Die geplante Kindergrundsicherung: Ungelöste Schnittstellen zu anderen Sozialleistungsgesetzen

Von Björn Harich | 27. März 2024

Die von der Bundesregierung geplante Kindergrundsicherung enthält mehrere Schnittstellen zu anderen Sozialleistungsgesetzen. Hier werden diese rechtlichen Schnittstellen näher beleuchtet und es wird der Frage nachgegangen, ob die Schnittstellenproblematik im geplanten Gesetz befriedigend gelöst wird.

Das von der Bundesregierung geplante Bundeskindergrundsicherungsgesetz (BKG), das sich derzeit zusammen mit den darauf abgestimmten Änderungen zahlreicher anderer Gesetze im parlamentarischen Verfahren befindet (BT-Drs. 20/9092), ist ein sozialpolitisches Projekt, das mit vielen Erwartungen verknüpft ist. Es soll Kinderarmut bekämpfen, gesellschaftliche Teilhabe verbessern, Bürokratiekosten senken, die Akzeptanz und Transparenz des deutschen Sozialstaats erhöhen und stellt ein äußerst ambitioniertes Digitalisierungsprojekt dar.

Eine Querschnittsaufgabe bei der beabsichtigten Zusammenfassung verschiedener Leistungen („Bündelung“) zu einer Kindergrundsicherung ist, die gefürchteten rechtlichen Schnittstellen der nicht ausreichend aufeinander abgestimmten verschiedenen Sozialleistungen zu bereinigen. Dies ist einerseits eine große Chance, weil es ansonsten regelmäßig nicht gelingt, für die Bereinigung rechtlicher Schnittstellen eine politische Initiative zu entwickeln. Andererseits stellt diese Aufgabe eine wesentliche Herausforderung der Reform dar, weil die Komplexität des Gesamtsystems ein Maß erreicht hat, das eine gesetzgeberische „Überplanung“ außerordentlich schwierig macht.

Schnittstelle zum Kindergeld

Das in aller Regel nach dem Einkommenssteuerrecht geleistete Kindergeld gehört zwar einerseits zu den zusammengefassten Leistungen, das in der Kindergrundsicherung aufgehen soll. In der Sache bleibt es aber unverändert. Dies gilt auch für seine wenig transparente Funktion zwischen Sozialleistung und Steuervergütung (vgl. § 31 Einkommensteuergesetz/EStG).

Aus dem bisherigen Kindergeld soll danach der Kindergarantiebetrag als die bedürftigkeitsunabhängige Komponente der Kindergrundsicherung werden. Verpasst wurde dabei die Chance, sozialrechtliches und steuerrechtliches Existenzminimum im Hinblick auf die referentielle Bedeutung des Sozialrechts stärker einander anzugleichen. Dies betrifft insbesondere den im Steuerrecht zu berücksichtigenden und nicht empirisch abgeleiteten so genannten Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA), der im Sozialrecht keine Entsprechung hat.

Für die geplante Kindergrundsicherung hat die faktische Beibehaltung des Kindergelds weitreichende Folgen, weil die bisherige Schnittstelle zu den sozialrechtlichen Mindestsicherungssystemen zu einer Schnittstelle innerhalb einer Sozialleistung wird. Plastisch wird dies z. B. bei der unterschiedlichen Anspruchsinhaberschaft von Kindergarantiebetrag (Elternteil) und Kinderzusatzbetrag (Kind) und dem geteilten Rechtsweg (Finanzgerichte einerseits, Sozialgerichte andererseits).

Konsequenz ist eine Selbstbeschränkung der geplanten Kindergrundsicherung, indem der Kinderzusatzbetrag tatbestandlich ein Zusammenleben mit mindestens einem Elternteil voraussetzt (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 BKG-E). Mittelbare Folge der geteilten Anspruchsinhaberschaft sind Friktionen im Hinblick auf die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen der Kindergrundsicherung, weil sich der Aufenthaltsstatus zwischen Eltern und Kindern unterscheiden kann und sich die Frage nach der unions- und völkerrechtlichen Einordnung von Kindergarantiebetrag und Kinderzusatzbetrag unterschiedlich stellt.

Schnittstelle zum Bürgergeld nach dem SGB II

Die Schnittstelle zum Bürgergeld ist im Gesetzentwurf der Bundesregierung noch nicht befriedigend gelöst. Konzeptionell sollen Kindergrundsicherung nach dem BKG und Bürgergeld nach dem SGB II in einem Vorrang-/Nachrangverhältnis zueinander stehen. Technisch wird dies erreicht durch eine Berücksichtigung der Kindergrundsicherung als Einkommen im SGB II. Der Kindergarantiebetrag soll, wie bislang das Kindergeld, normativ dem Kind zugerechnet werden und dessen Bedarf decken (§ 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II-E). Eine (nachrangige) Anrechnung auf das Bürgergeld der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder (sog. „Kindergeldüberhang“) soll nicht mehr erfolgen (siehe dazu auch Artikel „Licht und Schatten“ in diesem Thema des Monats).

Die konzeptionelle Vorfestlegung führt dazu, dass es beim SGB II als Auffangsystem verbleibt (BT-Drs. 20/9092, S. 83). Die Kindergrundsicherung setzt sich selbst (nur) den Anspruch, „in der Regel“ (BT-Drs. 20/9092, S. 136) den Bedarf der Kinder zur Sicherung des Lebensunterhalts zu decken. Da der Kinderzusatzbetrag im Wesentlichen auf den Regelbedarf, eine dem steuerrechtlichen Existenzminimum entlehnte bundeseinheitliche Kinderwohnkostenpauschale von derzeit 125 Euro und bestimmte Bildungs- und Teilhabebedarfe (vgl. § 11 und § 21 BKG-E) beschränkt ist, verbleibt es im Hinblick auf alle übrigen Sonder- und Mehrbedarfe bei Ansprüchen im Auffangsystem des SGB II.

Schwerer noch wiegt, dass das geplante BKG im Hinblick auf die Bedürftigkeitsprüfung ganz in der Tradition des bisherigen Kinderzuschlags (§ 6a Bundeskindergeldgesetz/BKGG) steht und dabei vom SGB II erheblich abweicht. Zwar bedient es sich insbesondere im Hinblick auf die zu berücksichtigenden Einkommensarten des SGB II. Zur Vermeidung der im SGB II häufigen Aufhebungen und Erstattungen bzw. der zunächst nur vorläufigen Bewilligungen (§ 41a SGB II) aufgrund von Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen im laufenden Bewilligungszeitraum wählt das BKG aber einen anderen zeitlichen Bezugszeitpunkt sowohl für die Festlegung der maßgeblichen Bedarfe als auch für die Bestimmung des zu berücksichtigenden Einkommens.

Dieser den Entgeltersatzsystemen entlehnte und im Rahmen der Existenzsicherung systemfremde Bemessungszeitraum (§ 16 BKG-E) führt z. B. dazu, dass die Einkommensberücksichtigung – anders als im SGB II – nicht die aktuelle wirtschaftliche Lage der Familie abbildet, obwohl ein wesentliches Strukturelement der Grundsicherungssysteme gerade darin besteht, den elementaren Lebensbedarf eines Menschen in dem Augenblick sicherzustellen, in dem er besteht (vgl. Bundesverfassungsgericht/BVerfG, Urt. v. 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 mwN).

Nicht identisch sind auch die weiteren Modalitäten der Einkommensberücksichtigung. Während das elterliche Einkommen bei der Berechnung des Kinderzusatzbetrags erst dann zu berücksichtigen ist, wenn es den monatlichen Gesamtbedarf der Eltern übersteigt (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BKG-E), soll es im SGB II bei der sog. horizontalen Einkommensberücksichtigung bleiben, wonach jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig gilt, solange in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II).

Dies alles passt nicht zusammen. Es ist offenkundig, dass das Zusammentreffen von zwei bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistungen innerhalb eines Haushalts, die beide vom Elterneinkommen abhängen, hierfür aber einen unterschiedlichen zeitlichen Bezugspunkt wählen, wobei die eine Leistung noch Auffangleistung für die andere ist, zu Problemen führt.

„Vermutung der Bedarfsdeckung bei Kindern“

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung nimmt sich der schwierigen Ausgangslage, die durch die neue Schnittstelle zwischen BKG und SGB II entsteht, in der Form an, dass er versucht, das SGB II ein Stück weit „abzuschotten“. Im gesetzgeberischen Umgang mit unserem gegliederten Sozialleistungssystem würde dies einen markanten Traditionsbruch darstellen. § 37a Abs. 1 SGB II-E begründet – in einem gewissen Widerspruch zur Funktion des SGB II als Auffangsystem – eine gesetzliche Vermutung, dass der Bedarf von Kindern, für die im Haushalt der Kindergarantiebetrag bezogen wird, durch die Leistungen nach dem BKG sowie anderes Einkommen gedeckt ist. § 37a Abs. 2 SGB II-E regelt darüber hinaus, dass über den Anspruch auf Bürgergeld für solche Kinder nur auf gesonderten Antrag entschieden wird, dem eine Bescheinigung des Familienservices beizufügen ist, die die Information beinhalten muss, dass der Kinderzusatzbetrag beantragt worden ist und eine abschließende Bearbeitung des Antrags jedenfalls im folgenden Monat und eine Vorschusszahlung nach § 42 SGB I nicht möglich sind.

Gewollt ist, dass die Familien den Antrag erst beim Familienservice stellen. Da die Leistungen nach dem BKG aber im Vergleich zum Bürgergeld nicht höher sind (Unterschiede bestehen nur bei den Einkommensfreibeträgen), versucht die Regelung, die betroffenen Familien zu mobilisieren, den Familienservice dazu zu bringen, jedenfalls eine Vorschusszahlung nach § 42 SGB I zu prüfen. Dies genügt dem selbst gesteckten Anspruch, durch Digitalisierung und Entbürokratisierung Kinder aus der Armut zu holen und den Zugang zu existenzsichernden Leistungen zu verbessern (BT-Drs. 20/9092, S. 1), sicherlich nicht.

Schnittstellen zum Wohngeld und zum BAföG

Sowohl beim Wohngeld als auch beim BAföG bestand von Anfang an die politische Einigung, den Status quo unverändert zu lassen. Verpasst wurde die Chance, die Komplexität zu reduzieren, die das hochgradig ausdifferenzierte System von vor- und nachgelagerten steuerfinanzierten Sozialleistungen auszeichnet. Insbesondere das Verhältnis zwischen SGB II und BAföG ist durch eine Reihe von Rückausnahmen zum grundsätzlich bestehenden Leistungsausschluss für Studierende (§ 7 Abs. 5 und 6 SGB II) sowie durch ergänzende Ansprüche im SGB II in Härtefällen oder bei nicht ausbildungsgeprägten Bedarfen (§ 27 SGB II) bestimmt. Vieles hiervon könnte sachnäher unmittelbar im BAföG geregelt werden.

Hinzu kommt, dass sich im BAföG nach dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG v. 20.5.2021 – 5 C 11.18; anhängig unter BVerfG 1 BvL 9/21) ohnehin ein Reformbedarf andeutet. Der Gesetzentwurf hat den Leistungsausschluss des SGB II mit seinen Rückausnahmen im Wesentlichen „nachgebaut“ (§ 9 Abs. 3 und 4 BKG-E). Da diese Rückausnahmen insbesondere solche Studierenden betreffen, die noch bei ihren Eltern wohnen, während der Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag wiederum eine Haushaltsangehörigkeit gerade voraussetzt (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 BKG-E), geht der Leistungsausschluss ein Stück weit ins Leere.

Kein Bestandteil des BKG ist aber eine Anspruchsgrundlage für ergänzende Leistungen wie § 27 SGB II.

Insoweit verbleibt es wieder bei Auffangansprüchen nach dem SGB II. Hinzu tritt das Wohngeldrecht, in dessen Rahmen die Gesetzeskonkurrenz zum BAföG gerade bei individuellen Förderungsausschlüssen nicht „abstrakt“ (wie im Grundsicherungsrecht), sondern „konkret“ verstanden wird (vgl. § 20 Abs. 2 Wohngeldgesetz/WoGG).

Dieses Nebeneinander von Grundsicherung, BAföG, Wohngeld und zukünftig eventuell Kindergrundsicherung bedarf einer Aufgabenkritik, an der es bislang fehlt.

Beim Wohngeldrecht selbst ist die Situation maßgeblich durch das ebenfalls gerade erst zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Wohngeld-Plus-Gesetz geprägt (BGBl. 2022 I 2160), durch das sich die Anzahl der Wohngeldbeziehenden stark erhöht hat. Aus seinem Anlass fügte der Gesetzgeber eine flankierende Regelung in das SGB II ein, um die Jobcenter davon zu entlasten, unmittelbar zum 1. Januar 2023 die Vorrangprüfung einzuleiten (§ 85 SGB II idF des Wohngeld-Plus-Gesetzes).

Hintergrund war, dass die Bundesregierung mit dem Wechsel einer großen Anzahl von Bürgergeldfamilien ins Wohngeld, ggf. ergänzt um den Kinderzuschlag, rechnete (vgl. BT-Drs. 20/3936, S.3; BT-Drs. 20/5253, S. 2). Dies spricht dafür, dass Wohnkostenzuschüsse ein wirksames Mittel sein können, Familien im unteren Einkommensbereich zu entlasten. Diese Bedeutung wird sich angesichts der ungünstigen Rahmendaten für die zukünftige Verfügbarkeit preisgünstigen Wohnraums tendenziell erhöhen. Eine solche Funktion muss aber nicht eine vorgelagerte Leistung wie das Wohngeld erfüllen, sondern kann auch die Grundsicherung übernehmen, bei der es sich vom Haushaltsvolumen ohnehin um die mit großem Abstand bedeutsamste unterkunftsbezogene Sozialleistung in der Bundesrepublik handelt.

Ausblick

Mit Hilfe der Kindergrundsicherung will die Bundesregierung Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder zusammenführen, eine einfache, unbürokratische und bürgernahe Leistung schaffen und zugleich die Schnittstellen zu weiteren Leistungen wie Unterhaltsvorschuss, Wohngeld und BAföG möglichst friktionslos regeln. Dies ist bislang nicht gelungen.

Inhalt des Gesetzentwurfs ist die Zusammenführung von Kindergeld und Kinderzuschlag zu einer neuen Leistung, die nicht nur in der Schnittstelle zu den vorgelagerten steuerfinanzierten Sozialleistungen, sondern vor allem zum Bürgergeld eine Vielzahl offener Fragen aufwirft. Insbesondere für die knapp zwei Millionen Kinder und Jugendlichen in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften stellt die Kindergrundsicherung in der derzeit geplanten Ausgestaltung eher eine Verschlechterung dar, weil die Gefahr besteht, dass sie ihre gesetzlichen Ansprüche auf Gewährleistung ihres menschenwürdigen Existenzminimums nicht realisieren können. Dort, wo sie bislang durch die Jobcenter Leistungen aus einer Hand erhalten haben, müssen sie zukünftig zunächst die gesetzliche Vermutung der Bedarfsdeckung durch die pauschalierte Kindergrundsicherung überwinden.

Das Gesetzgebungsverfahren zur Einführung einer Kindergrundsicherung leidet an Erwartungen und politischen Vorgaben, die sich nicht vereinbaren lassen: Es lässt sich nicht garantieren, dass durch eine große Sozialstaatsreform niemand schlechter steht, wenn die derzeitige Rechtslage durch ihre Komplexität Zufallsergebnisse produziert und nur historisch erklärbar ist. Ein Gesetz, das das „primäre Leistungssystem“ für Kinder und Jugendliche beinhalten soll, wird aller Voraussicht nach nicht einfach und möglichst digital administriert werden können. Veränderungen beim Wohngeld oder BAföG lassen sich nicht ausschließen, wenn angrenzende Leistungen neu geregelt werden. Hilfebedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen lässt sich dauerhaft nur überwinden, indem ihre Eltern bei der Aufnahme einer (auskömmlichen) Erwerbstätigkeit unterstützt werden. Allein ein Zuständigkeitswechsel vom Jobcenter zum Familienservice wird die Situation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht verbessern.

Die Vielzahl der ungeklärten Fragen in der Schnittstelle zum SGB II spricht aus fachlicher Sicht dafür, den familienzentrierten Ansatz der Grundsicherung für Arbeitsuchende beizubehalten und den Familien auch weiterhin Leistungen aus einer Hand durch die Jobcenter zu gewähren. Dies schließt es nicht aus, innerhalb des SGB II auf das BKG als das Referenzsystem für die sozialrechtlichen Bedarfe von Kindern und jungen Menschen zu verweisen. Die beschriebenen Schnittstellenprobleme jedenfalls zum SGB II ließen sich auf diese Weise einfach lösen. Perspektivisch bedarf es einer Diskussion, die verschiedenen Existenzsicherungssysteme stärker zu harmonisieren oder sogar zusammenzuführen. Dies schließt die notwendige Diskussion über das bisherige Nebeneinander von vor- und nachgelagerten steuerfinanzierten Sozialleistungen ein.

Dr. Björn Harich

Richter am Bundessozialgericht