregelt ist das im Artikel 3a des Gesetzes.