„Die Vielfalt der sozialrechtlichen Fragestellungen hat mich von Beginn an gereizt“

Warum Dietrich Berding Fachanwalt für Sozialrecht wurde

November 2021

Portraitfoto Dietrich Berding

Dietrich Berding, Fachanwalt für Sozialrecht

Dietrich Berding arbeitet seit 2004 als Rechtsanwalt. Er ist der einzige Fachanwalt für Sozialrecht in einer Kanzlei mit insgesamt neun Anwälten verschiedener Fachrichtungen in Kassel. 

 

Netzwerk Sozialrecht: Wie sind Sie zum Jurastudium gekommen?

Berding: Der Vater eines sehr guten Schulfreundes war Juraprofessor in Gießen. Wir kamen einige Zeit vor dem Abitur ins Gespräch über mögliche Studienfächer. Auf die Frage, woran ich denn in der Schule besonderes Interesse habe, konnte ich mitteilen, dass ich mich für Leistungskurse in Deutsch und Mathematik entschieden habe. Dies, weil mich einerseits der Umgang mit der eigenen Sprache in verschiedenen Facetten interessierte und ich andererseits große Freude an der mathematischen Logik hatte. Der Vater meines Freundes sagte nur knapp: „Dann solltest Du Jura studieren!“ Er meinte, dass die von mir beschriebenen Interessen gute Voraussetzungen für Freude am Jura-Studium und den Spaß am Arbeiten in verschiedenen juristischen Berufen bieten würden. Er sollte Recht behalten.

Netzwerk Sozialrecht: Was bewog Sie, sich – vielleicht schon im Studium oder Referendariat – dem Sozialrecht zuzuwenden?

Berding: Im Studium und Referendariat spielte das Sozialrecht für mich keine Rolle. Allein schon deshalb, weil weder im Studium entsprechende Veranstaltungen angeboten wurden und im Referendariat die verschiedenen Stationen ebenfalls ohne sozialrechtlichen Bezug auskamen.

Netzwerk Sozialrecht: Welche Schwierigkeiten gab es, sich dem Sozialrecht zuzuwenden?

Berding: Mit dem Sozialrecht bin ich erst zu Beginn meiner anwaltlichen Tätigkeit in Berührung gekommen. Ich habe zunächst als angestellter Rechtsanwalt in einer Kanzlei mit acht Berufsträgern gearbeitet. Dort war es üblich und Konsens, dass sich der jeweils dienstjüngste Kollege um die sozialrechtlichen Fälle zu kümmern hatte. Der zuvor davon betroffene Kollege, der die Kanzlei verließ, um als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens tätig zu werden, hat mich noch etwa sechs Wochen in die sozialrechtlichen Materien einarbeiten können. Das war im Rückblick ein guter Start in die doch sehr unterschiedlichen sozialrechtlichen Teilgebiete und hat vor allem mein starkes Interesse am Sozialrecht geweckt und befördert.

Netzwerk Sozialrecht: Gab es inhaltliche Präferenzen beim Sozialrecht? Und wenn ja welche und warum?

Berding: Im Laufe der Jahre hat sich für mich herausgestellt, dass sich insbesondere die sozialrechtlichen Gebiete mit medizinischem Bezug, also das Schwerbehindertenrecht, das Krankenversicherungsrecht und auch das weite Feld des Rentenrechts als präferierte Teilgebiete im Sozialrecht entwickelt haben.

 

„Meine Tätigkeit als Fachanwalt für Sozialrecht lässt sich gewinnbringend in das Kanzleigeschäft integrieren“

Netzwerk Sozialrecht: Was genau machen Sie heute und wie kamen Sie dorthin?

Berding: Aktuell bin ich in einer Kanzlei in Kassel mit insgesamt neun Anwälten tätig, von denen mehrere auch Anwaltsnotare sind. Die Ausrichtung der Kanzlei ist vorwiegend zivilrechtlich geprägt. Meine Tätigkeit als Fachanwalt für Sozialrecht lässt sich aber gewinnbringend in das Kanzleigeschäft integrieren. Insbesondere wegen der Breite des Sozialrechts werden – aus unterschiedlichen Teilbereichen des Sozialrechts – von dem umfangreichen Mandantenstamm immer wieder anspruchsvolle sozialrechtliche Beratungen und Vertretungen nachgefragt. Neben dem Sozialrecht bin ich zudem mit mietrechtlichen Mandaten und Fällen aus dem Wohnungseigentumsrecht befasst.

Netzwerk Sozialrecht:  Was begeistert oder schätzen Sie am Sozialrecht?

Berding: Das Sozialrecht bildet unsere gesellschaftliche Lebenswirklichkeit ab. Die sozialrechtlichen Mandate erlauben deshalb – auch wegen der sehr zahlreichen Teilgebiete des Sozialrechts – den Mandanten umfangreich in für sie häufig schwierigen Lebenssituationen anwaltliche Unterstützung angedeihen lassen zu können. Die Vielfalt der sozialrechtlichen Fragestellungen hat mich vom Beginn an im Sozialrecht gereizt und erhält auch heute noch mein Interesse an sozialrechtlichen Problemstellungen.

Netzwerk Sozialrecht:  Was nervt eher oder macht keinen Spaß? Gibt es Themen, die Sie nicht so sehr interessieren?

Berding: Die Vielfalt der sozialrechtlichen Teilbereiche ist im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit Glück und Fluch zugleich. Einerseits sorgt das Tätigsein in verschiedenen Sozialgesetzbüchern und weiteren sozialrechtlichen Rechtsmaterien für erhebliche Abwechslung im Anwaltsalltag. Andererseits sind die Anforderungen dementsprechend groß, wenn man den Versuch unternehmen möchte, auf allen von den Mandanten nachgefragten Teilgebieten des Sozialrechts auf möglichst aktuellem Stand beraten und vertreten zu können. Naturgemäß gibt es einige Gebiete, in denen sich auch Fachanwälte weniger zu Hause fühlen. Sei es, weil diese nicht in so großer Zahl nachgefragt werden, sei es, weil aus bereits beendeten Mandaten ein nicht nur positiver Eindruck der Rechtsmaterie zurückgeblieben ist. Für mich kann ich dies beispielsweise im Bereich des Pflegeversicherungsrechts verorten, insbesondere allerdings für die mittlerweile nicht mehr aktuelle Rechtslage vor der erfolgten Reform des SGB XI.

Netzwerk Sozialrecht: Können Sie ihre jetzige Tätigkeit im Sozialrecht mit Erfahrungen in anderen Rechtsgebieten und/oder in einem anderen beruflichen Kontext vergleichen?

Berding: Die sozialrechtliche Tätigkeit unterscheidet sich wegen der sehr eigenen Rechtsmaterien und auch wegen der im Sozialgerichtsgesetz geregelten Verfahrensordnung deutlich von den anderen Rechtsgebieten, in denen ich ebenfalls tätig bin. Ein Vergleich mit dem Zivilrecht führt deshalb unweigerlich dazu, dass die verfahrensrechtlichen Unterschiede deutlich hervortreten. Der in den (meisten) sozialrechtlichen Verfahren geltende Amtsermittlungsgrundsatz und die Beteiligung unterschiedlicher Behörden als Verfahrensbeteiligte prägt das Sozialrecht, während das zivilrechtliche Verfahren vom Beibringungsgrundsatz und der Auseinandersetzung der privaten Beteiligten geprägt wird. Ein Vergleich zeigt insbesondere, dass die unterschiedliche Ausprägung der Verfahren den Notwendigkeiten der verschiedenen Rechtsgebiete geschuldet ist.

Netzwerk Sozialrecht:   Wie sind die Verdienstmöglichkeiten als Rechtsanwalt im Sozialrecht, weil die Gebühren ja nicht sonderlich hoch sind?

Berding: Die Verdienstmöglichkeiten eines im Sozialrecht tätigen Rechtsanwalts sind zum einen von der Frage abhängig, ob das konkrete Tätigwerden in der Vertretung von Versicherten oder in Streitigkeiten anderweitig Beteiligter besteht, weil zum Teil mit Wertgebühren nach Streitwert, zum Teil mit Betragsrahmengebühren nach gesetzlich vorgegebenen festen Betragsrahmen die Gebühren des Anwalts ermittelt werden. Die meisten Verfahren lassen Gebühren in einem Betragsrahmen entstehen. Zumindest für diesen Bereich des anwaltlichen Tätigwerdens gilt, dass für gedeihliche Einkünfte eine gewisse Masse an Verfahren betrieben werden muss.

  

„Wichtig ist die Abklärung der eigenen Interessen für ein Rechtsgebiet“

Netzwerk Sozialrecht:  Wie sieht es mit Aufstieg oder Qualifizierungen aus?

Berding: Als Rechtsanwalt/Rechtsanwältin besteht die Möglichkeit eine Fachanwaltschaft im Sozialrecht zu erlangen. Dafür ist der Besuch eines Fachanwaltskurses mit 120 Stunden und der Nachweis praktischer Tätigkeit im Gebiet des Sozialrechts erforderlich. Im Rahmen des Fachanwaltskurses wird über das Schreiben von drei bzw. fünf Klausuren die Aufnahme des Lehrstoffs überprüft. Nachdem der Fachanwaltstitel erworben wurde, besteht eine 15-stündige Fortbildungsverpflichtung pro Jahr im Sozialrecht, um das Führen der Fachanwaltsbezeichnung aufrecht zu erhalten.

Netzwerk Sozialrecht: Wie sind die Möglichkeiten für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Berding: Wie in vielen Berufen hängen Vereinbarkeit von Beruf und Familie von den konkreten Anforderungen der beruflichen Tätigkeit ab. Als angestellter Rechtsanwalt verfügt man regelmäßig über bessere zeitliche Möglichkeiten für ein Familienleben als dies – generell – für selbstständige Rechtsanwälte gilt, da diese neben der rechtlichen Bearbeitung ihrer Fälle auch den unternehmerischen Anforderungen Rechnung tragen müssen. Zudem ist es sicherlich eine Frage der individuellen Organisationsfähigkeit, wie gut es gelingt, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.

Netzwerk Sozialrecht: Was würden Sie jungen Menschen für eine gute Entwicklung raten?

Berding: Für die Beschäftigung mit unterschiedlichen Rechtsmaterien und auch für die Entscheidung, ob zum Beispiel der Erwerb einer Fachanwaltschaft etwa im Sozialrecht angestrebt wird, sollte die Abklärung der eigenen Interessen für ein bestimmtes Rechtsgebiet bestehen. Das kann auch bedeuten, dass ein von außen, also zum Beispiel von den Kanzleikollegen und -kolleginnen herangetragener Wunsch, eine noch nicht besetzte Fachanwaltschaft zu integrieren, der Auslöser sein kann, sich für ein zuvor weniger beachtetes Rechtsgebiet zu interessieren. 

Das Interview führte Helga Nielebock.
Sie ist ehemalige Leiterin der Abteilung Recht beim DGB-Bundesvorstand und ehrenamtliche Richterin am Bundesarbeitsgericht.